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Max Göldis Buch: 2 Jahre in der Hand des Diktators Gaddafi

Max Goeldi bei der Pressekonferenz nach seiner Rueckkehr aus Libyen, am Montag, 14. Juni 2010 in Bern. Die Odyssee von Max Goeldi in Libyen ist zu Ende: Goeldi verliess am Sonntagabend das Land, in de ...
Max Göldi bei der Pressekonferenz nach seiner Rückkehr aus Libyen am 14. Juni 2010 in Bern.Bild: KEYSTONE
Interview

Max Göldi über seine Zeit als Geisel des Diktators Gaddafi

Mehr als zwei Jahre hielt der Ex-Diktator Muammar Gaddafi Max Göldi und Rachid Hamdani in Libyen als Geiseln fest. Die beiden Schweizer standen im Mittelpunkt der sogenannten Libyen-Affäre. Jetzt hat Göldi ein Buch über seine Zeit in der Gewalt des Gaddafi-Clans geschrieben.
31.10.2018, 07:1331.10.2018, 17:23
William Stern
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Die Libyen-Affäre, die im Sommer 2008 Fahrt aufnahm, beschäftigte die Schweiz während mehr als zwei Jahren. Muammar Gaddafi, der greise Diktator des Maghreb-Staates, wollte sich für die Verhaftung seines Sohnes Hannibal Gaddafi in Genf im Juli 2008 rächen. Die beiden Schweizer Max Göldi und Rachid Hamdani, die damals in Libyen beruflich tätig waren, gerieten in das «kafkaeske» libysche Justizsystem.

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695 Tage wurde Max Göldi unschuldig in Libyen festgehalten – offiziell wegen Visa- und Steuervergehen, tatsächlich aber hielt das libysche Regime um Muammar Gaddafi Göldi und den tunesisch-schweizerischen Doppelbürger Rachid Hamdani als Geiseln im Land, um der Schweiz Zugeständnisse abzupressen.

Göldi flüchtete kurz nach Beginn der Krise in die Schweizer Botschaft, seine Frau konnte noch ausreisen, er selber wurde entführt und in mehreren Schauprozessen verurteilt. Der Aargauer verbrachte mehr als fünf Monate in mehreren Gefängnissen in Tripolis. Die Libyen-Affäre entwickelte sich zum diplomatischen Fiasko für die Schweiz und beschädigte die Reputation als Verhandlungsstaat nachhaltig. Auf dem Höhepunkt forderte Gaddafi an der UNO-Generalversammlung, die Schweiz zu zerschlagen und auf die Nachbarstaaten zu verteilen. 

Erst im Juni 2010 gelang es dank internationaler Vermittlung Max Göldi aus dem Land zu holen. Göldi verschwand nach der Rückkehr in die Schweiz aus der Öffentlichkeit. Zehn Jahre danach legt er ein mehr als 600 Seiten schweres Buch über die damaligen Ereignisse vor. «Gaddafis Rache,» so der Titel, wird Schlagzeilen machen, ist sich Göldi sicher.

>> Die ausführliche Chronik zur Libyen-Affäre findest du am Ende des Interviews.

Video: watson/Angelina Graf

Herr Göldi, acht Jahre nachdem Sie aus der Hand des libyschen Diktators Muammar Gaddafi befreit wurden, legen Sie ein Buch vor. Warum jetzt?
Max Göldi:
Ich hatte nach der Pensionierung Zeit mein Tagebuch zu sichten und da entstand der Wunsch meine Sicht der Dinge öffentlich zu machen. Nicht weil ich das Rampenlicht suche, es ist mir wohler im Hintergrund, aber für mich ist dieses Buch ein weiterer Schritt der Verarbeitung.

Die Libyen-Affäre war die grösste diplomatische Krise seit den nachrichtenlosen Vermögen, die Medien berichteten während zwei Jahren praktisch nonstop. Wurde nicht alles dazu gesagt und geschrieben?
Das Meiste, was damals erzählt wurde, war halbwahr, vieles war sogar ganz falsch. Eine zusammenhängende Erzählung von A bis Z gab es aber nicht – bis jetzt. Natürlich bin ich mir bewusst, dass es nur meine Sicht der Dinge ist. 

