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Interview

FDP-Chef Philipp Müller: «Wir sind nicht SVP-Juniorpartner»

Am 15. Dezember 2015 erklärt Philipp Müller seinen Rücktritt als Präsident der FDP Schweiz.
Am 15. Dezember 2015 erklärt Philipp Müller seinen Rücktritt als Präsident der FDP Schweiz.
Bild: KEYSTONE
Interview

Philipp Müller: «Man sagt, ich sei ein Laferi. Damit kann ich leben, wenn es Erfolge bringt»

Nach vier Jahren als FDP-Präsident tritt Philipp Müller ins zweite Glied zurück. Im Interview wehrt sich der streitbare Aargauer gegen den Vorwurf, seine Partei sei der Juniorpartner der SVP. Er erklärt, wie der Inländervorrang das Zuwanderungsdilemma mit der EU lösen könnte.
09.04.2016, 15:2011.04.2016, 10:55
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Die FDP kommt in der neusten GfS-Umfrage auf einen Stimmenanteil von fast 25 Prozent. Bei den Wahlen 2015 waren es etwas mehr als 16 Prozent. Was haben Sie falsch gemacht?
Philipp Müller:
Die Umfrage ist eine Momentaufnahme im Zusammenhang mit der Abstimmung vom 28. Februar. Wir haben nichts falsch gemacht, im Gegenteil. Wir traten frontal gegen die Durchsetzungs-Initiative an, obwohl sie von einer bürgerlichen Partei lanciert wurde, die in vielen Fragen unser Verbündeter ist. Es hat sich gezeigt: Wenn man eine eigenständige Position mit totalem Einsatz vertritt, zahlt sich das aus. Die Umfrage zeigt kein nachhaltiges Bild der Parteienstärken. Aber Themen können den Wähleranteil verändern. Ich freue mich deshalb schon heute auf die Selbstbestimmungs-Initiative.

Die Umfrage lässt darauf schliessen, dass für die FDP ein ungenutztes Wählerpotenzial brachliegt.
Der Schlüssel ist die Mobilisierung. Als wir die Wahlen 2011 analysierten, kamen wir zum Schluss, dass ein liberales Potenzial vorhanden ist. Wir müssen es wecken und motivieren. Darum war ich so oft unterwegs. Ich habe in meinen vier Jahren als Parteipräsident mehr als 400 Anlässe besucht. Die Themenlage am 28. Februar, vor allem die DSI, hat die Leute mobilisiert.

Am 21. April 2012 übernahm Müller das Präsidium von Fulvio Pelli.
Am 21. April 2012 übernahm Müller das Präsidium von Fulvio Pelli.
Bild: KEYSTONE

Wie wollen Sie diese dazu bringen, auch an den Wahlen teilzunehmen?
Das kommt langsam, aber stetig. Ich habe schon vor meiner Zeit als Präsident gerne bei den Ortsparteien referiert. Man sagt ja, ich sei ein Laferi, aber damit kann ich leben, wenn es Erfolge bringt (lacht). Es gab eine Zeit, vor allem auf dem Höhepunkt der Finanzkrise 2008/09, da war die Stimmung am Boden. Die Leute sagten, man könne sich öffentlich nicht einmal zur Mitgliedschaft bei der FDP bekennen. Das hat sich radikal geändert. Nicht einfach wegen mir, der Finanzplatz hat auch erkannt, dass man nicht alles machen soll, was man machen kann. Eine gute Lebensregel.

«Wir haben mehrfach bewiesen, dass wir hart und frontal gegen die SVP antreten, wenn es nötig ist.»
Philipp Müller

Eine Lehre aus der DSI-Abstimmung ist, dass es in diesem Land junge, liberal gesinnte Menschen gibt, die für die FDP empfänglich sein müssten. Etwa die Operation Libero.
Die Operation Libero ist heute genau richtig aufgestellt. Sie hat Narrenfreiheit und muss sich nicht mit dem politischen Tagesgeschäft befassen. Es kostet Energie, Substanz und Zeit für die grossen strategischen Fragen. Darum ist es gut, wie es ist. Eine Eingliederung und damit Aufgabe der Operation Libero bei den Jungfreisinnigen wäre nicht ratsam.

