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Bundesrats-Kandidat Aeschi: «Ich war als Kind oft zu Besuch auf einem Bauernhof»

Interview

Bundesrats-Kandidat Aeschi: «Ich war als Kind oft zu Besuch auf einem Bauernhof»

SVP-Bundesratskandidat Thomas Aeschi über die Nähe zu Christoph Blocher, seine Kuh in Toni Brunners Stall und die Zuger Tiefsteuerpolitik.
02.12.2015, 14:5802.12.2015, 15:20
Anna Wanner und Stefan Schmid / Aargauer Zeitung
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Herr Aeschi, Sie kommen soeben aus den Hearings. Ihr Eindruck?
Es liegt nun an den anderen Parteien, mich einzuschätzen. Aber ich gehe mit einem guten Gefühl aus den Hearings hinaus. 

Steiler Aufstieg bis in die Schaltzentrale der SVP
Der 36-jährige Thomas Aeschi ist als ältester von drei Söhnen oberhalb von Zug aufgewachsen. 1998 erlangte er die Maturität Typus B. Im selben Jahr begann er ein Wirtschaftsstudium an der Universität St.Gallen (mit Auslandssemestern in Malaysia und Israel), das er 2002 mit dem Lizenziat abschloss. Seit 2008 ist er Unternehmensberater für die Strategieberatungsfirma Strategy&. Aeschi ist ledig und wohnt in Baar. In der Armee bekleidet er den Rang eines Oberleutnants. Seine politische Karriere ist kurz: 2010 wurde er in den Zuger Kantonsrat gewählt. Seit 2011 gehört er dem Nationalrat an, wo er rasch Zugang zum Führungszirkel der SVP rund um Christoph Blocher fand.

Nationalratskollegen äussern sich wenig schmeichelhaft über Sie: unnahbar, trocken, führungsschwach und streberhaft, sind Attribute, die Ihnen zugeschrieben werden.
Es ist klar, dass Nationalräte, die mit mir in einer Kommission sitzen, mich privat kaum kennen – um mehr über mich zu erfahren, müsste man mit Kanti-Kollegen oder Freunden reden. Allerdings halte ich es bewusst so, dass ich wenig Privates an die Öffentlichkeit dringen lasse.

Wie sind Sie aufgewachsen?
Ich bin als Sohn einer Krankenschwester und eines Beraters aufgewachsen und habe zwei jüngere Brüder. Einer von ihnen ist Anwalt, der andere inzwischen auch Unternehmensberater. Wir lebten in einem 1000-Seelen-Dorf oberhalb von Zug, einer landwirtschaftlich geprägten Gemeinde. Ich war mit sechs bis zwölf Jahren oft zu Besuch auf einem Bauernhof, wo mein bester Schulkollege wohnte. 

Am 9. Dezember wählt die Vereinigte Bundesversammlung die sieben Mitglieder der Landesregierung. Mit Doris Leuthard (CVP), Simonetta Sommaruga und Alain Berset (beide SP), Didier Burkhalter und Johann Schneider-Ammann (beide FDP) sowie Ueli Maurer (SVP) stellen sich sechs bisherige Bundesräte der Wiederwahl. Nach dem Rücktritt von BDP-Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf erhebt die SVP Anspruch auf einen zweiten Sitz. Sie schlägt dem Plenum den Tessiner Norman Gobbi, den Zuger Thomas Aeschi und den Waadtländer Guy Parmelin vor. Die «Nordwestschweiz» lässt die drei Kandidaten in einer Interviewserie zu Wort kommen. Den Auftakt bestritt gestern der Tessiner Norman Gobbi. Lesen Sie morgen zum Abschluss der Serie das Interview mit Guy Parmelin.

Gegenüber der «WOZ» sagte einer Ihrer Unikollegen, dass Sie auch mal von der Parteilinie abweichen und im privaten Kreis gegen die Bauern wettern.
Ein Unikollege? Wer war das?

Er äusserte sich anonym.
Das würde mich interessieren, wer das war. Denn mein Stimmverhalten ist öffentlich. Es zeigt, dass ich mich immer im Sinne der Bauern entschieden habe. Die Landwirtschaft und das Gewerbe sind das Rückgrat der Schweiz. Es kommt nicht infrage, dass wir im Stabilisierungsprogramm bei den Bauern Abstriche machen. Im Gegensatz zu Ausgaben im Kulturbereich und für Entwicklungshilfe, die stets wuchsen, sind jene für Bauern und die Armee zurückgegangen.

