Es wird eine der ersten Bewährungsproben für die neue Justizministerin Karin Keller-Sutter: Die FDP-Bundesrätin muss im Parlament erklären, warum der Bundesrat die Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» ablehnt. Vor allem aber muss Keller-Sutter in den kommenden Monaten aufzeigen, wie der indirekte Gegenvorschlag des Bundesrats griffig umgesetzt werden könnte.
Die Regierung ist gegen die Initiative des SVP-nahen Egerkinger Komitees, die Gesichtsverhüllungen aller Art verbieten will und dabei in erster Linie auf Frauen in muslimischen Verschleierungen wie Burka oder Niqab zielt. Die Kantone sollen weiterhin selbst über ein Verhüllungsverbot entscheiden können, ein solches gehöre nicht in die Bundesverfassung.
Wie hält es Keller-Sutter damit? Als Ständerätin stimmte sie gegen ein nationales Verhüllungsverbot. In einer Ratsdebatte im Frühjahr 2017 wollte sie ihre Haltung allerdings rein formal verstanden wissen, allein deshalb, weil Verbote eben Sache der Kantone seien. Dass dort entsprechende Regeln angebracht sind, stand für Keller-Sutter ausser Frage. Zwar sei die Burka in der Schweiz nicht weitverbreitet, erklärte die Freisinnige bereits im Sommer 2016 dem «Sonntagsblick». «Ich finde aber, dass Frauen, die permanent in der Schweiz wohnen, keine solche tragen sollten.»
Der Bundesrat möchte die Regeln zumindest auf gesetzlicher Ebene verschärfen. Zum einen sollen Kontakte mit Behörden mit unverhülltem Gesicht erfolgen müssen. Zum anderen soll der Zwang, das Gesicht zu verhüllen, unter Strafe gestellt werden. Ob es dafür überhaupt neue Regeln braucht, ist freilich umstritten. Schliesslich verbietet das Gesetz schon heute jegliche Art von Zwang.
Für seinen Vorschlag erntete die Regierung in der kürzlich abgelaufenen Vernehmlassung viel Kritik. Derzeit wertet das Justizdepartement die Stellungnahmen von Parteien und Verbänden aus. Schon jetzt ist klar: Die meisten unterstützen den indirekten Gegenvorschlag zumindest zähneknirschend – aus taktischen Gründen. Denn ohne diesen dürfte die Burkainitiative an der Urne noch bessere Chancen haben, so der Tenor.
Dieser Ansicht sind auch die Vertreter der Tourismusbranche, deren Worte in der Debatte von grosser Bedeutung sind. Schliesslich träfe ein Verhüllungsverbot besonders arabische Reisende. Gäste aus den Golfstaaten machen unterdessen 2,5 Prozent der Erträge im Schweizer Tourismus aus, seit 2007 ist die Zahl ihrer Logiernächte laut Branchenangaben um 163 Prozent gestiegen. Im Berner Oberland bilden arabische Touristen sogar eines der drei wichtigsten Gästesegmente.
«Nur sehr wenige Frauen» trügen eine Ganzkörperverhüllung, schreibt der Schweizer Tourismusverband in einem Positionspapier. Die Initiative schiesse darum über das Ziel hinaus. «Sie problematisiert ein seltenes Phänomen und greift in die bewährte kantonale Regelungsautonomie ein.»
Ähnlich argumentiert der Verband Hotellerie Suisse in seiner Stellungnahme. Ein Gastgeber beurteile seine Gäste nicht nach Merkmalen wie Religion, sexueller Ausrichtung oder ethnischer Herkunft. Was also, wenn das nationale Burkaverbot kommt? Die Touristiker befürchten, dass zumindest ein Teil der arabischen Gäste wegbleiben könnte. Nicht wegen der direkten Auswirkungen, sondern weil ein Verbot auch für Musliminnen, die sich nicht verschleiern, ein Zeichen sein könnte, dass sie weniger willkommen wären.
Interessant ist aus hiesiger Sicht ein Blick nach Österreich, wo seit Oktober 2017 ein nationales Verhüllungsverbot gilt. Der Tourismus hat in der Alpenrepublik einen ähnlich hohen Stellenwert, und was für die arabischen Gäste hierzulande das Berner Oberland ist, ist für sie in Österreich die Region um Zell am See südlich von Salzburg. Seit den 1990er-Jahren zieht es Touristen aus Saudi-Arabien, Kuwait oder den Emiraten gerne und oft dort hin.
Vorerst zumindest hat das neue Gesetz arabische Touristen nicht von einer Reise nach Zell am See abgehalten. Im Gegenteil, wie die Statistiken des örtlichen Tourismusverbandes zeigen: In der wichtigen Sommersaison zwischen Mai und Juli 2018 nahm die Zahl der Übernachtungen sogar deutlich zu, obwohl auch noch der Fastenmonat Ramadan in diesen Zeitraum fiel. Im Vergleich zu 2017 stieg der Anteil arabischer Touristen in Zell im Sommer um 45 Prozent, in ganz Österreich immerhin um über 12 Prozent.
Die Zeller Polizei hatte wegen des Verhüllungsverbots allerdings alle Hände voll zu tun. Während der Sommersaison stiessen Polizisten auf rund 200 Burkaträgerinnen, die sie mittels Broschüren über die neuen Regeln aufklärten. Meistens hätten die Frauen eingewilligt, ihren Schleier abzunehmen, berichtete der örtliche Polizeichef den «Salzburger Nachrichten». «Zuerst ermahnen, dann strafen», lautet sein Credo. Nur wer den Schleier nach dem Hinweis der Polizei wieder aufsetzte, kassierte eine Busse von 30 Euro. (aargauerzeitung.ch)