«Auf einem Kleenexpapier male ich mir ein Mühlespiel, und aus den Einwegverpackungskartons der Getränke bastle ich mir helle und dunkle Spielsteine. Es ist leider nicht besonders spannend, gegen sich selbst zu spielen, aber es gibt ja sonst kaum Abwechslung. Ich kann mich schlecht konzentrieren und vergesse manchmal, welche Farbe jetzt dran ist. Zum Glück habe ich einen Kugelschreiber. Tagebuch schreibe ich auf Kleenexpapier.»
Auszug aus «Gaddafis Rache»

Die andere Sicht, das wäre dann wohl jene des EDA, der Genfer Behörden und der damaligen Aussenministerin Micheline Calmy-Rey, die die Verhandlungen leitete. Sie sparen in Ihrem Buch nicht mit Kritik an Vertretern und Akteuren der offiziellen Schweiz.
Ja, aus meiner Sicht lief vieles falsch ab damals. Aber es ist wie im Film «Rashomon» ...

... das Meisterwerk des japanischen Filmregisseurs Akira Kurosawa ...
... in dem ein Mord aus der Perspektive von vier verschiedenen Personen erzählt wird: einem Banditen, einer Frau, einem Samurai und einem unbeteiligten Zeugen. Jeder beansprucht für sich die Wahrheit. So war es auch in der Libyen-Affäre: Wir alle, die Leute im EDA und im VBS, die Medien, ich selber, hatten eine unterschiedliche Perspektive auf diese zwei Jahre und eine unterschiedliche Wahrheit.

«Rashomon»

Wie hätte sich die offizielle Schweiz denn Ihrer Meinung nach verhalten sollten?
Es wurden viele Fehler gemacht, vor allem liess man sich für vieles zu lange Zeit. Es hätte möglichst schnell die Entschuldigung des Bundespräsidenten gebraucht, dann wäre uns vieles erspart geblieben. Pascal Couchepin hat seine Chance leider verpasst, umso lobenswerter, dass sein Nachfolger Hans-Rudolf Merz diese Aufgabe dann wahrnahm. Auch wollte die Schweiz lange alles im Alleingang machen und hat viel zu spät die Unterstützung europäischer Partner gesucht. Und der Leiter der ersten Taskforce war eine Fehlbesetzung, ein Mann, der weder menschlich noch fachlich geeignet war für diese Position.

Neben den diplomatischen Kanälen wurde auch im Geheimen an Ihrer und Rachid Hamdanis Befreiung gearbeitet. Die sogenannten Exfiltrationspläne, also Vorkehrungen, um Sie ausser Landes zu schaffen, waren weit fortgeschritten. 
Ja, es gab mehrere Szenarien für unsere Befreiung. Eines davon war, im Kofferraum des Schweizer Botschafterautos über die Grenze nach Tunesien gebracht zu werden. Die Idee wurde aber im letzten Moment verworfen, man wollte wohl einen Diplomaten nicht so exponieren.

«Die Wächter schauen, genau wie ich, interessiert zu, und dann will einer von ihnen auch mähen. Es geht nicht lange, da mäht er über das Stromkabel und wundert sich, dass der Mäher keinen Wank mehr macht. Ich möchte am liebsten laut loslachen, halte mich aber zurück. Für die im Hof herumhockenden Wächter ist diese Episode offenbar nichts Besonderes, kein einziger lacht. Ein wirklich seltsames Volk, diese Libyer!»
Auszug aus «Gaddafis Rache»

Und dann gab es den Jetski-Plan.
Den habe ich persönlich favorisiert. Ich sollte unbemerkt aus dem Botschaftsgelände gebracht werden, bis an den Strand. Dort hätte ich im Schutz der Nacht einen Jetski bestiegen und wäre bis zur Zwölf-Meilen-Grenze gefahren, wo ein Boot mich aufgefischt hätte. Das waren Pläne wie aus einem Agententhriller.

Ihr Buch heisst «Gaddafis Rache», Sie selber waren das Opfer dieser Rache, ein Spielball des Gaddafi-Clans. Empfinden Sie Hass gegenüber Muammar Gaddafi?
Es war eine grauenhafte Familie, die die Libyer terrorisiert und das Land ausgebeutet hatte. Ein Diktatoren-Clan, der sich alles leisten konnte. Aber Hass empfinde ich nicht, auch wenn er mir zwei Jahre meines Lebens gestohlen hat. Und seine Tötung während des Arabischen Frühlings 2011 hat mich schockiert. Es wäre wichtig und richtig gewesen, wenn er vor ein Gericht gestellt und verurteilt worden wäre. 

