Rund 95'000 in der Schweiz lebende Türken sind derzeit aufgerufen, über die umstrittene Verfassungsreform abzustimmen, die Staatspräsident Erdogan mehr Macht verleihen soll. Seit Anfang letzter Woche können sie in speziell dafür eingerichteten Wahllokalen in den türkischen Generalkonsulaten in Zürich und Genf sowie in der Botschaft in Bern ihre Stimme abgeben. Wer am letzten Donnerstag seinen Stimmzettel einwarf, konnte in den Wahllokalen auf einen prominenten Besucher treffen: Mustafa Yeneroglu, Abgeordneter der regierenden AKP und Vorsitzender der Menschenrechtskommission des türkischen Parlaments.
Der 42-Jährige besichtigte die Wahllokale in Zürich, Bern und Genf in seiner Funktion als Leiter der «Koordinationsstelle für Wahlen im Ausland» der AKP. Gemäss einem Bericht der Post Gazetesi, einer türkischsprachigen Zeitung aus der Schweiz, überprüfte er als Wahlbeobachter für seine Partei, ob die Abläufe in den Schweizer Wahllokalen ordnungsgemäss waren. Fotos in sozialen Medien zeigen, dass sich Yeneroglu auch mit den Generalkonsuln, dem Botschafter sowie einzelnen Wähler unterhielt.
Doch Mustafa Yeneroglus Interessen reichen weiter über die Formalitäten des Wahlablaufs hinaus. Er hat sich seit dem Putschversuch in der Türkei im letzten Sommer als Erdogan-Sprachrohr in den deutschen Medien etabliert – unbeirrt vertritt er die Position des türkischen Präsidenten in Talkshows wie «Maybritt Illner» oder «Anne Will». Ob zum Völkermord an den Armeniern, zur Verhaftungswellen gegen Akademiker oder den Entlassungen von Richtern und Staatsanwälten: Yeneroglu weibelt stets um Verständnis für den Standpunkt von Erdogan und dessen Regierung.
In den letzten Monaten trat der in Deutschland aufgewachsene und ausgebildete Jurist Yeneroglu in Europa prominent für ein Ja zu Erdogans Verfassungsreform ein, sprach in Antwerpen, Wien und Stuttgart vor Wählern und gerne auch in Fernsehkameras und Mikrofone. Auf Twitter und Facebook verurteilte er deutsche Medien, die in seinen Augen unausgewogen über die Türkei berichten und kritisierte türkischstämmige deutsche Politiker, die Erdogans Reform ablehnen.
Die Schweizer Behörden waren über den Besuch Yeneroglus von vergangener Woche nicht informiert, wie Pierre-Alain Eltschinger, Sprecher des Eidgenössischen Departements des Äusseren (EDA), auf Anfrage erklärt. Dabei hatte der Wahlkampf zur Verfassungsreform auch hierzulande für Schlagzeilen gesorgt: Geplante Auftritte des türkischen Aussenministers Mevlüt Cavusoglu und von AKP-Parlamentarier Hursit Yildirim wurden aus Sicherheitsgründen verboten und konnten nur im privaten Rahmen stattfinden. Spitzelaktionen gegen vermeintliche Anhänger der Gülen-Bewegung fanden den Weg in die Öffentlichkeit.
Als sein türkischer Amtskollege dann doch noch den Weg in die Schweiz fand, fand Aussenminister Didier Burkhalter (FDP) in einem Communiqué zum Besuch ungewöhnlich deutlich Worte: Er ermahnte die Türkei, Schweizer Gesetze einzuhalten und die Freiheitsrechte der hier lebenden Türken zu respektieren. Burkhalter betonte die Bedeutung der Meinungsäusserungsfreiheit in einer Demokratie. Die Schweiz erwarte von der Türkei, dass sie ihren internationalen Verpflichtungen in dieser Hinsicht nachkomme. Auf dieses Communiqué verweist nun auch EDA-Sprecher Eltschinger im Zusammenhang mit dem Besuch Yeneroglus in den Wahllokalen in der Schweiz.
Die Stadtpolizei Zürich will sich auf Anfrage nicht zu den Sicherheitsmassnahmen rund ums türkische Generalkonsulat äussern, auch nicht zur Frage, ob sie über den Besuch Yeneroglus informiert war. Sprecher Marco Cortesi sagt lediglich, dass man sich permanent im Austausch mit dem Generalkonsulat befinde. Mustafa Yeneroglu wollte keine Fragen über seinen Besuch in der Schweiz beantworten.