Blocher-Adlatus Aeschi? Zur Sprache kam dieses Thema lediglich bei einer Fraktion, liess Aeschi am Dienstag im «TalkTäglich» verlauten

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Wieso soll eine Berufsgattung stärker subventioniert werden als andere?
Wir haben eine schwierige geografische Struktur. Bauern können hier nicht annähernd so effizient produzieren, wie das in Frankreich, den USA oder Brasilien möglich ist. Neulich habe ich im Wallis eine Bauernfamilie besucht. Deren Wohnzimmer ist ungeheizt, die Wände hatten Risse, ein altes Transistorradio und ein Kachelofen standen in einer Ecke. Jeden Morgen um halb sechs melkt der Bauer die Kühe auf dem Hof, dann fährt er von einer Alp zur nächsten, um die Rinder zu tränken. Er ist den ganzen Tag unterwegs, um nach seinen Kühen zu schauen. Eine arbeitsintensive Tätigkeit mit bescheidenem Lohn, der immerhin reichen muss, um sich selbst, seine Frau und drei Töchter zu ernähren.

Wenn Sie Bundesrat wären, wo würden Sie sparen?
Es gibt viele Möglichkeiten, zum Beispiel im IT-Bereich, wo die Verwaltung beim Insieme-Skandal über 100 Millionen Franken in den Sand setzte. Probleme gibt es auch bei der Ausgleichskasse in Genf, beim Bundesamt für Strassen und anderen IT-Projekten. Bei den Löhnen in der Verwaltung bin ich der Meinung, dass wir weder Teuerungsausgleich noch Reallohnerhöhungen zahlen sollten – zumal wir Nullteuerung haben. Zum Glück hat das der Bundesrat jetzt erkannt.

Der Kanton Zug will weniger in den Finanzausgleich zahlen. Unterstützen Sie die Haltung Ihres Kantons?
Der Finanzausgleich ist ein wichtiges Instrument, um den Zusammenhalt der Schweiz zu stärken. Ob er richtig zusammengesetzt ist und auch funktioniert, muss man im Rahmen des nächsten Wirksamkeitsberichts hinterfragen.

Nochmals: Sollen reiche Kantone weniger zahlen?
Ich habe sehr wohl eine Meinung dazu. Aber der Ball liegt jetzt beim Bundesrat.

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Der Kanton Zug ist aufgefallen durch eine aggressive Tiefsteuerpolitik. Ist das eine Vision, die Sie für die ganze Schweiz haben?
Der Weg ist zu einem grossen Teil mit der Unternehmenssteuerreform III vorgespurt. Der Bundesrat schlägt vor, dass drei kantonale sowie zwei nationale Steuerregimes abgeschafft werden und im Gegenzug neue, international anerkannte Regimes eingeführt werden. Da stehe ich dazu – wobei wir einzelne Details noch anpassen wollen.

Sie sind gegen den automatischen Informationsaustausch von Bankdaten mit dem Ausland?
Die SVP ist klar dagegen.

Halten Sie die Steuerhinterziehung für ein Problem in der Schweiz?
Wir müssen zwischen Betrug und Hinterziehung unterscheiden. Letzteres ist ein Delikt, das beim Ausfüllen der Steuererklärung geschehen kann. Die meisten Schweizerinnen und Schweizer wissen nicht immer, wie sie etwas Bestimmtes deklarieren müssen. Ich beschäftige mich gerade mit der Frage, ob und wie ich die Kuh steuerlich angeben muss, die ich mir gekauft habe. Dass da Fehler entstehen, ist normal. Bloss soll niemand für einen Fehler derart bestraft werden, wie wenn er absichtlich Urkunden gefälscht hätte.

Sie haben eine Kuh?
Weil ich als Kind viel Zeit auf einem Hof verbrachte, wollte ich gerne Bauer werden. Den Traum konnte ich mir nicht erfüllen – das Leben hatte es anders gewollt. Aber immerhin habe ich mir jetzt eine Kuh gekauft, die bald ein Kälblein zur Welt bringen wird.

Für die sorgen Sie selbst?
Nein. Die Kuh ist im Stall von Toni Brunner.

