Herr Regli, danke, dass Sie sich Zeit nehmen.
Schiessen wir doch gleich los.
Peter Regli: Gerne, Frau Roth, ich
habe mich hinsichtlich unseres Gespräches etwas schlau gemacht. Darf ich davon
ausgehen, dass Sie von diesem Gesetz nicht begeistert sind?
Begeistern tun mich andere Dinge. Ich fürchte
bloss, mit dem neuen NDG aufgrund meiner Recherche-Tätigkeit als Journalistin im
Netz des Nachrichtendienstes hängen zu bleiben.
Haben Sie ein schlechtes Gewissen?
Darum geht es ja überhaupt nicht.
Gut, dann sagen Sie mir jetzt mal, warum Sie überwacht werden
sollten.
Weil ich zu allen möglichen heiklen Themen im
Internet surfe: Dschihad, IS-Touristen, extremistische Gruppierungen.
Okay, aber damit sind Sie keine Gefahr für die nationale Sicherheit.
Stimmt, und trotzdem werde ich deswegen überwacht werden, sollten wir das neue Gesetz annehmen.
Bestimmt nicht! Der Nachrichtendienst hat
wirklich andere Prioritäten. Nehmen wir Frankreich als Beispiel. Letzte Woche sagte Premierminister Manuel Valls, seine Dienste hätten 15'000 potenzielle Islamisten identifiziert. Sagen Sie mir bitte, wie
soll Valls mit seinen Mitteln 15'000 Menschen überwachen? Auch wenn man Daten aus der ganzen Welt
hätte, die man abhören und speichern könnte, ist es am Schluss der Mensch, der
sie auswerten muss. Wir alle wissen, wie wenig Mitarbeiter Markus Seiler hat, unser Chef des NDB. Sie können davon ausgehen, dass er Frau Roth nicht überwacht.
Herr
Seiler hat 300 Mitarbeiter. Die müssen aber nicht die per Kabelaufklärung gesammelten
Daten durchsuchen, das macht das Zentrum für elektronische Operationen der Armee für den NDB.
Richtig, aber wenn Sie da per Zufall hängen blieben, würden sich die Auswerter das anschauen und eine Triage machen. Die Informatiker würden feststellen, dass Sie eine Schweizerin und Journalistin sind, die bei watson arbeitet. Dann würde man Ihre Daten vernichten und nicht an den Nachrichtendienst weitergeben.
Klar, aber um dies abzuklären, hätte mindestens ein Mitarbeiter der Armee meine persönliche E-Mail-Kommunikation durchforstet. Sie müssen verstehen, dass mich das stört, um nicht vom Quellenschutz anzufangen, den ich nicht mehr garantieren könnte, weil ein Informatiker der Armee mitliest.
Frau Roth, Sie insistieren! Jetzt müssen Sie mir nur noch sagen, Sie wollen überwacht werden.
Wie bitte?
Nach der Fichen-Affäre 1990 hat das Verteidigungsdepartement viele Briefe von enttäuschten Bürgern erhalten, die sehr beleidigt waren, dass sie nicht fichiert worden sind. Sie dürfen sich nicht überbewerten. Sie sind für den Nachrichtendienst, der sich um die nationale Sicherheit kümmert, nicht interessant. Ausser Sie radikalisieren sich und treten in Kontakt mit gewissen Gefährdern, zum Beispiel in Frankreich oder Syrien. Dann wären Sie aber selber schuld, wenn man Sie näher anschauen würde.
Kontakt zu einem Chef-Terroristen? Interview mit dem sogenannten Islamischen Staat? Würde ich sofort machen!
Sie würden es aber nicht heimlich machen. Sie würden mit offenen Karten spielen. Indem Sie mit einem möglichen Terroristen reden, sind Sie selber noch lange nicht staatsgefährlich.
Der deutsche Soziologe Andrej Holm wurde jahrelang überwacht und dann mehrere Wochen ohne Anklage in U-Haft gesteckt, weil er über die falschen Fachbegriffe geschrieben und recherchiert hat.
Vergleiche mit Deutschland ziehen hier nicht. Deutschland hat andere Gesetze als die Schweiz. Sie dürfen auch die Kontrollen nicht vergessen, die das Parlament jetzt eingebaut hat. Ich kann Ihnen garantieren, dass die Kriterien, nach denen der Nachrichtendienst sucht, regelmässig von der unabhängigen Aufsichtsbehörde kontrolliert werden. Dabei geht es grösstenteils um ausländische Stichworte, nicht um Namen wie Roth, sondern eher um solche wie Abu Mohammed al Sowieso.
Leute, die solche Namen tragen, seien sie auch unbescholten, müssen also sowieso mit Überwachung rechnen.
Wenn sie unbescholten sind, werden auch diese nicht als nationales Sicherheitsrisiko eingestuft. Das Parlament hat mit diesem Gesetz wirklich ganze Arbeit geleistet und eine gute
Kompromisslösung gefunden, mit der die grosse Mehrheit der Parlamentarier einverstanden ist. Es handelt sich um ein modernes Gesetz und ein Paradebeispiel von Gesetzgebung in der Demokratie. Ihre Zweifel als Bürgerin sind berechtigt. Sie sollten aber etwas mehr Vertrauen in die Regierung und in unseren Nachrichtendienst haben.
Wie kann man nach zwei Fichen-Affären Vertrauen in den Geheimdienst haben?
