Unruhig wippt der Verurteilte im Wartesaal des Bezirksgerichts Lenzburg mit den Knien auf und ab. Seine Fussfesseln klirren im Takt. Er wurde in einem vergitterten Polizeiauto nach Lenzburg gefahren. Momentan wohnt er in der Psychiatrischen Klinik Königsfelden. Nicht freiwillig, am 5. Dezember 2013 ordnete das Bezirksgericht Lenzburg bei ihm eine stationäre Massnahme an.
Der 58-jährige Mann war wegen versuchter Entführung zu einer Therapie und 14 Monaten Gefängnis verurteilt worden. Er hatte am Bahnhof Lenzburg ein 9-jähriges Mädchen angesprochen, damit es mit ihm mitgehe.
«Dein Mami ist im Spital, ich habe Häschen zu Hause, du kannst sie streicheln, komm mit», soll er gesagt haben. Das Kind rannte weg und konnte den Mann genau beschreiben, worauf er festgenommen wurde. Paranoide Schizophrenie lautete die Diagnose.
Jetzt sind die fünf Jahre der kleinen Verwahrung beinahe abgelaufen. Die Staatsanwaltschaft hat einen Antrag auf Verlängerung der stationären Massnahme gestellt. An der Gerichtsverhandlung im Dezember 2013 wird der Mann als nicht fassbar beschrieben, ein Mann ohne Freunde, der im Anbau seines Elternhauses auf Karton schläft. Der die Menschen nicht mag. Fünf Jahre später gibt er das gleiche Bild ab. Die Haare sind kürzer, er trägt Vollbart, der Faserpelz ist dunkelblau statt wie damals rot. Ganz leise und knapp antwortet er auf die Fragen des Gerichtspräsidenten Daniel Aeschbach.
«Wie geht es Ihnen?» «Es muss.» «Wie ist das Leben in Königsfelden?» «Es muss.» Es gefalle ihm nicht, dass er das Zimmer mit einem anderen teilen müsse. Er würde gern gesund entlassen werden und allein wohnen. Mit seinen Händen fasst er immer wieder an die Stuhlkanten, an den Pultrand, in das Fach unter der Tischplatte. «Gibt es Personen, die Sie mehr mögen als andere?» «Nein.» Die einzige Person, die ihn besuche, sei seine Mutter. «Freuen Sie sich auf die Besuche?» «Ja.» «Also freuen Sie sich schon am Samstag, dass sie morgen kommt?» Da entspannt sich sein Gesicht zum ersten Mal, er lächelt. «Am Samstag? Nein, am Sonntag.»
Seine Antwort auf die Frage, ob er wisse, warum die Massnahme angeordnet worden ist, ist symptomatisch für sein Wesen: «Artikel 59», sagt er ohne zu Zögern. Das Delikt streitet er ab und seine Diagnose versteht er nicht. Die Medikamente seien eine Zumutung. Er gibt zu, sie nur aus Zwang zu nehmen. So scheint es sich auch mit den therapeutischen Massnahmen zu verhalten. Er nimmt teil. Weil er muss. Für den Staatsanwalt ein Grund, die Massnahme zu verlängern. «Die Schizophrenie hat sich trotz Medikamenten und Behandlung nur teilweise verbessert.» Eine Fortsetzung sei nötig, um das Rückfallrisiko zu minimieren.
Sein Verteidiger spricht von einem gebrochenen Mann. Er habe keine Anzeichen von Gewaltbereitschaft gezeigt und gehe zuverlässig seiner halbtäglichen Arbeit bei einer Stiftung nach. Sein Mandant brauche feste Strukturen, doch diese könne ihm auch eine Unterbringung gemäss dem Erwachsenenschutz geben. Der Mann sei aus der Massnahme zu entlassen. Doch vor Verkündung des Urteils vermutete der Verteidiger schon, dass es nicht zu seinen Gunsten ausfallen würde.
Die Statistik von gefällten Urteilen spreche dagegen. Er sollte Recht behalten. Die Massnahme wurde um fünf Jahre verlängert. «Die schwere psychische Störung muss mit Medikamenten behandelt werden», sagt Aeschbach. Doch diese Behandlung sei auch in einem offenen Setting, wie zum Beispiel der Stiftung Gärtnerhaus Meisterschwanden oder der Stiftung Satis Seon, denkbar. Auch das Gericht sei für eine Öffnung. Da der Mann aber nur durch Zwang Medikamente nimmt und Therapien besucht, wird an der Massnahme festgehalten. (aargauerzeitung.ch)