«Finito». Luigi (Name geändert) fiel sichtlich ein grosser Stein vom Herzen an der Urteilseröffnung am Bezirksgericht in Brugg. «Grazie», sagte der drahtige Mann mit dem freundlichen Gesicht, als er den Saal verliess.
Zur Last gelegt wurde dem 75-Jährigen aus dem Bezirk Brugg eine grobe Verletzung der Verkehrsregeln. Vorsätzlich habe er, so die Staatsanwaltschaft, eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorgerufen oder in Kauf genommen, indem er die zulässige Höchstgeschwindigkeit ausserorts überschritten habe. Die Staatsanwaltschaft forderte eine bedingte Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 100 Franken sowie eine Busse von 800 Franken.
An jenem Donnerstag im August des letzten Jahres fuhr Luigi mit seinem Kleinwagen auf der Birrfeldstrasse von Lupfig in Richtung Mülligen. Laut Anklageschrift war er anstatt den erlaubten 80 Stundenkilometern mit 116 Stundenkilometern unterwegs, was abzüglich der Toleranz einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 32 Stundenkilometern entspricht.
Für Luigi stand fest: Er soll für etwas geradestehen, das er nicht getan hatte. Er mache sich grosse Sorgen, habe vor dem Gerichtstermin kaum geschlafen, liess er durch die Dolmetscherin mitteilen. Der Italiener wohnt zwar schon lange in der Schweiz, kann sich aber mehr schlecht als recht in deutscher Sprache ausdrücken. Im Berufsleben führte er als selbstständiger Handwerker seinen eigenen Betrieb. Mittlerweile bezieht er eine Rente.
Er sei hinter einem Lastwagen hergefahren, der dann zum Kieswerk abgebogen sei, blickte Luigi auf den Tag der Geschwindigkeitskontrolle zurück. Kurz darauf habe ihn die Polizei angehalten. Es sei unmöglich, dass er so schnell gefahren sei, versicherte er dem Gerichtspräsidenten Sandro Rossi. «Das kann nicht sein.»
Den Rapport der Polizei habe er unterzeichnet, weil er den Inhalt nicht verstanden habe. In einem Schreiben an die Staatsanwaltschaft wies der Beschuldigte Anfang dieses Jahres dann darauf hin, dass auf dieser Strecke um die Mittagszeit jeweils zwei Fahrzeuge des gleichen Typs und der gleichen Farbe beobachtet werden können. Sein Sohn habe entsprechende Fotos gemacht als Beweis.
Der junge Polizist, der Luigi damals angehalten hatte, sagte als Zeuge aus. Er schilderte, wie vorgegangen wird bei einer Geschwindigkeitskontrolle, wenn vom Messpunkt über Funk ein Schnellfahrer gemeldet wird. Er erklärte weiter, wie viel Zeit in etwa verstrichen sein dürfte bis zum Haltezeichen, zeigte auf der Karte, wo er mit seinem Kollegen stand, welchen Bereich der Strasse er überblickte.
Gleich zu Beginn räumte der Polizist aber auch ein, dass er sich nicht mehr an viele Details erinnern kann bei diesem konkreten Fall, der doch über ein Jahr zurückliegt. Er wusste aber, dass die Verständigung schwierig war mit Luigi und dass einer dessen Söhne eintraf bei der Polizeipatrouille, um zu übersetzen.
Für Luigis Verteidiger war klar: In diesem Fall mangelt es an Beweisen. «Wir haben nichts», stellte er fest. Denn auf dem Messfilm der Polizei seien weder die Autonummer noch der Lenker identifizierbar. Auch sei es nicht möglich, mit einem Auto dieses Typs auf der kurzen Strecke so stark zu beschleunigen. Ebenfalls machte der Verteidiger auf die von der Polizei angegebene – grosse – Zeitspanne zwischen Geschwindigkeitsmessung und Haltesignal aufmerksam. Es sei gut möglich, dass ein anderer Fahrzeuglenker nach dem Messpunkt von der Birrfeldstrasse abgebogen oder bereits an der Polizeipatrouille vorbeigefahren sei, bevor er angehalten werden konnte.
Kurz: Es sei davon auszugehen, dass Luigi nicht der Autofahrer sei, der mit überhöhter Geschwindigkeit gemessen wurde. Sein Mandant sei von Schuld und Strafe freizusprechen. Tatsächlich lautete das Urteil dann in dubio pro reo, weil laut Gerichtspräsident Sandro Rossi objektive Zweifel angebracht sind. Die Verfahrenskosten gehen zulasten des Staats, dem Beschuldigten wird eine Entschädigung ausgerichtet.