Viele Frauen quälen unerträgliche Schmerzen während ihrer Menstruation. Was immer noch häufig als normale Regelschmerzen abgetan wird, könnte in Wirklichkeit eine ernsthafte Erkrankung sein. Denn jede zehnte Frau leidet an Endometriose, einer Krankheit, die bis heute kaum erforscht ist.
Salome Helfenberger ist Oberärztin und Leiterin des Endometrioszentrums am Kantonsspital Aarau. Gegenüber watson erzählt die Ärztin von den Tücken dieser Krankheit und verrät, welche medizinischen Fortschritte sie sich für die Zukunft erhofft.
Frau Helfenberger, viele Frauen, die an Endometriose leiden, kriegen jahrelang beim Arzt den Satz «Das sind einfach normale Regelschmerzen» zu hören.
Salome Helfenberger: Ja, das ist leider häufig so.
Sind Gynäkologen auf diesem Gebiet einfach unwissend oder woran liegt es, dass Frauen im Durchschnitt erst nach sechs Jahren eine klare Diagnose erhalten?
Es liegt vor allem daran, dass Endometriose schwierig zu diagnostizieren ist. Man kann nicht einfach ein bisschen Blut nehmen oder einen Test machen. Letztlich kann eine Endometriose nur mittels Operation, einer sogenannten Bauchspiegelung, sicher diagnostiziert werden. Häufig liegt es aber auch an den Frauen selbst. Nicht nur Ärzte nehmen die Krankheit zu wenig ernst, sondern auch viele Frauen. Ich behandle immer wieder Patientinnen, für die die Schmerzen «normal» waren.
Wie reagieren ihre Patientinnen darauf, wenn sie die Diagnose Endomteriose erhalten?
Viele sind erstmal enorm
erleichtert. Die meisten Frauen haben etliche Arztbesuche hinter sich, waren schon in
der Notfallaufnahme. Wenn sie endlich eine Erklärung für die Ursache ihrer Schmerzen haben, ist das eine riesige
Erleichterung. Gleichzeitig kommen aber auch viele
Fragen und Sorgen auf.
Wann raten sie ihren Patientinnen zu einer Bauchspiegelung?
Da spielen viele Faktoren eine Rolle. Ich erkundige mich zuerst nach den Schmerzen. Das ist natürlich immer eine subjektive Angelegenheit. Aber wenn eine Patientin jedesmal wenn sie ihre Periode kriegt, Schmerzmittel nimmt und diese nicht wirklich helfen, ist das ein erstes Indiz. Auch bei Frauen, die während der Mens ausfallen, nicht zur Arbeit oder zur Schule können, werde ich hellhörig.
Sind es ähnliche Schmerzen, die Patientinnen plagen?
Nein. Sie können ganz unterschiedlich sein. Einige haben Schmerzen beim Stuhlgang oder Wasser lösen, andere Frauen klagen über Probleme beim Geschlechtsverkehr. Auch chronische Bauchschmerzen oder und ein unerfüllter Kinderwunsch können Hinweise für eine Endometriose sein.
Jede zehnte Frau ist von der Krankheit betroffen und doch weiss man bis heute kaum etwas darüber. Gibt es Theorien zu den Ursachen?
Vieles ist noch unklar. Es gibt verschiedene Theorien, aber keine kann bis jetzt alle Erscheinungsformen der Endometriose erklären. Eine davon ist, dass Blut und Gebärmutterschleimhautzellen während der Mens über die
Eileiter in den Bauchraum gelangen. Dies kommt auch bei 90 Prozent der gesunden Frauen
vor. Normalerweise werden diese Zellen vom Körper wieder abgebaut.
Und bei den restlichen 10 Prozent?
Bei Frauen
mit Endometriose lassen sich die Zellen im Bauchraum nieder und bilden
Endometrioseherde. Es kommt es zu einer lokalen Entzündungsreaktion, die die Schmerzen verursacht. Endometrioseherde
sind hormonabhängig und während der Periode am aktivsten. Deshalb sind die
Schmerzen während der Mens meist am stärksten.
Können auch Männer von der Krankheit betroffen sein?
