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Sepp Blatter spricht im Interview über seine Klage gegen Infantino

Sepp Blatter, der ehemalige Präsident des Weltfussballverbands Fifa, musste am Dienstag bei der Bundesanwaltschaft antraben. (Archivbild)
Der ehemalige Fifa-Präsident will seine Seite der Geschichte erzählen.Bild: TI-PRESS
Interview

«Mir ist der Kragen geplatzt» – so spricht Sepp Blatter über Fifa-Chef Infantino

Sébastian lavoyer / schweiz am wochenende
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Ex-Fifa-Präsident Sepp Blatter spricht über die Klage gegen seinen Nachfolger, Platinis Pläne und eine geplante Operation. Der ehemalige Fifa-Präsident will seine Seite der Geschichte erzählen. Auch die Affäre um Bundesanwalt Michael Lauber hat etwas mit Blatter zu tun.
11.05.2019, 17:0512.05.2019, 01:52

Die Wolken hängen tief an diesem Freitagvormittag. Es nieselt leicht. Im Restaurant Sonnenberg, auf der Südseite des Zürichbergs, werden die Tische gedeckt. Am Mittag steigt hier der «Gusti-Cup», von der Bilanz einst als «geriatrisches Treffen für Lokalprominenz» bezeichnet. Das Gourmet-Haus ist im Besitz des Weltfussballverbandes. Hier ist Blatter ein gern gesehener Gast, hier nennen sie ihn noch immer «Patron». Blatters Gang ist leicht schleppend. Am 10. März wurde der ehemalige Fifa-Präsident 83 Jahre alt.

Sie wollen Fifa-Präsident Gianni Infantino verklagen. Warum haben Sie das nicht einfach gemacht, sondern gingen damit an die Presse?
Sepp Blatter:
Weil mir der Kragen geplatzt ist und wir eine Klage einreichen werden. Das braucht Zeit, deshalb ging ich medial in die Offensive. Mein Anwalt hat mich darin unterstützt. Ich hatte genug. Es ist so viel passiert. Die Fifa verbreitete im Sommer 2016 Informationen über Zahlungen, die einfach nicht stimmen. Man hat mich in den Zeitungen dargestellt, als hätte ich die Fifa um Geld geprellt.

Was Sie bestreiten.
Es ist falsch. Ich habe nichts gemacht, das verboten wäre. Alle Zahlungen, die ich von der Fifa erhalten habe, waren so von den entsprechenden Gremien festgelegt und abgesegnet.

Die Fifa behauptete, Sie hätten für die WM 2014 in Brasilien einen Bonus von 12 Millionen Franken kassiert. Sie bestreiten, das Geld je erhalten zu haben.
Das Geld habe ich nie bekommen. Aber ich will das Geld auch gar nicht mehr. Was mich viel mehr nervt, ist, dass die Fifa den Eindruck erweckte, der ehemalige Generalsekretär Jérôme Valcke, sein damaliger Stellvertreter Markus Kattner und ich hätten uns das Geld gegenseitig zugeschanzt. Das ist eine Riesenfrechheit. Alles wurde von der Finanzkommission, dem Exekutivkomitee und später von der Compliance-Kommission abgesegnet. Alles ist in der Buchhaltung aufgeführt.

«Ich bin jetzt 83-jährig und habe genug von dem Getuschel hinter meinem Rücken.»

Sie sollen schon für die WM 2010 einen Bonus von elf Millionen erhalten haben.
Es waren zehn Millionen. Aber das habe ich auch nie in Abrede gestellt. Das hat mir das Exekutivkomitee bewilligt, weil ich den Mut hatte, mit der Weltmeisterschaft nach Afrika zu gehen.

Es geht Ihnen um den moralischen Schaden?
Genau, das ist mein Hauptthema. Ich bin jetzt 83-jährig und habe genug von dem Getuschel hinter meinem Rücken. Ich will eine Richtigstellung.

Sie und Infantino haben sich einst ganz gut verstanden. Wie kam es zum Zerwürfnis?
Als ich Ende 2015 ging, habe ich nicht einmal meinen Pass mitgenommen, weil ich dachte, dass die Suspendierung ohnehin nicht lange Bestand haben wird. Ich habe mich getäuscht. Alle meine persönlichen Dinge waren also noch bei der Fifa. Als Infantino zum Fifa-Präsidenten gewählt wurde, sagte er mir, ich solle ihm eine Liste machen, mit allen Punkten, die noch zu erledigen wären. Er sagte, er würde sich darum kümmern. Nach dem Fifa-Kongress im Mai 2016 war dann plötzlich alles anders. Ich bekam eine Notiz, dass ab jetzt alle Angelegenheiten über unsere Rechtsanwälte laufen würden.