Es muss Ihnen trotzdem zu denken geben, wenn Flavia Kleiner von der Operation Libero, die aus einem freisinnigen Elternhaus stammt, nichts von der FDP wissen will.
Noch nicht. Ich war mit 16 Jahren ein radikaler Linker und organisierte in der Romandie einen Streik. SP-Nationalrat Cédric Wermuth ist im Vergleich dazu ein Bürgerlicher. Mit den Jahren ändert man sich. Ich habe mit Flavia Kleiner gesprochen und betrachte ihre Haltung nicht als Kritik an der FDP. Als Bundesratspartei müssen wir uns mit allen möglichen Themen und der oft langweiligen und langwierigen Parlamentsarbeit befassen. Das ist bei Operation Libero nicht der Fall. Nur mit einem puristischen Liberalismus können Sie das Tagesgeschäft nicht betreiben.

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Was sagen Sie zum Vorwurf, die FDP sei ein Anhängsel der SVP?
Das höre ich seit Jahren. Es ist Unsinn. Wir haben mehrfach bewiesen, dass wir hart und frontal gegen die SVP antreten, wenn es nötig ist. Das ist in der Europa- und Migrationspolitik der Fall. Bei den bilateralen Verträgen verstehen wir keinen Spass. Auch bei der DSI haben wir mehr als deutlich gezeigt, wo wir stehen. Hinter diesem Vorwurf steht die Vorstellung, wir müssten uns zwanghaft von der SVP abgrenzen. Aber so funktioniert Konkordanzpolitik nicht. Sie basiert auf wechselnden Mehrheiten. Bei den Subventionen für die Landwirtschaft etwa steht uns die SP am nächsten.

Flavia Kleiner (Mitte) und ihre Mitstreiter von der Operation Libero feiern das Nein zur DSI.
Flavia Kleiner (Mitte) und ihre Mitstreiter von der Operation Libero feiern das Nein zur DSI.
Bild: EPA/KEYSTONE

Als Sündenfall wurde die Umsetzung der Ausschaffungs-Initiative wahrgenommen. Im Nationalrat wollten FDP und CVP im ersten Anlauf faktisch die Durchsetzungs-Initiative ins Gesetz schreiben.
Ich habe sogar den entsprechenden Antrag in der Kommission gestellt: Übernehmen wir den Text der nun abgelehnten Verfassungsinitiative ins Gesetz. Dadurch wäre das rechtlich übergeordnete, verfassungsmässige Gebot der Verhältnismässigkeit gewahrt geblieben. Die Gerichte hätten in diesem Sinne entscheiden können, haben uns damals Experten versichert. Das war 2014, damals hofften wir, die SVP würde dann wenigstens die Durchsetzungs-Initiative zurückziehen.

«Ohne die Flüchtlingsbewegung, die im letzten Sommer begann, hätten wir bei den Wahlen im Herbst noch besser abgeschnitten. Der Zeitpunkt war desaströs für uns und super für die SVP.»
Philipp Müller

War das nicht naiv?
Aus der damaligen Perspektive und durch die Erfahrung mit der Ausschaffungs-Initiative kam ich zum Schluss, dass eine Initiative, die sich gegen kriminelle Ausländer richtet, kaum zu bodigen ist. Ich konnte nicht wissen, welche Maschinerie durch die so genannte Zivilgesellschaft in Gang kommen würde. Bei der Ausschaffungs-Initiative wurden wir 2010 total alleingelassen. Wir hatten keinerlei finanzielle Unterstützung. Keine Universität, kein Richter, kaum ein Wirtschaftsvertreter hat sich geäussert.

Brauchte es eine extreme Vorlage wie die DSI, damit sich die Erkenntnis durchsetzen konnte, man müsse der SVP endlich Einhalt gebieten?
Es brauchte nicht die DSI, es war die Erfahrung mit der Masseneinwanderungs-Initiative im Februar 2014. Bei ihr sind wir genauso aufgelaufen wie bei der Ausschaffungs-Initiative. Im folgenden November kam die Ecopop-Initiative zur Abstimmung, vor der man unglaubliche Angst hatte. Ich wusste bereits im Sommer, dass es diesmal anders laufen würde. Plötzlich meldeten sich die Hochschulen und warnten vor einer Annahme. Dann könne man die Schweiz zumachen und ein Schild raushängen: «Wegen Wohlstand geschlossen.» Oder wegen Übermut. Bei der DSI entwickelte es sich fast zur Perfektion. Sogar Wirtschaftsbosse der höchsten Kategorie meldeten sich zu Wort. Sie realisierten, dass es sich um eine staatspolitische Grundsatzfrage handelt, die das Image der Schweiz als Exportnation und als Rechtsstaat massiv gefährdet.

