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Bereits der Taxifahrer weiss Bescheid: «Tribunale Penale Federale? Da ist was richtig Grosses heute, ja?», fragt er. «Ich werde Sie wohl nicht bis zum Gebäude hin fahren können.» Die Strassen rund um das Bundesstrafgericht in Bellinzona sind abgesperrt. Vor dem Bau sorgen Gitter dafür, dass kein Unbefugter näher als 20 Meter an den Eingang heran kommt. Dort stehen grimmige Polizisten, die mit ihrer Vollmontur gerade so gut im Kriegseinsatz stehen könnten.
Wer rein will, muss mehrere strengste Polizistenblicke, zwei Kontrollen und einen Sicherheits-Scan überstehen. 100 Beamte der Tessiner Kantonspolizei sind im Einsatz, um die sichere Durchführung des ersten Schweizer Prozesses gegen mutmassliche Kollaborateure des sogenannten «Islamischen Staates» zu gewährleisten.
Die Bundesanwaltschaft beschuldigt Wesam J., Osamah M., Abdulrahman O. und Mohammed O. aufgrund von abgefangenen Chats der Schleusertätigkeit, der Planung eines Terroranschlags und der Beteiligung an einer kriminellen Organisation. Die rund zwei Jahre, die die aufwändig geführte Untersuchung der Bundesanwaltschaft bis zur Anklageerhebung und dem gestrigen Prozessbeginn gedauert hat, verbrachten die Iraker in U-Haft.
Trotz der grossen Sicherheitsvorkehrungen ist am Morgen eine Drohsendung am Gericht eingegangen.
Das weisse Pulver im Briefumschlag hat sich später als Kochsalz erwiesen. Dennoch tragen die Polizisten, die die vier Beschuldigten in den sakral wirkenden Gerichtssaal führen, übergrosse Schutzbrillen auf den Nasen.
Einer nach dem anderen werden die vier hereingeführt.
Als Erster kommt Wesam J. Das weisse
Hemd und die schwarze Wolljacke kaschieren die besorgte Nervosität
des 32-Jährigen nicht. Hinter ihm rollt Osamah M. (30) herein, auch bekannt als «Rollstuhl-Bomber». Er trägt einen schwarzen Anorak mit aufgestelltem Kragen, der einen überraschend muskulösen
Oberkörper erahnen lässt und langes, zu einem Schwänzchen geknotetes schwarzes Haar. Er schaut kurz verschämt, aber neugierig ins
Publikum, als er die Rollstuhlräder an ihm vorbei zu seinem Platz
ganz vorne dreht. Die lange Untersuchungshaft sieht man ihm nicht an. Osamah M. soll der Kopf der Schweizer «IS»-Terrorzelle sein, auch das will die Bundesanwaltschaft in den kommenden Prozesstagen beweisen.
Hinter Osamah M. und Wesam J. nimmt der elegant gekleidete Abdulrahman O. (30) Platz – der Imam erscheint in Mantel, weissem Hemd, mit akkurat rasiertem Bart und auf Hochglanz polierten Lederschuhen. Neben ihm nimmt Mohammed O. (35) Platz. Er gibt ein klägliches Bild ab, ist nervös, trägt Wollpulli, ausgeleierte Jeans und abgelaufene Sneakers.
Konkret werden die vier Iraker beschuldigt, den sogenannten «Islamischen Staat» unterstützt – Osamah M. soll sogar Mitglied gewesen sein – und Schlepperdienste gefördert zu haben. Diese werden drei der Angeklagten am ersten Prozesstag teilweise eingestehen. Mohammed O. hat sich nicht wegen Schlepperdiensten, dafür des rechtswidrigen Aufenthalts zu verantworten und Abdulrahman O. ist alleine wegen der «Unterstützung einer kriminellen Organisation» angeklagt. Gemeinsam sollen die Männer versucht haben – vorwiegend per Facebook und Skype, angeleitet von «IS»-Führern – Informationen, Material und geeignete Personen zu organisieren, um einen Sprengstoffanschlag durchzuführen. Viel Handfestes hat die Bundesanwaltschaft der Dreierbesetzung des Bundesstrafgerichts jedoch nicht zu präsentieren.