Das ist eine absolute Rarität. Mir ist bislang kein solcher Fall begegnet.
Warum haben Sie sich auf die Endometriose spezialisiert? Worin liegt der Reiz am Erforschen dieser Krankheit?
Manchmal komme ich mir vor wie eine Detektivin. Die Symptome können sehr unterschiedlich sein, je nachdem wo die Endometriosenherde auftreten. Die Therapien werden auf jede einzelne Frau individuell abgestimmt. Bei schweren Formen braucht es die Zusammenarbeit von
verschiedenen Fachdisziplinen. Es braucht manchmal viel Zeit um
gemeinsam mit der Betroffenen die für sie beste Lösung zu finden. Aber der Aufwand
lohnt sich.
Ist es als Ärztin nicht frustrierend, gegen eine Krankheit zu kämpfen, deren Ursache kaum bekannt sind?
Es wäre durchaus hilfreich, wenn wir mehr über die Entstehung der Endometriose wüssten. So könnte zum Beispiel gezielter nach Medikamenten geforscht und diese in der Behandlung eingesetzt werden.
Ist Endometriose heilbar?
Heilbar ist sie nicht, aber behandelbar. Es handelt sich um ein chronische Erkrankung während der fruchtbaren Lebensphase der Frau. Das heisst, dass auch nach einer Operation immer wieder neue Herde und Schmerzen entstehen können. Häufig
kommt es zu Verwachsungen im Bauch, einerseits durch die Endometriose selbst,
andererseits auch durch Narbenbildung nach einer Operation. Das kann zu chronischen
Schmerzen führen. Ziel der Therapie ist, die Beschwerden möglichst zu beseitigen – oder mindestens zu verringern.
Sind Frauen mit Endometriose unfruchtbar?
Das muss nicht sein. Viele Frauen mit Endometriose werden spontan schwanger. Aber bei einigen können Schwierigkeiten auftreten. Denn die Krankheit kann zu einer Entzündungsreaktion und Verwachsungen im Bauchraum
führen. Dabei können die Eileiter verschlossen werden, wodurch eine Befruchtung
der Eizelle verunmöglicht wird. Auch können sich Endometriosezysten an den Eierstöcken bilden, wodurch diese
leiden können.
Was kann eine Frau tun, wenn bei ihr Endometriose diagnostiziert wird?
Es gibt verschiedene Therapiemöglichkeiten. Man kann die Endometrioseherde mithilfe einer Operation entfernen. Bei schweren Formen von Endometriose können das grosse und anspruchsvolle Eingriffe sein. Da ist es wichtig, dass das Behandlungsteam viel Erfahrung mit Endometrioseoperationen hat. Hilfreich sind auch hormonelle Behandlungen, beispielsweise mit einer Gelbkörperhormonpille oder einer Hormonspirale, die dafür sorgen, dass die Menstruation ganz ausbleibt. Bei Frauen mit aktuellem Kinderwunsch ist das natürlich keine Option.
Gibt es auch alternative Behandlungsmethoden?
Viele
Patientinnen profitieren bei Schmerzen von Physiotherapie und alternativen Methoden wie Akupunktur.
Bei chronischen Schmerzen ist die Zusammenarbeit
mit Schmerzspezialisten und bei manchen Frauen eine stationäre Rehabilitation
notwendig.
Wie hilft Physiotherapie?
Bei Schmerzen verkrampft sich die Muskulatur stark. Das führt zu grossen Verspannungen im Körper das wiederum zu noch mehr Schmerzen. Es ist ein Teufelskreis. Mithilfe von Bewegung und Muskelstärkung können diese Verspannungen gelöst werden. Wichtig ist auch, dass die Patientinnen lernen zu entspannen und ihre eigene Muskulatur besser wahrzunehmen.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Dass Frauen hartnäckig bleiben, auch wenn ihre Schmerzen zuerst als «normal» abgetan werden. Sie sollen darauf bestehen, weiter abgeklärt zu werden, am besten bei Ärzten mit viel Erfahrung im Bereich Endometriose. Nur so kann der lange Weg bis zur Diagnose verkürzt werden.