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Wie kann die FDP von dieser Dynamik profitieren?
Wir sind heute gut aufgestellt. Ohne die Flüchtlingsbewegung, die im letzten Sommer begann, hätten wir bei den Wahlen im Herbst noch besser abgeschnitten. Der Zeitpunkt war desaströs für uns und super für die SVP. Wir haben damals intern den Kopf geschüttelt und gesagt, wir können froh sein, wenn wir unseren Wähleranteil halten können.

Müller und SVP-Kollege Toni Brunner in der Elefantenrunde nach den Wahlen 2015.
Müller und SVP-Kollege Toni Brunner in der Elefantenrunde nach den Wahlen 2015.
Bild: RUBEN SPRICH/REUTERS

Was stimmt Sie zuversichtlich?
Wirtschaftliche Fragen werden wieder wichtiger. Die Leute merken langsam, dass ein Arbeitsplatz nicht selbstverständlich ist. Wir haben in diesem Bereich Kompetenzen. Im Hinblick auf die Wahlen 2019 bin ich sehr optimistisch. Wir werden nicht vier Jahre lang über Flüchtlinge reden. Wer verspricht, er könne im Asylbereich sämtliche Probleme eliminieren, ist ein Scharlatan. Oder ein Rattenfänger. Man kann versuchen, das möglichst optimal zu organisieren, und dabei hilft uns die Asylreform, über die wir am 5. Juni abstimmen werden. Ich habe null Verständnis, dass die SVP, die im September 2012 bei den dringlichen Massnahmen die gleiche Reform mitgetragen hat, das Referendum ergriffen hat. Wir werden voll dagegenhalten, niemand wird uns als Juniorpartner bezeichnen können.

«Man beharkt sich in der Elefantenrunde und trinkt danach zusammen ein Bier. So klischeehaft es sein mag, es stimmt sogar.»
Philipp Müller

Unter Ihnen und Ihrem Vorgänger Fulvio Pelli wurde die FDP als Mitte-rechts-Partei situiert. Was sagen Sie zum Vorwurf, der linksliberale Flügel sei marginalisiert worden?
Es ist falsch, zu sagen, dass es eine linksliberale und eine rechtsliberale FDP gibt. Es gibt nur eine FDP. In gesellschaftspolitischen Fragen sind wir sehr liberal geworden. Ich sehe das an mir selbst. Als ich 2003 nach Bern kam, stimmte ich bei Drogenthemen mit unseren Romands, die in dieser Frage eine knallharte Linie vertreten. Als es später um Ordnungsbussen für Kiffer ging, war das nicht mehr der Fall. In der Gesellschaftspolitik haben wir einen starken Flügel. Dazu gehören Leute wie Christa Markwalder, Doris Fiala und junge Westschweizer, die nach der Fusion mit der Liberalen Partei hinzugekommen sind.

Oder Ihr Ständeratskollege Andrea Caroni, der sich bei der Pädophilen-Initiative in einen aussichtslosen Kampf gestürzt hat.
Ich habe ihm gesagt, dass nur er das machen kann. Unverbraucht, jung, mit Familie, also völlig unverdächtig. Das kann nicht jeder.

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Trotz seines jungen Alters gehört er bereits zu den profiliertesten Mitgliedern Ihrer Fraktion.
Wir stellen die drei jüngsten Ständeräte: Damian Müller, Andrea Caroni und Raphaël Comte. Auch im Nationalrat haben wir gute Nachwuchskräfte. Da müssen sich die anderen inskünftig warm anziehen.

Ausser der Schwyzer Nationalrätin Petra Gössi hat sich niemand für die Müller-Nachfolge beworben.
Ausser der Schwyzer Nationalrätin Petra Gössi hat sich niemand für die Müller-Nachfolge beworben.
Bild: KEYSTONE

Am 16. April wird Ihnen Petra Gössi als Parteipräsidentin nachfolgen. Sie hatten bei Ihrer Wahl ebenfalls keine Konkurrenz. Woran liegt das?
Das Amt muss in die Lebenssituation hineinpassen. Man muss Zeit dafür haben, das Amt wollen und Freude daran haben. Dazu gehört reisen, reden, den Saal motivieren und halt auch etwas Sprüche klopfen. Zwischendurch müssen die Leute lachen. Das habe ich von unseren Welschen gelernt.