Im Buch beschreiben Sie, wie Sie während Ihrer Gefangenschaft in der Zelle Schüsse hörten. Offenbar ein Erschiessungskommando. Hatten Sie nie Angst um Ihr Leben? 
Natürlich denkt man in so einem Fall: «Hoffentlich machen die jetzt nicht den Fehler und nehmen den Falschen aus der Zelle mit.» Das war ja nicht ganz auszuschliessen, in einem Land, das
von der Willkür regiert wurde. Wenn man realisiert, dass in unmittelbarer Nähe Leute getötet werden ... das ist happig. Aber ich wusste, dass ich in einer privilegierten Situation war. Die Wärter behandelten mich anders als meine Mitgefangenen. Ich hatte im zweiten Gefängnis mehr Freiheiten, hatte eine eigene Zelle, konnte mir mehr herausnehmen.

Wie war das Verhältnis zu den Wachen in den Gefängnissen? 
Ich sprach nur ein paar Brocken Arabisch und die Gefängniswärter sprachen kaum Englisch. Wir mussten uns mit Händen und Füssen verständigen. Zu den einen fand ich den Draht besser, zu anderen weniger. Aber die meisten haben mich mit Respekt behandelt. Spätestens als Hannibal Gaddafi mich im Gefängnis besuchte, wurde ihnen wohl bewusst, dass es sich bei mir um keinen normalen Insassen handelte.

«Ich denke manchmal, dass ich ein idealer Kandidat für eine Marsmission wäre. Ich habe keine Mühe, mich auf kleinstem Raum aufzuhalten und allein zu sein. Ich habe kein grosses Bedürfnis, auszugehen. Eigentlich bin ich schon zufrieden, wenn es warm und trocken ist, wenn ich genug zu essen habe und es etwas Spannendes zu lesen gibt. So könnte ich wohl problemlos ein Jahr durchhalten. Das Raumschiff würde mich vor der feindlichen Umgebung schützen, so wie mich hier die Botschaftsmauern schützen.»
Auszug aus «Gaddafis Rache»

Rund 17 Monate haben Sie auf der Schweizer Botschaft verbracht, anfänglich mit Ihrer Frau und mehreren Botschaftsmitarbeitern. Dann wurden die Schweizer Diplomaten abgezogen. Irgendwann waren Sie völlig alleine in der Botschaft. Wie haben Sie die Einsamkeit ertragen?
Ich mag die Einsamkeit, das hat mich nie gestört. Und ich hatte ja auch zu tun, ich war ja irgendwann offizieller Botschaftsmitarbeiter und durfte Botschaftsarbeiten erledigen, das Tor aufschliessen, Mails beantworten, Diplomatenpost aufgeben – normale Büroarbeit halt. Das war nicht schlimm, im Gegenteil, die unverhoffte Beschäftigung hat mir geholfen die Langeweile zu vertreiben.

«Am Nachmittag spiele ich mit dem Botschafter und dem Konsul Tischtennis. Warum zum Teufel sind alle in Tripolis so gute Tischtennisspieler? Nur einmal schlage ich den Botschafter. Gegen Frédéric habe ich keine Chance.»
Auszug aus «Gaddafis Rache»

Wie lief die Kommunikation mit dem EDA und Ihrer Familie ab?
Ich habe viele Briefe geschrieben, auf der Botschaft konnten wir auch telefonieren, waren damit aber sehr vorsichtig. Die Leitungen wurden abgehört, wir haben deshalb am Telefon nur Belanglosigkeiten ausgetauscht. Wichtige Informationen haben wir über die Chiffriermaschine auf der Botschaft versendet oder über den diplomatischen Kurierdienst. Während der Entführung, als Rachid Hamdani und ich 53 Tage in Einzelhaft gehalten wurden, war keine Kommunikation möglich. Die Briefe, die ich geschrieben habe, wurden nicht weitergeleitet.

Das Buch stützt sich weitgehend auf Ihre Tagebucheinträge in dieser Zeit. Haben Sie jeden Tag geschrieben? 
Ja, ich habe praktisch jeden Tag Notizen gemacht, es war eine Routine, die mir geholfen hat, diese Zeit durchzustehen.