Die erste Fichen-Affäre war 1990 und die zweite war 2010. Die Lehren aus ihnen sind in das neue Gesetz eingeflossen. Um 1990 war der Staatsschutz miserabel geführt, die Politiker
haben keine sauberen Vorgaben gemacht. Das ist heute anders. Wir sind ein demokratischer Rechtsstaat, die Spielregeln sind klar definiert und die werden auch eingehalten. Mit der neuen Kontrolle und Aufsicht des NDB stellt sich eher die Frage, ob dieser überhaupt noch arbeiten kann. Wir werden es nach einem Jahr Praxis sehen. Herr Seiler wird Ende 2018 Bericht erstatten. Vielleicht wird er dann erklären, dass er mehr Zeit mit den Überwachern verbringt, als damit, den islamistischen Terrorismus aufzuklären.
US-Präsident Barack Obama hat nach der Snowden-Affäre eine Studie in Auftrag gegeben, die zeigte, dass kein Fall gefunden werden konnte, in dem das Telefon-Abhörprogramm zur Aufdeckung eines zuvor unbekannten Plans oder zur Verhinderung terroristischer Angriffe beigetragen hätte.
Ich kenne die Studie nicht. Tatsache ist aber, dass in den letzten 24 Monaten europaweit Terroranschläge erfolgreich verhindert worden sind, und zwar auch mit Hilfe des Abhörens. Sie müssen wissen, dass das Abhören nur ein Mittel von vielen ist. Der wichtigste Teil ist immer noch die Human Intelligence, also Agenten, die mögliche Täter beschatten und deren Absichten ergründen.
Wie viele Agenten haben denn zu Ihrer Dienstzeit für Sie gearbeitet?
Sie erwarten nicht wirklich eine Antwort auf diese Frage?
Ich dachte, ich frage mal.
Fragen darf man immer.
Okay, können Sie sich dafür an einen Fall erinnern, bei dem Sie gerne die Möglichkeiten gehabt hätten, die der Geheimdienst sich jetzt wünscht? Wen hätten Sie abgehört?
Wir waren nur im Ausland tätig. Für die Aufklärung im Inland war die Bundespolizei zuständig. Im Nachgang des Kalten Krieges hätte ich sicher gerne mal jemanden im Ausland abgehört. Aber ich kann Ihnen ein aktuelles Beispiel nennen: Der verurteilte IS-Helfer Wesam A., der jetzt freigelassen wurde und den man nicht rückschaffen kann. In einem solchen Fall wäre es denkbar, dass der Bundesrat die Person überwachen lässt, weil sie potenziell gefährlich ist. Ein Bundesrichter müsste der Überwachung aber ebenfalls noch zustimmen.
Hätten Sie nicht auch gerne Ihren damaligen Mitarbeiter überwacht, der im Nachrichtendienst hunderttausende Franken veruntreute und danach Sie beschuldigte, Sie hätten ihn beauftragt, einen von der Regierung unabhängigen «Schattennachrichtendienst» zu finanzieren?
Nein. Er war ein normaler Krimineller, der von der Strafverfolgung geahndet und verurteilt wurde.
Wenn Sie damals keine Überwachung gebraucht haben, warum braucht man sie dann heute?
Zu meiner Zeit hatte der Cyber noch nicht die Bedeutung von heute. Heute übermitteln Terroristen zum Teil chiffriert. Das ist eine ganz neue Dimension. Früher hat man den Feind physisch gesehen. Der Cyberkrieger ist unsichtbar, bis etwas passiert und es zu spät ist. Wir sprechen von hybrider Bedrohung. Der Nachrichtendienst muss darauf reagieren können. Wir sprechen nun immer nur über Terrorismus. Eine viel grössere Gefahr ist in Zukunft die Bedrohung der kritischen nationalen Infrastruktur, auch durch Hacker-Angriffe.
Warum schraubt man dann die Überwachung hoch und nicht den Schutz vor Hackern?
Man macht natürlich beides. Leider muss man aber davon ausgehen, dass der Aggressor, auch technologisch, meistens einen Vorsprung hat. Der demokratische Rechtsstaat mit seinen
Spielregeln braucht Zeit. Der Aggressor ist in der Zwischenzeit immer einen
Schritt weiter.
Das NDG fokussiert aber ausschliesslich auf Überwachung,
nicht Schutz.
Die Benutzer der Systeme müssen sich selber schützen. Dank der Aufklärung kann der NDB aber feststellen, welche neuen Technologien der Gegner verwendet.
Kritiker des NDG monieren, der Schweizer Geheimdienst will mit dem neuen Gesetz bloss zum besseren Player im Datenhandelsgeschäft werden.
Das ist eine undifferenzierte Kritik. Wir haben immer von den Informationen ausländischer Geheimdienste profitiert. Diese haben dafür unsere neutralen, eigenständigen Lagebeurteilungen geschätzt. Wenn die ausländischen Partnerdienste heute merken, dass die Schweiz bezüglich Überwachung ein Vakuum darstellt, wo auch Terroristen sich verstecken könnten, werden sie ganz einfach selber aktiv. Das wollen wir, als souveräner Staat, vermeiden.
So ist es doch heute schon. Die Schweiz liefert Steuersünder ans Messer, das Ausland uns dafür Informationen über mutmassliche Terroristen. Wir müssen nicht auch noch selber unsere Bürger überwachen.
Ganz so einfach läuft es nicht. Wollen Sie, dass das ausländische Geheimdienste sind oder unser eigener? Wir müssen und wollen uns selber um unsere innere Sicherheit kümmern.