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Petra Gössi tickt in gesellschaftlichen Fragen konservativ. Passt Sie in das Umfeld, das durch die DSI entstanden ist?
Als Präsidentin vertritt sie die Partei und die Beschlüsse der Delegiertenversammlung. Man betrachtet dadurch automatisch das Ganze, die eigene Einstellung rückt in den Hintergrund. Auf diese Weise entwickelt man eine viel pragmatischere, weniger subjektive Haltung.

Petra Gössis kritische Meinung zum Gerichtshof für Menschenrechte ist also kein Problem?
Nein. Zur Selbstbestimmungs-Initiative werden die FDP-Delegierten eine Parole fassen. Ich wage zu prophezeien, wie sie ausfallen wird: dagegen. Ich habe in dieser Sache bereits im August 2014 der «Aargauer Zeitung» ein gepfeffertes Interview gegeben. So viel noch einmal zum Vorwurf, wir seien der Juniorpartner der SVP.

Juniorpartner vielleicht nicht, dafür ist der Schulterschluss der bürgerlichen Parteien ein Thema.
Der Schulterschluss vom März 2015 war gar nicht schlecht, wir haben einiges erreicht: Wir haben die Unternehmenssteuerreform III nach unseren Vorstellungen durchgebracht. Wir haben im September ein Deregulierungspaket eingereicht. Wir haben das Bundesbudget 2016 auf 67,2 Milliarden Franken heruntergebracht. In der Finanzplanung waren es 70,9 Milliarden. Die Linke hat gelästert, der Schulterschluss sei nur eine Show, aber er hat funktioniert. Keine Chance hatten wir bei der Europafrage, darum haben wir sie auch nicht ins Papier aufgenommen. Wir haben uns auf jene Gebiete beschränkt, bei denen Konsens herrscht.

«Wir machen wieder auf Agrarland. Es gibt dann weniger Verkehr, wir können einen Teil der Autobahnen umgraben und Kartoffeln pflanzen.»
Philipp Müller

Das neue bürgerliche Führungstrio Gössi/Pfister/Rösti steht sich ideologisch sehr nahe. Ist das eine gute Voraussetzung, um noch mehr gemeinsam zu realisieren?
Sie werden sich menschlich gut verstehen, wobei ich mit den anderen Präsidenten persönlich auch nie ein Problem hatte. Man beharkt sich in der Elefantenrunde und trinkt danach zusammen ein Bier. So klischeehaft es sein mag, es stimmt sogar. Die Neuen werden feststellen, dass man untereinander immer etwas abmachen kann, aber letztlich muss man die Fraktion dafür gewinnen. Bei uns Liberalen geht das nur durch Überzeugung, es funktioniert nicht mit dem Teppichklopfer.

Philipp Müller
Der 63-jährige Bauunternehmer Philipp Müller wurde national bekannt als Urheber der Volksinitiative, die den Ausländeranteil in der Schweiz auf 18 Prozent begrenzen wollte. Sie wurde im Jahr 2000 mit 63 Prozent Nein abgelehnt. Drei Jahre später schaffte Müller für die FDP Aargau den Sprung in den Nationalrat, 2015 gelang ihm der Wechsel in den Ständerat. 2012 wurde er zum Präsidenten der FDP Schweiz gewählt. Vier Jahre danach übergibt er das Amt an Petra Gössi. Er ist geschieden und hat drei Töchter.

Sie werden als Ständerat im Parlament bleiben. Werden Sie der neuen Führung weiter zur Verfügung stehen?
Ich werde meine Dossiers weiter betreuen, vor allem den Migrationsbereich. In der Europafrage werde ich mich weiter an vorderster Front engagieren, da können Sie sicher sein.

Sie wird ein zentrales Thema in der neuen Legislatur sein.
Innenpolitische Probleme können wir lösen. Wenn der Leidensdruck gross genug ist, bringen wir sogar eine Reform der Altersvorsorge durch. Die grosse Herausforderung ist jener Bereich, in dem wir internationalen Spielregeln ausgesetzt sind. Freiwillig notabene. Wir könnten einen Zaun um die Schweiz herum bauen, mit Wachtürmen und Zugbrücken, die wir nur herunterlassen, wenn jemand mit einer Schubkarre voller Goldtaler kommt. Ich denke dabei immer an das gallische Dorf aus den Asterix-Büchern. Nur haben wir keinen Zaubertrank.