Als die von einem ausländischen Geheimdienst gemeldeten und im Rahmen der «Operation Nautilus» überwachten Chat-Konversationen für den Geschmack der Bundeskriminalpolizisten zu heiss
wurden, griffen sie am 21. März 2014 auf die beiden Hauptangeklagten zu.
Bei den anschliessenden Hausdurchsuchungen fanden die Fahnder –
nichts. Keine Bomben, kein Zubehör, keine konkreten Ziele, keine
Waffen, keine eindeutig überführenden Daten – nur allenfalls codierte Chat-Konversationen. Diese
müssen nun für den Erfolg der Bundesanwaltschaft vor Bundesstrafgericht genügen.
Die Verhandlung verläuft schon zu Beginn zäh. Ein im Nebenraum sitzender verdeckter Dolmetscher übersetzt per Mikrofon vom Deutschen ins Arabische und zurück. Osamah M.'s Verteidiger Remo Gilomen kritisiert gleich zu Beginn die Behandlung seines Mandanten. Mit einem Sack über dem Kopf und gefesselt sei der Gehbehinderte ins Gericht transportiert worden.
Mohammed O. wird, wie sich bald herausstellen soll, seine Aussagen jeweils auf den Satz beschränken, der auf dem Zettel steht, den sein Anwalt ihm immer zur rechten Zeit zuschiebt: «Ich habe der Staatsanwältin diesbezüglich bereits Auskunft gegeben. Ich habe heute nichts zu sagen.»
Die anderen Angeklagten bestreiten bis auf
geringfügigere Verstösse gegen das Ausländergesetz sämtliche Vorwürfe. Alle
wollen sie zwar praktizierende Muslime, aber nicht «IS»-Sympathisanten sein. Als «dummen Spass» tut der Hauptangeklagte Osamah M. seine
Chats ab. Der 30-Jährige hatte die Schweizer unter anderem als
«Hundesöhne» und «Esel» bezeichnet, die «denken, dass Jesus Gott sei» und «die nicht zu missionieren, sondern zu enthaupten» seien.
Im Zentrum des richterlichen Interesses stehen am ersten Prozesstag die Bedeutungen der mutmasslichen Code-Wörter «Wassermelonen» und «Brot backen». Eine zentrale Stelle im Chat,
den Osamah M. mit «Abu Hajer» geführt hat, in dem die Bundesanwaltschaft einen «IS»-Führer vermutet, lautet:
Osamah M.: Ist dieser aber nur ein einfacher Arbeiter oder hat er etwas anderes?
Abu Hajer: Treffe ihn und sprich mit
ihm.
Osamah M.: Aha, gut!
Abu Hajer: Nein, Arbeiter, er hat
aber mit «Wassermelonen» gearbeitet.
Osamah M.: Aber lieber Bruder wenn
ich Brot backen möchte, brauche ich viele Sachen. Das weisst du ja.
...
Osamah M.: Diese Sachen werden alles organisiert. Nur wenn ich das O.K. bekomme, werde ich mich in
Bewegung setzen.
Was denn die «Wassermelonen» bedeuten, auf welches «O.K.» er gewartet habe, und was es mit diesen
«Arbeiten» auf sich gehabt habe, fragt die Richterin. Osamah M. windet
sich, lässt sich Fragen wiederholen, gibt immer wieder
ausweichende Antworten und beharrt auf Übersetzungfehlern: «Ich hoffe
Sie lesen richtig, denn ich sitze seit zwei Jahren im Gefängnis
wegen dieses Chats», sagt er.
Richtig übersetzt heisse es nicht «Arbeiten», sondern eine «Sache», sagt Osamah M.. Diese eine «Sache», die er mit Abu Hajer, der übrigens ein reicher und gütiger Mann sei, geplant habe, sei gefährlich gewesen und er habe sich um seine Familie gesorgt. Es sei diese «Sache», bezüglich der er schon der Staatsanwältin des Bundes geschrieben habe. Auf Nachfrage des Gerichtspräsidenten, was denn diese «Sache» sei, sagt Osamah M: «Ich habe lange darauf gewartet, endlich über diese Sache zu sprechen.»
Dann wird die Verhandlung unterbrochen. Osamah M. wird erst heute dazu kommen, eine Erklärung für seine verdächtigen Chat-Inhalte zu liefern.