Und er melkt die Kuh?
Jetzt gerade nicht, weil sie trächtig ist. Aber nach der Geburt, wenn das Kalb keine Milch mehr trinkt, wird er sie melken. Ich zahle ihm auch etwas für den Unterhalt. Lulu isst viel.

Lulu?
Ja, den Namen habe ich ihr nicht selbst gegeben. Ich habe das Rindli ausgewählt, weil es mir gefiel. Erst nachher habe ich erfahren, wie es heisst.

Und Sie gehen Lulu regelmässig besuchen?
Gerade am Samstag war ich da.

Haben Sie auf dem Heimweg noch einen Abstecher nach Herrliberg gemacht?
Nein. Ich bin vor Rapperswil auf die Autobahn und über die Pfnüselküste zurück nach Zug gefahren.

Nervt es Sie, dass Sie als Ziehsohn Christoph Blochers porträtiert werden?
Nein. Ich durfte viel von ihm lernen. Als ich vor vier Jahren neu anfing, waren wir zusammen in der Finanzkommission. Er agierte strategisch. Denn er wusste jeweils, wie die anderen reagieren würden. Seit seinem Rücktritt tauschen wir uns seltener aus. Ich sehe ihn aber immer wieder an Sitzungen des Zentralvorstands und an Delegiertenversammlungen. Hie und da telefonieren wir auch.

Kritiker befürchten, Sie bleiben ihm etwas schuldig, wenn Sie gewählt werden, weil er Ihnen zum Erfolg verholfen hat.
Ich bin niemandem etwas schuldig. Ich fälle meine eigenen Entscheide. Überhaupt hat die Partei Hearings durchgeführt, um genau solche Abhängigkeiten zu prüfen.

Stimmt es, dass Sie selbst einen SVP-Kandidaten aus der lateinischen Schweiz unterstützen?
Die SVP erhebt Anspruch auf einen der beiden lateinischen Sitze im Bundesrat. Sie sollen künftig nicht mehr nur der SP oder der FDP gehören. Wir streben diesen Wechsel an.

Wieso kandidieren Sie dann?
Die SVP wollte dem Parlament eine Auswahl bieten.

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Sie reden immer von der SVP: Sie sind ein strammer Parteisoldat!
Es gehört zur Konkordanz, dass man die Parteimeinung einbringen kann. Dann wird diskutiert und verhandelt. Wenn Mehrheitsentscheide fallen, stelle ich mich selbstverständlich hinter die Haltung des Bundesrats.

Sie politisieren wie die anderen Kandidaten auf Parteilinie. Wodurch heben Sie sich von der Konkurrenz ab?
Alle drei setzen sich für die Interessen der Schweiz ein. Also kann ich hinter jedem Kandidaten stehen.

Nochmals: Wieso sollte das Parlament Thomas Aeschi wählen?
Ich bin ein Schaffer und einer, der es gewohnt ist, schnell komplexe Situationen zu analysieren und Lösungsvorschläge zu präsentieren. Dazu kommt, dass ich wohl ein typischer Vertreter der jungen Generation bin – urban, mit ländlichen Wurzeln, der aber weit gereist ist.

Von Ueli Maurer weiss man, dass er im Bundesrat oft die Parteihaltung vertritt und damit meist unterliegt. Suchen Sie eher den Kompromiss?
Was Ueli Maurer im Bundesrat macht, kann ich nicht beurteilen. Mir geht es darum, Mehrheiten zu finden. Wenn Sie meine Arbeit in der Wirtschaftskommission anschauen, sehen Sie, dass wir mit den bürgerlichen Parteien viele Kompromisse geschmiedet haben.

Sie sind gar nicht so kompromisslos, wie Sie jeweils dargestellt werden.
Nein. Ich bin ein grosser Pragmatiker. Man kann nicht immer auf der Maximalforderung beharren. Aber es ist eine unterschiedliche Rolle, ob ich als Parlamentarier in der Legislative oder als Bundesrat in der Exekutive verhandle.

Das Interview mit dem Tessiner SVP-Bundesratskandidaten Norman Gobbi lesen Sie HIER.

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3 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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seventhinkingsteps
02.12.2015 16:03registriert April 2015
Der Teil mit seiner Kuh, die er in Toni Brunners Stall unterbringt, könnte so auch aus einem Giacobbo Müller Sketch stammen.
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