Wie sollen wir dann die Europafrage lösen?
Letztlich ist sie ein Migrationsthema. Ich rede jetzt nicht von den institutionellen Fragen, bei denen ich erstaunlicherweise feststelle, dass gewisse Leute bereits Helme und Hellebarden verteilen und sich in den Schützengraben verziehen ohne zu wissen, ob der Feind kommt. Oder ob er allenfalls ein Freund ist. Dafür habe ich absolut kein Verständnis. Aber jetzt geht es um die Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative.

«Der Inländervorrang könnte ein Lösungsweg sein. Auch innenpolitisch macht er mehr Sinn als die dämlichen Kontingente.»
Philipp Müller

Derzeit warten alle auf die Abstimmung in Grossbritannien über den möglichen «Brexit» am 23. Juni.
Ich habe den Vertrag der Briten mit der EU gelesen. Er sieht gewisse Massnahmen beim Arbeitnehmerschutz und bei den Kinderzulagen vor. Letzteres können die Kantone schon lange machen. Eine numerische Begrenzung der Einwanderung gibt es nicht. Der Vertrag enthält sehr viel banales Zeug und nur ganz wenige Zugeständnisse. Viel Volumen, wenig Substanz. David Cameron muss eben etwas vorzeigen können, wenn er die Abstimmung gewinnen will. Der Bundesrat wird versuchen, etwas in diese Richtung auszuhandeln. Aber wir sind kein Mitgliedsland, wir haben schlechtere Karten als die Briten.

Viel Volumen, wenig Substanz: David Cameron hat von der EU kaum Zugeständnisse erhalten.
Viel Volumen, wenig Substanz: David Cameron hat von der EU kaum Zugeständnisse erhalten.
Bild: DYLAN MARTINEZ/REUTERS

Gewisse Kreise behaupten aber, die EU müsse uns stärker entgegenkommen, gerade weil wir kein Mitglied sind.
(lacht) Ich sehe es genau umgekehrt. Wir haben freiwillig entschieden, dass wir am Binnenmarkt teilnehmen wollen. Wir gehören nicht dazu, wollen ihn aber nutzen. Noch immer gehen 54 Prozent unserer Exporte in die EU. Und wir haben freiwillig beschlossen, unsere Volkswirtschaft auf den Export auszurichten, nach dem Motto: Wir verdienen im Inland den Lebensunterhalt und im Export den Wohlstand. Wenn wir die Spielregeln der EU nicht akzeptieren wollen, können wir freiwillig sagen: Das war's. Wir machen wieder auf Agrarland. Es gibt dann weniger Verkehr, wir können einen Teil der Autobahnen umgraben und Kartoffeln pflanzen.

Sie haben einen Inländervorrang ins Spiel gebracht. Könnte er zu einer Lösung mit der EU bei der Personenfreizügigkeit führen?
Ich weiss es nicht. Aber ich weiss, dass er der kleinste gemeinsame Nenner ist. In den Gesprächen mit der EU hat sich gezeigt, dass eine zahlenmässige Begrenzung gegen den Kern des Freizügigkeitsabkommens verstösst. Abhilfemassnahmen müssen verhältnismässig, befristet und eingeschränkt sein. Man muss mit dem Skalpell operieren, nicht mit dem Metzgermesser.

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Verstösst der Inländervorrang nicht gegen das Freizügigkeitsabkommen?
In Gesprächen mit Botschaftern von EU-Staaten kommt man zum Schluss, dass er allenfalls ein Lösungsweg sein könnte. Auch innenpolitisch macht er mehr Sinn als die dämlichen Kontingente. Was hat ein Stellensuchender davon, wenn Zehntausende Arbeitskräfte über die Kontingente einwandern, ehe er an die Reihe kommt? Beim Inländervorrang kommt er zuerst dran, sofern er in einer Krisenberufsgruppe mit hoher Arbeitslosigkeit oder in einer Krisenregion tätig ist. Das kann man innenpolitisch sehr gut verkaufen. Der Inländervorrang muss aber beschränkt, selektiv und befristet sein.

Könnte er mit dem Tessiner Modell von Michael Ambühl kompatibel sein?
Wir haben in den anderen Kantonen nicht das gleiche Problem mit den Grenzgängern wie die Tessiner. Sie haben sich vieles selber eingebrockt. Der Prüfauftrag für den Inländervorrang an das zuständige Departement wird nächste Woche in der Kommission eingereicht. Ich hoffe, er kommt durch. Der Bundesrat sieht dann auch, wie die Mehrheiten in Sachen Inländervorrang innen- und parlamentspolitisch in etwa liegen. Ich bin nach wie vor zuversichtlich, er macht am meisten Sinn.

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