Wann hatten Sie letztmals persönlichen Kontakt mit Infantino?
Das war Ende März, Anfang April 2016. Er kam zu mir ins Präsidialhaus, wo ich noch bis 2021 eingemietet bin. Wir haben zusammen ein Glas Wein getrunken und er hat mir gesagt, ich soll ihm diese Liste machen. Seither ist, wie man militärisch sagt, Funkstille.

Sie haben also Ihre persönlichen Dinge nicht zurückerhalten?
Bis Ende März ist nichts passiert. Mit einer Ausnahme: Man hat mir meine Effekte zugestellt. All die Dinge, die ich über die Jahre erhalten habe. Erinnerungen, Trikots von Spielern mit meinem Namen drauf, Bilder, Medaillen, persönliche Auszeichnungen, einen Teil meiner Uhren.

Aber?
Die «Haute Technologie»-Sammlung war nicht dabei. Dieses Verhalten ist schikanös und respektlos. So sass ich eben mit meinem Anwalt zusammen und diskutierte darüber, wie ich zu dem komme, was mir rechtmässig zusteht. Er schlug eine Klage vor.

Wann klagen Sie?
Eine Klage braucht Zeit. Es wird sicher Mitte Juni. Und es kann lange dauern. Deshalb mein medialer Vorstoss.

Würden Sie die Klage fallen lassen, wenn Sie Ihre Uhren erhielten?
Die Uhren sind nur Nebensache. Wichtig ist mir die moralische Rehabilitation. Und überhaupt: Diese Frage stellt sich momentan nicht. Wir reichen jetzt zuerst einmal diese Klage ein und dann schauen wir, wie die Fifa reagiert.

Wie sehr hängt Ihr Vorpreschen mit den Geschehnissen rund um Bundesanwalt Michael Lauber zusammen? Gegen ihn wird ein Disziplinarverfahren eröffnet.
Das hat natürlich eine Bedeutung. Bei den drei Treffen zwischen dem Bundesanwalt mit Infantino ging es ja nicht nur um den Fall, der gegen die Uefa eröffnet wurde. Offenbar haben die auch über meinen Fall gesprochen, das ist so durchgesickert.

Die Bundesanwaltschaft hat im September 2015 ein Verfahren gegen Sie eröffnet wegen ungetreuer Geschäftsführung.
Es ging um eine Zahlung von zwei Millionen Franken an Platini aus dem Jahr 2011. Wir beide wurden damals einvernommen. Seither habe ich von der Bundesanwaltschaft nichts mehr gehört. Obwohl die Suspendierung gegen mich und Platini nur auf diesem Verfahren beruht.

«Ich habe zu oft vertraut. Dafür muss ich mich an der Nase nehmen.»

Die Zahlung erfolgte Jahre, nachdem Platini für Sie arbeitete.
Als er beratend für mich tätig war, hatte die Fifa nicht genug Geld, um ihn zu zahlen. Also haben wir das nachgeholt. Und es lief alles korrekt, wie die Bundesanwaltschaft festgestellt hat. Die Zahlung ist in der Lohnbuchhaltung, wir haben Sozialabgaben bezahlt, Platini seine Steuern darauf.

Warum dauert es so lange, bis die Bundesanwaltschaft ein Urteil fällt?
2016, als es zum Treffen zwischen Infantino und dem Bundesanwalt kam …

Blatter rudert mit den Armen, als möchte er andeuten, dass Infantino Lauber damals gebeten haben könnte, die Angelegenheit in die Länge zu ziehen.

Viele Ihrer ehemaligen Fifa-Kollegen haben sich von Ihnen abgewendet, Sie enttäuscht. Wie gehen Sie damit um?
Ich habe zu oft vertraut. Dafür muss ich mich an der Nase nehmen. Aber mein Lebensmotto ist: Wer nie ein Risiko eingeht, wird nie etwas gewinnen.

Waren Sie leichtgläubig?
Nein, das nicht, aber zu wenig kritisch. In der Position, in der ich war, darf man nicht nur geben, sondern sich auch fragen, wem man gibt und warum.

«Es geht mir gut, es geht mir wirklich gut.»

Jean-Paul Brigger war einst ein Freund, dann wendete er sich von Ihnen ab. Auch dort Funkstille.
Nicht mehr. Er hat mir vor zwei Monaten zum Geburtstag gratuliert. Ich habe ihm zurückgeschrieben. Ich habe ihm gesagt, dass wir uns doch mal treffen könnten. Er arbeitet jetzt ja in Naters und ich bin ja oft in Visp.

