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Jetzt live: Nationalrat debattiert über die EU-Politik der Schweiz

Alle Fraktionen bedauern Verhandlungsabbruch mit der EU – ausser die SVP

In einer hitzigen Debatte hat der Nationalrat eine Auslegeordnung zur Europapolitik vorgenommen. Mit Anschuldigungen wurde nicht gespart. Der Verhandlungsabbruch wurde von fast allen Fraktionen bedauert. Nur die SVP sprach von einem Freudentag.
15.06.2021, 08:0615.06.2021, 14:38
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Rahmenabkommen Schweiz EU
Wie soll sich die Beziehung der Schweiz zur EU weiterentwickeln?

Wie weiter nach dem Abbruch der Verhandlungen über ein Rahmenabkommen mit der EU? Erstmals nach dem Entscheid des Bundesrats hat der Nationalrat am Dienstag diskutiert, wie es in der Europapolitik weitergehen soll.

«Der Rauch ist langsam verzogen», sagte SP-Nationalrat Cédric Wermuth (ZH) und «diese Suppe haben viele Köche versalzen». Die SP sei aber vor allem eines, nämlich enttäuscht.

Es stünden nun folgende Schritte an, sagte Wermuth: Die Freigabe der Kohäsionsmilliarde und die sozialpartnerschaftliche Annäherung an die EU. «Weiter sollten wir der EU anbieten, dass sich die Schweiz solidarisch bei der Bewältigung der Covid-Krise, der Klimakrise und der Migrationskrise beteiligt», erklärte er.

Und schliesslich solle ernsthaft die Debatte um EU-Beitrittsverhandlungen aufgenommen werden. «Es ist Zeit für mehr Zusammenarbeit und Solidarität in Europa und nicht Zeit für weniger Solidarität und Alleingang», schloss er.

GLP will weiter verhandeln

Die GLP-Fraktion will das Rahmenabkommen noch nicht beerdigen. Sie forderte den Bundesrat auf, die Verhandlungen wieder aufzunehmen. Roland Fischer (GLP/LU) erklärte, der Abbruch der Verhandlungen sei ein «Schock» für seine Fraktion. «Wir fordern den Bundesrat auf, die Verhandlungen um ein Rahmenabkommen wieder aufzunehmen und ein Abkommen zu unterzeichnen.»

«Der Bundesrat hat einen schweren Fehler gemacht, ohne einen Ersatzplan», ergänzte Jürg Grossen (GLP/BE). Die vom Bundesrat vorgeschlagenen Schritte wie die Freigabe der Kohäsionsmilliarde, die autonome Rechtsübernahme und politische Dialoge seien kein Konzept für langfristig stabile Beziehungen zur EU. «Das ist eine Bankrotterklärung des Bundesrats», erklärt Grossen. Das Rahmenabkommen sei noch immer der Königsweg.

Status Quo ist keine Lösung

«Demokratie muss in einer sich stetig verändernden Welt mehr bieten als den Status Quo», sagte Balthasar Glättli (Grüne/ZH). «Der Bundesrat hat weder eine politische Vision, noch einen Plan B», meinte er. «Wir sind nicht zurück auf Feld eins, sondern auf Feld null.» Nun müssten die Lehren gezogen werden: «Wir müssen nun den Souveränitätsfetisch hinterfragen.»

«Der Status Quo steht nicht zur Auswahl», bilanzierte auch Elisabeth Schneider-Schneiter (Mitte/BL). Die Schweiz brauche einen politischen Dialog - mit der EU-Kommission und mit den Nachbarstaaten. Die Beziehungen zu den Nachbarn seien in den vergangenen Jahren zu wenig gepflegt worden. «Wir brauchen ein Konzept für diese Beziehungen», meinte sie.

«Es wird sich zeigen, wie ernsthaft es der SVP tatsächlich ist, den Bilateralen weiter zu gehen», sagte Schneider-Schneiter mit Blick auf die Kohäsionsmilliarde. Auch die Forderung nach einem EU-Beitritt, die die SP nun wieder stelle, helfe wenig, einen guten Weg zu finden, meinte sie.

