Und plötzlich ist der Regenbogen in Deutschland überall: Von einem Tag auf den anderen hat der Bundestag am letzten Freitag die gleichgeschlechtliche Ehe legalisiert. Möglich machte es ausgerechnet Bundeskanzlerin Angela Merkel, in deren CDU die gleichgeschlechtliche Ehe bis dahin ein Tabu darstellte.
Für Beobachter ist klar: die Kanzlerin konnte schlicht nicht länger ignorieren, wie positiv die Bevölkerung dem Anliegen gegenübersteht. Nachdem das ZDF-Politbarometer vor zwei Wochen zu Tage gefördert hatte, dass 73 Prozent der Deutschen die «Ehe für alle» befürworten, ebnete Merkel in einem Blitzmanöver den Weg für die Gesetzesänderung.
Wie fundamental sich die öffentliche Meinung in dieser Frage gewandelt hat, liess sich davor auch anderswo eindrücklich beobachten. So etwa im erzkatholischen Irland, wo homosexuelle Handlungen noch bis 1993 verboten waren. Vor zwei Jahren nun erlaubten die Iren die Homo-Ehe per Volksabstimmung mit grossem Mehr.
Und auch in der Schweiz wird das Lager jener, die gegen eine Gleichstellung homo- und heterosexueller Paare sind, immer kleiner. Davon zeugen folgende Beispiele:
Die Forderung nach der «Ehe für alle» liegt auch in der Schweiz auf dem Tisch. Ende 2013 hat die GLP einen Vorstoss eingereicht, der seither durch die parlamentarischen Mühlen gedreht wird. In der diesjährigen Sommersession musste der Nationalrat entscheiden, ob er die Legalisierung der Homo-Ehe weiter vorantreiben will (und die Bundesverwaltung zu diesem Zweck mit weiteren Abklärungen beauftragt), oder ob er die Initiative beerdigen will.
Eine Abschreibung fand nur in der SVP-Fraktion eine Mehrheit. Wobei die Fronten nicht einmal dort geschlossen waren: Prominente Exponenten wie Thomas Hurter oder Mauro Tuena wichen vom Parteikurs ab und stimmten Ja. In der CVP – welche die Ehe unlängst in der Verfassung als Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau definieren wollte – drückte gar eine Mehrheit den grünen Knopf. Zu den Gegnern in der Partei zählen allerdings Schwergewichte wie Parteipräsident Gerhard Pfister, Familienpolitiker Martin Candinas oder Bauernpräsident Markus Ritter. Aus der FDP kam nur gerade eine einzelne Nein-Stimme, sie gehörte dem St. Galler Walter Müller.
Wie stark sich die bürgerlichen Parteien gesellschaftspolitisch geöffnet haben, zeigt der Vergleich mit einer Abstimmung aus dem Jahr 1999: Damals versenkte der Nationalrat eine parlamentarische Initiative der Grünen Ruth Genner, die ebenfalls eine Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe verlangte, sang- und klanglos. Kein einziges SVP-, CVP- oder FDP-Mitglied stimmte dafür.
Soll eine Frau das leibliche Kind ihrer Lebenspartnerin adoptieren dürfen? Oder ein Mann das seines Partners? Noch 2010 hatte der Bundesrat dazu eine klare Haltung: Eine solche Gesetzesänderung sei nicht «opportun», schrieb er in seiner Antwort auf einen Vorstoss des Sozialdemokraten Mario Fehr. Der Bundesrat verwies darauf, dass das Stimmvolk die eingetragene Partnerschaft für Homosexuelle nur deshalb akzeptiert habe, weil die Adoptionsfrage in der Abstimmung 2005 explizit ausgeklammert worden sei.
Nur wenige Jahre später machte sich der Bundesrat selber dafür stark, dass die Stiefkindadoption in eingetragenen Partnerschaften erlaubt wird. «Ein liberales Familienrecht bildet die Realität ab», warb Justizministerin Simonetta Sommaruga letzten Sommer im Nationalrat für eine entsprechende Gesetzesänderung. Es sei nun einmal eine Tatsache, dass es in der Schweiz Kinder gebe, die mit gleichgeschlechtlichen Elternteilen aufwüchsen.
National- und Ständerat stimmten der Änderung des Adoptionsrechts in der Folge deutlich zu – ein Aufschrei blieb aus. Unter den Befürwortern waren auch zwölf SVP-Nationalräte und eine grosse Mehrheit der CVP-Fraktion. In der FDP stimmte wiederum nur Walter Müller Nein. Das von der EDU ergriffene Referendum wurde von keiner der grossen Parteien unterstützt, es scheiterte im Sammelstadium.
Befragungen der Schweizer Bevölkerung haben in den letzten Jahren wiederholt hohe Zustimmungswerte für die gleichgeschlechtliche Ehe ergeben. In einer Erhebung des Forschungsinstituts GFS Zürich im Auftrag der Schwulenorganisation Pink Cross sprachen sich 2015 über 70 Prozent für eine Öffnung der Zivilehe für homosexuelle Paare aus.
Dabei zeigten sich nicht nur junge und linke Wähler aufgeschlossen gegenüber dem Anliegen. Auch SVP-Wähler (60% Ja) und Senioren (54% Ja) sprachen sich überwiegend dafür aus.
Bereits 1999 lag die Zustimmung in einer repräsentativen Befragung über der 50-Prozent-Marke. Damals zeigten sich 53 Prozent der Schweizer offen für die Homo-Ehe. 1992 waren es noch 42 Prozent.
Bastian Baumann, Geschäftsleiter von Pink Cross, führt den Meinungsumschwung auf verschiedene Faktoren zurück. So habe die Legalisierung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare in anderen europäischen Ländern eine Signalwirkung gehabt: «All das Schreckliche, was man prophezeit hat, ist nicht eingetreten. Die Leute merkten, dass keinem einzigen Hetero-Pärli etwas weggenommen wird, wenn man die gleichgeschlechtliche Ehe erlaubt.»
Zudem kenne auch in konservativen Kreisen inzwischen fast jeder jemanden, der schwul, lesbisch, bi oder trans sei, so Baumann weiter. «Dadurch sind gewisse Vorurteile aus den Köpfen verschwunden.» Und nicht zuletzt hätten viele Konservative ein Interesse daran, die Institution Ehe zu stärken. «Wenn ich Marketing-Chef des Produkts ‹Ehe› wäre, wäre ich in Zeiten alternativer Familienformen und steigender Scheidungsquoten daran interessiert, dass möglichst viele Leute heiraten.»