Es war im März 2010. Eine geheime Risikokarte von Armeechef André Blattmann taxierte Griechenland als gefährdeten EU-Staat vor dem Bankrott. Als krisengefährdet listete die Karte auch Spanien, Italien, Frankreich und Portugal auf. Der Armeechef erntete einen Sturm der Entrüstung.
Nur fünf Jahre später geht Blattmanns Chef, Ueli Maurer, deutlich weiter. «Mit der Abstimmung in Griechenland ist dieses Drama nicht zu Ende», sagte der Verteidigungsminister gestern an der SVP-Delegiertenversammlung in Kerns OW. «Die Unruhen dürften eher zunehmen. Das Geld fehlt. Renten können nicht bezahlt werden. Vermutlich dürfte das erst der Anfang einer Entwicklung sein, die auch nach Europa überschwappen kann.»
Maurer befürchtet, Griechenland könnte zum Spielball von Grossmächten werden. «Falls Griechenland völlig destabilisiert wird, kommt vielleicht plötzlich ein ‹Retter›», sagt er gegenüber «Schweiz am Sonntag». Das könne die EU sein, vielleicht jemand anderer. Maurer denkt an Russland, auch an die Türkei. «Es zeigte sich, dass Russland ein Interesse hat am Vorgehen in Griechenland», sagt Maurer. Er schliesse nicht aus, dass Russland Einfluss zu nehmen versuche. Oder die Türkei als direkter Nachbar. Alexis Tsipras, der griechische Premierminister, sei immerhin schon zweimal in Russland gewesen, hält Maurer fest. «Er hat diese Kontakte.» Für ihn stellt sich die Frage: «Will Russland Einfluss nehmen? Oder ist es einfach an einer Pufferzone zur EU interessiert?»
Dass Verteidigungsminister Maurer mit seinen Befürchtungen nicht allein dasteht, zeigte sich am Festakt zum 60. Jahrestag des Nato-Beitritts Deutschlands, der am 30. Juli in Berlin stattfand. Er habe immer gesagt, dass es sich bei der Griechenland-Krise «nicht nur um eine finanzpolitische Angelegenheit der Europäischen Union» handle, sagte der deutsche Aussenminister Frank-Walter Steinmeier. Er habe betont, man müsse «auch die strategischen Konsequenzen im Blick» behalten. Die Länder jenseits der europäischen Grenzen würden sehr genau beobachten, ob die EU in der Lage sei, ihre internen Probleme zu lösen.
Mit diesen Ländern jenseits der europäischen Grenze sprach Steinmeier in erster Linie Russland an. Griechenland hatte im Schuldenstreit zuletzt den Kontakt zu Russlands Präsident Wladimir Putin gesucht. Inzwischen gilt die Zustimmung Griechenlands den EU-Sanktionen Russlands gegenüber als nicht mehr gesichert. Das hätte Folgen: Die Sanktionen müssen in der EU einstimmig beschlossen werden.
In den USA und in Brüssel kursiert die Angst, Griechenland könnte bei einem Ausscheiden aus der Eurozone in die Arme Moskaus getrieben werden. Das Land ist von geostrategischer Bedeutung: Es ist nicht nur EU-, sondern auch Nato-Mitglied und bildet die Südostflanke des Atlantischen Bündnisses.
Dass Russland Griechenland mit Geld an sich bindet, befürchtet Maurer zwar nicht ernsthaft. «Russland hat im Moment wohl das Geld dafür nicht», sagt er. Und auch Griechenland selbst sei so demokratisch, dass es sich «nicht einfach von Russland kaufen» liesse.
Was in Russland zurzeit geschieht, verfolgt der Verteidigungsminister genau. «Russland hat seit 20 Jahren nicht mehr so grosse Manöver durchgeführt wie jetzt gerade», hielt er vor den SVP-Delegierten fest. «Und Manöver gehören dazu, dem Gegner zu zeigen, wie stark man ist.» Die Nato ihrerseits reagiere und verschiebe Truppen und schwere Kampfmittel an die Grenze. Zudem habe Russland seit 2000 die Rüstungsausgaben in etwa verdreifacht.
Maurer glaubt, Europa und die umliegenden Staaten befänden sich in einem Prozess, «dessen Folgen man noch nicht wirklich definieren kann», sagt er. Klar sei nur, dass Unsicherheit und Intensität zugenommen hätten. «Wenn man über solche Dinge spricht, muss man einen Zeitraum von 20 Jahren im Auge behalten.»
In seiner Analyse betont Maurer, dass verdeckte Operationen Kriege ersetzt hätten. Das sei der Zeitgeist. «Man versucht mit verdeckten Operationen so geschickt zu destabilisieren, dass sich die Gegenseite genötigt sieht einzugreifen», sagt er. «Das kann Griechenland betreffen, die baltischen Staaten oder ein anderes Land.» Gleichzeitig beschaffe man sich über Spionage «illegal Informationen, um solche Prozesse möglicherweise steuern zu können». Maurer: «Das sind so meine Spekulationen. Aber Wissen ist immer Macht. Wer etwas weiss, hat Macht, kann das ausspielen.»
Ueli Maurer geht noch weiter. «Vielleicht verschwindet Griechenland auch wieder von der Landkarte und es entsteht etwas noch Wichtigeres», sagt er. «Namen sage ich bestimmt keinen. Sie können Spanien, Italien oder Frankreich nehmen, alles Staaten, die finanzielle Probleme haben.» Wer strategische Interessen verfolge, glaubt er, «könnte gezielt versuchen, Einfluss zu nehmen».