Sternstunde der Eidgenossenschaft

Die SVP will die Kohäsionsmilliarde nicht sprechen, wie Roger Köppel (ZH) erklärte. «Der 26. Mai 2021 war ein Freudentag, eine Sternstunde der Schweizer Eidgenossenschaft», sagte Köppel.

Ausführlich dankte er allen, die nach seiner Auffassung den Abbruch der Verhandlungen befürworteten. «Wir danken dem Bundesrat, dass er die Kraft und den Mut gefunden hat, aus diesen Verhandlungen auszusteigen. Wir danken insbesondere den beiden FDP-Bundesräten Ignazio Cassis und Karin Keller-Sutter.» Sie hätten erkannt, dass das Rahmenabkommen kein gangbarer Weg sei.

Für die FDP-Fraktion hätten stabile Beziehungen zur EU einen hohen Wert, sagte Beat Walti (ZH). Ohne Grenzgänger und Personenfreizügigkeit wäre vieles in der Schweiz nicht möglich, sagte er. «Der Abbruch erfolgte im vollständigen Wissen um die negativen Konsequenzen für die einzelnen Departemente», sagte Walti. Er hoffe auf den Erfolg der politischen Gespräche.

Cassis will bilateralen Weg weiterführen

Am Ende der Debatte stellte Aussenminister Ignazio Cassis fest, dass der Entscheid von Ende Mai noch immer «die Gemüter erhitzt». Die Schweiz habe einen grossen Schritt auf die EU zugemacht, weil sie die dynamische Rechtsübernahme und den Europäischen Gerichtshof akzeptiert habe.

Die Sicherheit des Lohnschutzes mit den flankierenden Massnahmen und nur eine eingeschränkte Übernahme der Unionsbürgerlichtlinie seien die roten Linien gewesen, die innenpolitisch abgestützt gewesen seien, sagte Cassis.

«Die Aufforderung des Bundespräsidenten, das Angebot der Schweiz nochmals vertieft zu prüfen, blieb ohne Antwort aus Brüssel», erklärte Cassis. Danach sei der Entscheid im Bundesrat getroffen worden.«Der Beschluss war eine Interessenabwägung.»

«Wenn du nur noch Grau vor dir siehst, bewege den Elefanten», zitierte Cassis ein indisches Sprichwort.

Es bleibe das Ziel des Bundesrats, den bilateralen Weg zu konsolidieren und auszuweiten. «Das Rahmenabkommen war ein möglicher weg, der nun gescheitert ist. Nun müssen wir andere Lösungen suchen.» (sda)

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190607 Bundesrat-PK zu Rahmenabkommen
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34 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Yolo
15.06.2021 10:24registriert Mai 2015
Wenn Köppel spricht, durchschlägt das Bullshitometer sämtlich messbaren Skalen. Der Typ ist eine Gefahr für die demokratische Institution Schweiz.
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whoozl
15.06.2021 09:44registriert November 2017
Mit der EU künftig nur noch "auf Augenhöhe" zu verhandeln, kann man schon wollen, aber die Schweiz sollte sich schonmal darauf einstellen, dass die Zeiten der Rosinenpickerei gezählt sind! Und bei 50% Export in die EU (und deren 7% zu uns) sollte der NR auch darüber diskutieren, wer am längeren Hebel sitzt!

Die bisherigen Zugeständnisse der EU waren reiner Goodwill, weil die EU davon ausging, die CH würde der EU beitreten. Das ist unserer Regierung offenbar zu Kopf gestiegen, indem sie meint, dass es immer schön so weitergeht. Aber sie verhandelt nicht auf "Augenhöhe" - hat sie nie!
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cille-chille
15.06.2021 11:47registriert Mai 2014
Naja.
Was soll ich sagen.

Wer Verhandlungen abbricht, manövriert sich gleichzeitig in eine schlechtere Position. Das schleckt keine Geiss weg.

In der Gewaltspirale, folgt nach dem Beziehungsabbruch die Gewalt....

Ich hätte lieber eine SVP, welche solange weiter (chätscht) verhandelt, bis sie mit ihren Argumenten überzeugen kann, als eine, welche zerschlagenes Geschirr, genussvoll belächelt und sich schelmisch freut....
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