Sie haben auch im Gefängnis geschrieben.
Ja, meistens habe ich auf normalem Schreibpapier geschrieben, aber in der Haft musste ich auf Taschentücher schreiben. Diese Fetzen habe ich mir dann in ein in meiner Baseballkappe eingenähtes Geheimfach gesteckt. Ich hatte Angst, dass ich gefilzt werde. Aber die Wächter hatten absolut kein Interesse daran.

Max Goeldi, rechts, posiert nach seiner Ankunft auf dem Flughafen Zuerich Kloten mit Bundesraetin Micheline Calmy-Rey, am Montag, 14. Juni 2010. Die Odyssee von Max Goeldi in Libyen ist zu Ende: Goeld ...
Max Göldi posiert nach der Ankunft am 14. Juni 2010 am Flughafen Kloten mit der damaligen Bundesrätin Micheline Calmy-Rey. Das war das Ende der Odyssee von Max Göldi in Libyen.Bild: KEYSTONE

Warum nicht?
Das waren keine schreibenden Leute, man sah auch nie jemanden lesen im Gefängnis. Es war eher wie in «Tausendundeine Nacht», die Wachen und die Gefangenen erzählten sich lieber Geschichten. Die kamen gar nicht auf die Idee, dass da jemand etwas aufschreiben könnte. Die beschrifteten Papiernastücher besitze ich heute noch.

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Was war das Schlimmste während dieser zwei Jahre?
Die Unfähigkeit, über mein Schicksal bestimmen zu können. Ich war wie ein Kleinkind, irgendwelche Leute entschieden, was mit mir geschieht, ich konnte nichts beeinflussen.

«Danach wird mein neues weisses Hemd abgeholt. Zum Bügeln, wie mir gesagt wird. Ich kann es kaum glauben. Wozu brauche ich hier ein gebügeltes Hemd? Etwas nach Mitternacht bekomme ich das gebügelte Hemd und die gekürzte Hose zurück. Die haben doch wirklich einen Knall.»
Auszug aus «Gaddafis Rache»

Es wirkt, als seien Sie extrem stoisch mit dieser Situation umgegangen, Sie haben etwas Ingenieurhaftes an sich, beschreiben technische Details unglaublich akkurat, lassen Emotionen aber weitgehend weg – ein Homo Faber.
Vielleicht habe ich das Glück, dass ich von Natur aus ein ausgeglichener Mensch bin, der nicht so emotional reagiert. Das macht das Buch wohl ein bisschen trocken, aber so bin ich halt. Es hat mir die Gefangenschaft aber sicherlich erleichtert. Im Gegensatz etwa zu Rachid Hamdani, der ein völlig anderer Typ ist. Rachid konnte an einem Tag voller Zuversicht sein und am nächsten Tag am Boden zerstört. Er hat dadurch wohl auch mehr gelitten als ich. Ich konnte mich an einem latenten Optimismus festhalten.

Trotzdem gab es auch Momente, in denen Ihnen der Kragen platzte?
Ja, natürlich gab es Phasen, in denen die Frustration gross war. Aber ich habe die Hoffnung nie aufgegeben. Ich bin ein positiv eingestellter Mensch, und war mir deshalb sicher, dass sich irgendwann eine Lösung ergeben wird. Die Frage war nur: Wann?

Sie schreiben, dass es wahrscheinlich für alle Beteiligten ein Davor und Danach gebe. Was hat sich bei Ihnen verändert?
Ich reise heute nicht mehr überallhin. Vor der Libyen-Geschichte hatte ich keine Berührungsängste, mittlerweile meide ich Länder, die kein ausgeprägtes Rechtssystem haben.

Wie ging es weiter, nachdem Sie am 14. Juni 2010 in der Schweiz gelandet waren?
Nach der Rückkehr hat das VBS ein Safe House organisiert, in dem ich mit meiner Familie für zwei Tage untergekommen bin. Am Tag der Ankunft wurde in Bern eine Pressekonferenz organisiert. Das erste und letzte Interview für absehbare Zeit. Nachher konnte ich mich ausklinken.

Das Buch «Gaddafis Rache. Aus dem Tagebuch einer Geisel» erscheint im November im Wörterseh-Verlag.
Das Buch «Gaddafis Rache. Aus dem Tagebuch einer Geisel» erscheint im November im Wörterseh-Verlag.Bild: Wörtersee Verlag

Haben Sie noch Kontakt mit den Schweizer Akteuren der Libyen-Affäre?
Ja, mit Rachid Hamdani und seiner Frau bin ich noch in Kontakt. Einmal im Jahr komme ich in die Schweiz und besuche die beiden. Auch mit einigen der Botschaftsmitarbeiter bin ich regelmässig in Kontakt. Da hat sich eine Freundschaft aufgebaut.

