Infektionen, psychische Beschwerden, Unfruchtbarkeit, Komplikationen bei der Geburt, starke Schmerzen beim Urinieren oder Sex – dies sind nur einige der Folgen, die Frauen davontragen, wenn sie als Baby oder Mädchen beschnitten werden. Das heisst: wenn ihnen Teile der Klitoris und/oder der Schamlippen entfernt werden oder ihnen noch dazu ihre Vaginalöffnung zugenäht wird.
Diese in Tradition begründete und in 25 Prozent der Fälle tödlich endende Praxis findet weltweit noch immer statt. Nicht nur, aber vor allem auf dem afrikanischen Kontinent.
Anlässlich des Weltfrauentags nahm das UN-Kinderhilfswerk Unicef erstmals seit 2016 eine neue, globale Schätzung zur Genitalverstümmelung vor. Das Resultat: Die Zahl der betroffenen Frauen und Mädchen ist weltweit um 30 Millionen Personen gestiegen. Ein Anstieg von 15 Prozent in acht Jahren. «Die meisten betroffenen Mädchen und Frauen (144 Millionen) leben in afrikanischen Ländern, gefolgt von 80 Millionen in Asien und sechs Millionen im Nahen Osten», schreibt Unicef weiter.
Simone Giger ist Projektverantwortliche Prävention beim «Netzwerk gegen Mädchenbeschneidung Schweiz». Das Netzwerk wird vom Bund unterstützt und führt unter anderem eine Anlaufstelle für Betroffene. Schockiert von den neusten Zahlen von Unicef ist Giger nicht. «Leider», wie sie zu watson sagt. «Die Praxis nimmt global gesehen nicht zu, aber die Bevölkerung wächst überdurchschnittlich schnell in den Regionen, in denen Beschneidungen von Mädchen und Frauen praktiziert werden.» Entsprechend stiegen die Zahlen der Betroffenen.
Was allerdings auch hineinspiele: Die politische und wirtschaftliche Instabilität in den «Prävalenzländern», wie Giger diejenigen Länder nennt, in denen die Zahl der betroffenen Mädchen und Frauen hoch ist. «Wir wissen aus der Vergangenheit, dass die schwächsten einer Gesellschaft als erstes leiden, wenn in ihrer Region Krieg, Not oder sonstige Instabilität herrscht. Und zu den Schwächsten gehören leider meistens Mädchen und Frauen.»
Während der Corona-Pandemie sei die Präventionsarbeit in den Prävalenzländern zudem ins Stocken geraten. Es habe sich darum längst abgezeichnet, dass die UNO ihr Ziel, bis 2030 die weibliche Genitalverstümmelung «ausgemerzt» zu haben, nicht erreichen werde.
Aus Gigers Sicht war dieses Ziel allerdings von Anfang an sehr ambitioniert. Gegen die weibliche Genitalverstümmelung vorzugehen, sei ein Mehrgenerationen-Projekt. Ein Prozess, der viel Zeit brauche. Denn für viele sei die Praxis eine bedeutende und identitätsstiftende Tradition. «Auch für manche Menschen, die in der Schweiz leben», sagt Giger.
Hierzulande seien etwa 22'000 Mädchen und Frauen von der Genitalverstümmelung betroffen oder durch sie gefährdet. Tendenz steigend. «Der hiesige Anstieg Betroffener und Gefährdeter ist ebenfalls auf die Bevölkerungszunahme von Menschen aus praktizierenden Ländern zurückzuführen», sagt Giger.
Jene, die ihre Töchter beschneiden wollten, täten dies nicht in der Schweiz, sondern im Ausland, so Giger. Dem Schweizer Gesetz entziehen können sich diese Eltern so allerdings nicht.
Seit 2012 existiert ein eigener Gesetzesartikel, der jegliche Form der weiblichen Genitalverstümmelung unter Strafe stellt. Strafbar macht sich nicht nur, wer aktiv eine Beschneidung vornimmt, sondern beispielsweise auch, wer eine Beschneidung zulässt oder sie nicht verhindert. Egal, wo auf der Welt diese stattgefunden hat.
«Dieser Gesetzesartikel war ein sehr wichtiger Schritt», sagt Giger. Auch viele Eltern, die ihren Töchtern eine Beschneidung ersparen wollten, seien froh um ihn. Auf ihnen laste nämlich häufig ein enormer Druck seitens ihrer Familien in den Heimatländern. Das weiss Giger, weil diese Eltern immer wieder ihre Beratungsstelle aufsuchen.
«Ihre Familien drohen mit Ausschluss aus der Gemeinschaft oder werfen ihnen Dinge vor wie: ‹Wenn ihr eure Tochter nicht beschneidet, seid ihr keine richtigen Muslime.›» Dabei habe die weibliche Genitalverstümmelung nichts mit Religion zu tun. Die Praxis fusse auf einer tiefen, frauenverachtenden Weltanschauung, so Giger.
Es seien auch Fälle bekannt, in denen Verwandte die Beschneidung eines Mädchens aus der Schweiz selbst in die Hand genommen haben. Die Eltern liessen die Tochter während den Ferien im Heimatland bei einem Onkel zu Hause, um kurz Freunde zu besuchen. Als sie zurückkamen, sei die Tochter beschnitten gewesen. Gerade vor solchen Situationen schütze der Schweizer Gesetzesartikel gegen Genitalverstümmelung. Giger fügt an:
Das Netzwerk gegen Mädchenbeschneidung Schweiz hat inzwischen 23 Kantonen dabei unterstützt, medizinische und beratende Angebote für Betroffene und Gefährdete zu schaffen. Und just diesen Februar nahm eine neue regionale Anlaufstelle für Betroffene im Kanton Zürich ihren Betrieb auf.
Giger freut sich sehr über diese neuste Entwicklung. Denn im Kanton Zürich würden schweizweit die meisten betroffenen und gefährdeten Frauen und Mädchen leben – rund 2900.
Ähnliches gilt bei der beschneidung der jungs, egal welches motiv die hat(ausser med. Notwendig)