Und wie ist Ihr Verhältnis mit Platini? Er galt als Ihr Ziehsohn, fühlte sich dann von Ihnen verraten.
An einem Mittagessen mit Journalisten hat er gesagt, dass er unterdessen nicht mehr denkt, dass ich ihn verraten habe. Im Herbst endet seine Suspendierung. Er bereitet etwas vor.

Was?
Das weiss ich nicht. Aber er hat abgenommen, zuletzt wieder trainiert. Da geht etwas.

Wie geht es Ihnen gesundheitlich?
Es geht mir gut, es geht mir wirklich gut. Aber am Donnerstag nächste Woche muss ich ins Spital, um das rechte Knie zu reparieren. Zum Glück läuft der Motor, Kopf und Herz sind gesund. Die Karosserie muss man flicken, wie bei einem Auto.

Haben Sie irgendwelche unerfüllten Wünsche?
Dass die Sache mit der Fifa zu einem Abschluss kommt. Die Bundesanwaltschaft muss jetzt endlich klagen oder aufhören. Wenn das durch ist, will noch ein Buch schreiben. Quasi meine Memoiren.

Wann waren Sie eigentlich zuletzt bei einem Fussballspiel?
In einem grossen Stadion? In Russland. Ich habe zwei WM-Spiele gesehen. Ansonsten gehe ich nur in kleine Stadien. Wenn ich im Wallis bin, gehe ich mal Visp schauen. Aber ich verfolge den Fussball natürlich.

Wie geht es dem Fussball?
Dem Fussball geht es gut. Aber es gibt eine Gefahr des Überdrusses.

«Die Preise werden höher und höher, weil die Klubs mehr Geld brauchen. Für die Organisation, die Spielersaläre.»

Wie meinen Sie das?
Wenn man neue Wettbewerbe einführt, die Wettbewerbe ausweitet. Das Fernsehen gibt Geld, verlangt aber, dass man für die Spiele bezahlt. Öffentlich-rechtliche Sender haben immer öfter das Nachsehen.

Ist das eine Gefahr für den Fussball?
Die Leute zahlen schon viel, um ins Stadion zu kommen. Die Preise werden höher und höher, weil die Klubs mehr Geld brauchen. Für die Organisation, die Spielersaläre. Wenn man die Statistiken anschaut der laufenden Saison, dann stellt man fest, dass die grossen Ligen – Deutschland, Spanien, Frankreich, Italien und England – rückläufige Zuschauerzahlen haben. Das ist ein schlechtes Zeichen. Der Fussball muss zugänglich bleiben.

Und dann verabschiedet sich Blatter. Im Saal neben an warten Freunde. Unter ihnen auch Ex-Sportmoderator Beni Thurnheer, alt Stadtpräsident Thomas Wagner, Bob-Olympiasieger Jean Wicki und die Zürcher Fussball-Legenden Sven Hotz und Tommy Preiss. Hier wird er mit Schulterklopfern begrüsst. Man gratuliert ihm zum mutigen Schritt, zur Klage. Ein Heimspiel für den Mann von Welt.

Fifa soll unter politische Aufsicht gestellt werden

Video: srf

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Joseph Blatter, aufgenommen im Jahre 1966: Der Walliser mit Jahrgang 1936 studierte an der Universität in Lausanne Volkswirtschaft und schloss 1958 mit Diplom ab.
quelle: keystone / widmer
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11 Kommentare
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Hexenkönig
11.05.2019 17:13registriert September 2018
Ein Esel sagt dem anderen er habe grössere Ohren...
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Ursus der Schräge
11.05.2019 19:36registriert März 2018
Das zeigt einmal mehr, wie schamlos abgezockt wird. Offensichtlich nimmt man so locker 10 Millionen Franken, nur weil man die WM nach Afrika vergeben hat. Das wäre doch seine normale Arbeit gewesen. Nein Herr Blatter, zu viel Befremdliches ist passiert!
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HGS
11.05.2019 17:39registriert Februar 2014
Wenn der Blatter Sepp nur ahnte, wie er und seinesgleichen mit Raffgier, Rechthaberei, Anmassung und Verlogenheit unsere Ersatznerven strapazieren, so würde er sich still und schweigsam ins schöne Wallis zurückziehen sich seines Lebensabends erfreuen. Stattdessen droht er uns noch seine Memoiren an. Womit haben wir denn das schon wieder verdient.
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