«Natürlich bin ich nicht so naiv, den Versprechungen der Libyer zu glauben, dass ich freies Besuchsrecht habe, und schon gar nicht, dass ich in einer Villa untergebracht werde und bald schon freikommen sollte. Aber was bleibt mir anderes übrig, als in die Fussstapfen des Arnold Winkelried zu treten und für mein Heimatland ein Opfer zu erbringen?»
Auszug aus «Gaddafis Rache»

Die Presse kommt nicht gut weg in Ihrem Buch. Vor allem die «Tribune de Genève», die damals Fotos von der Verhaftung Hannibal Gaddafis publizierte, bekommt ihr Fett weg. 
Die Aufgabe der Presse ist es, die Politiker und die Mächtigen zu kontrollieren. Aber in Libyen existierte das Prinzip der freien Presse nicht, die Vorstellung, dass Journalisten Machthaber kritisieren, war ungeheuerlich. Was die «Tribune» machte, war nicht nur unklug, sondern auch absolut unnötig. Der Fall war praktisch abgeschlossen, Merz hatte sich bei Gaddafi entschuldigt, und dann kam diese Zeitung mit den Bildern und zerschlug alle Hoffnungen. Die Veröffentlichung dieser Bilder hat uns alle zurückgeworfen und war wohl der Hauptgrund für die Entführung, die Schauprozesse und meine anschliessende viermonatige Haft.

Sie haben viel gelesen in der Haft. Stieg Larsson, Charles Dickens und – ausgerechnet – Hape Kerkelings Bestseller «Ich bin dann mal weg». 
Ich habe das Buch von irgendjemandem geschenkt bekommen und konnte deshalb nicht wählerisch sein. Es war interessant, aber vielleicht tatsächlich nicht die optimale Gefängnislektüre (lacht).

Die Chronik der Libyen-Affäre
15. Juli 2008: Hannibal Gaddafi, ein Sohn des libyschen Staatschefs, und seine Frau Aline werden im Genfer Hotel Président Wilson festgenommen wegen Verdacht auf Misshandlung von zwei Hausangestellten.

19. Juli 2008: In Libyen werden die Schweizer Geschäftsleute Max Göldi und Rachid Hamdani festgesetzt wegen angeblicher Verstösse gegen Einwanderungs- und andere Gesetze. Sie dürfen nicht ausreisen, finden aber in der Schweizer Botschaft Unterschlupf.

Herbst 2008: Die Schweiz verweigert eine von Libyen verlangte Entschuldigung für die Festnahme Hannibal Gaddafis. Libyen beginnt mit wirtschaftlichen Sanktionen gegen die Schweiz.

Ende Dezember 2008: Der Schweizer Rechtsprofessor Lucius Caflisch stellt in einem Untersuchungsbericht fest, die Genfer Polizei habe gegenüber Gaddafi nicht unrechtmässig, aber unangemessen gehandelt.

20. August 2009: Bundespräsident Hans-Rudolf Merz entschuldigt sich in Tripolis beim libyschen Regierungschef Al Mahmudi für die Festnahme der Gaddafis. Es wird ein Vertrag abgeschlossen, der die Normalisierung der Beziehungen und ein Schiedsgericht vorsieht. Er wird nie eingehalten.

24. September 2009: Merz trifft in New York den libyschen Staatschef Gaddafi und fordert die Freilassung der festgehaltenen Schweizer. Gaddafi fordert eine Entschuldigung für die Veröffentlichung von Polizeifotos von Hannibal in der «Tribune de Genève».

4. November 2009: Da sich Libyen nicht an die Verpflichtungen hält, sistiert der Bundesrat das Abkommen vom 20. August. Die Schweiz erstellt eine Liste mit über 188 hochrangigen Libyern, die zu «unerwünschten Personen» im Schengenraum erklärt werden.

30. November 2009: Die festgehaltenen Schweizer werden wegen Visavergehen und illegaler wirtschaftlicher Tätigkeit von einem Gericht in Tripolis zu 16 Monaten Haft und zu einer Busse von umgerechnet 1600 Franken verurteilt.

31. Januar bis 11. Februar 2010: Ein Gericht in Tripolis kassiert das Urteil. Hamdani wird von allen Vorwürfen freigesprochen. Göldi erhält eine Busse von 860 Franken und eine viermonatige Haftstrafe.

15. Februar 2010: Libyen verweigert Bürgern von Schengenstaaten die Einreise – als Retourkutsche für die Schweizer Visa-Restriktionen.

22. Februar 2010: Kurz vor Ablauf eines Ultimatums verlässt Göldi die Schweizer Botschaft und lässt sich von libyschen Polizisten ins Gefängnis bringen. Rachid Hamdani kommt frei.

16. März 2010: Der Kanton Genf bedauert in einer Eingabe an das zuständige Gericht die Veröffentlichung der Polizeifotos von Hannibal Gaddafi. Diesem stehe eine angemessene Entschädigung zu.

24. März 2010: Auf Druck der EU erklärt sich der Bundesrat bereit, Visa-Restriktionen gegen die libysche Führungsriege aufzuheben.

27. März 2010: Libyen und die EU einigen sich auf ein Ende des Schengen-Visa-Streits.

12. April 2010: Ein Genfer Richter gibt Hannibal Gaddafi in der Affäre um die publizierten Polizeifotos in der «Tribune de Genève» Recht. Die Veröffentlichung habe seine Persönlichkeit verletzt.

10. Juni 2010: Göldi hat das Gefängnis verlassen. In einem Hotel in Tripolis wartet er darauf, dass er das Land verlassen kann.

13. Juni 2010: Aussenministerin Calmy-Rey und ihr spanischer Amtskollege Miguel Angel Moratinos treffen in Tripolis ein. Calmy-Rey kündigt an, Göldi könne noch am selben Tag Libyen verlassen. Auch der italienische Premierminister Silvio Berlusconi trifft in der libyschen Hauptstadt ein. Am späten Nachmittag empfängt Libyens Staatschef Muammar Gaddafi Micheline Calmy-Rey in seinem Zelt, mit dabei sind auch Silvio Berlusconi, die Aussenminister Libyens und Spaniens und die Premierminister Maltas und Sloweniens. Am späten Abend fliegt Max Göldi in einem Linienflugzeug von Tripolis ab. Eine offizielle Bestätigung gibt es bis Redaktionsschluss nicht. Göldis Anwalt Salah Zahaf bestätigt gegenüber der Nachrichtenagentur SDA nur, Göldi habe ein Flugzeug bestiegen und dieses werde demnächst abheben. Die Nachrichtenagentur Ansa meldet zudem, dass auch die Schweizer Aussenministerin Micheline Calmy-Rey und ihr spanischer Amtskollege Miguel Angel Moratinos das Land verlassen haben. (sda)
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14 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
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Don Quijote
31.10.2018 08:24registriert April 2015
Spannend, in den einzelnen Medien die unterschiedlichen Interviews zu lesen. Hier liegt der Fokus mehr auf der Medienkritik, beim "Schwesterblatt" AZ bekommt Calmy-Reys Führungsstil am meisten Kritik.
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LeChef
31.10.2018 10:00registriert Januar 2016
Interessant, wie Merz für die ganze Schweiz immer der Buhmann war und Calmy-Rey als Frau, die Göldi nach hause holte, in die CH-Geschichte einging. Und für Göldi selbst war es anscheinend genau umgekehrt.
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Olmabrotwurst vs. Schüblig
31.10.2018 08:53registriert Dezember 2014
Das mit dem Jetski hätte ich auch favoritisiert , voll james bond style und dann auf dem Meer ein französisches Schiff mit schweizer Spezialeinheit.
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Du denkst, hier war es die letzten Tage windig? Schau mal nach Madeira

Wer nach Madeira fliegen will, sollte besser kein Problem mit holprigen Landungen haben. Der Flughafen der zu Portugal gehörigen Atlantikinsel vor der westafrikanischen Küste gilt als einer der schwierigsten weltweit. Nur Piloten mit einem Spezialtraining dürfen ihn anfliegen. Weil er nur wenige Meter von der Küste entfernt liegt, sind sogenannte Scherwinde dort an der Tagesordnung. Und was diese mit einem landenden Flugzeug machen (können), siehst du im Video. Schnall dich besser an, es wird holprig!

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