Seit November 2016 gibt es in der Schweiz eine neue Meldestelle für die Erfassung von homo- und transphober Gewalt: Die LGBT+ Helpline. Die 24h-Hotline ist eine Anlaufstelle für Schwule, Lesben und Transmenschen, die Opfer eines Verbrechens wurden. Bastian Baumann, der Geschäftsführer von Pink Cross, dem Dachverband für Schwule in der Schweiz leitet das Nottelefon. Sein Fazit: «Dringend notwendig.»
Herr Baumann, seit drei Monaten gibt es die LGBT+ Helpline. Was ist Ihre Zwischenbilanz?
Bastian Baumann: Sehr gut, die Helpline ist eine absolute Notwendigkeit. In den letzten zwei Monaten gingen bei uns 100 Fälle ein. Das ist ziemlich eindrücklich und bedrückend, wenn man bedenkt, dass es für die Opfer diese Möglichkeit früher noch nicht gab.
100 Fälle von Gewalt an LGBT-Menschen in zwei Monaten?
Ja. Die Art der Vorfälle unterscheiden sich natürlich. Es handelt sich aber definitiv nicht um Bagatellfälle, sondern um sehr ernste Themen. Das fängt bei Beschimpfungen an und geht bis zu gefährlichen Gewaltverbrechen. Es gab Fälle, wo die Opfer übel zusammengeschlagen worden sind und mehrere Tage im Spital verbrachten. Viele Menschen melden Mobbing und Beschimpfungen auf der Strasse. Immer wieder werden Leute in der Öffentlichkeit angespuckt oder geschubst. Viele melden sich, weil sie auf Grund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität gekündigt wurden.
Das ist eine schockierend hohe Zahl.
Ja. Hate-Crimes, Verbrechen aus Hass gegen LGBT-Menschen sind viel zu wenig im öffentlichen Bewusstsein präsent. Viele Homo- und Transmenschen sind einmal in ihrem Leben von einem Hate-Crime betroffen. Ich persönlich wurde auch schon aus einem fahrenden Auto als «schwule Sau» beschimpft, völlig grundlos.
Wie helfen Sie den Betroffenen?
Wir haben zwei Angebote. Das erste ist eine 24h-Meldestelle für akute Fälle. Dort kümmern wir uns telefonisch um die Opfer und beraten sie, wie es weiter gehen soll. Im Notfall leiten wir Ratsuchende an professionelle psychologische Beratung weiter. Das zweite sind persönliche Beratungssitzungen, beispielsweise bei einem Coming-Out oder zu Fragen zur eigenen Identität. Das machen 30 ehrenamtliche Berater jeweils von 19-21 Uhr.
Warum gehen die Opfer nicht einfach zur Polizei?
Dazu fordern wir die Menschen aktiv auf, aber sehr oft sind die Leute verunsichert und sagen: «Das bringt doch eh nichts». Wir machen ihnen Mut und begleiten sie in diesem Prozess. Falls sie beispielsweise verängstigt sind, organisieren wir ihnen den Kontakt zu sogenannten «Pink Cops». Das sind speziell geschulte Polizistinnen und Polizisten, die selber homosexuell sind. Die LGBT+ Helpline ist dadurch eine Vermittlung zwischen Opfer und Polizei.
Wieso ist es wichtig, diese Fälle zu erfassen?
Die Polizei erfasst nur das Verbrechen, aber nicht, dass es sich um ein Verbrechen an LGBT handelt. Eine systematischen Erfassung von homo- und transphober Gewalt gibt es leider nicht. Es gibt eine Erfassung von rassistischen Übergriffen, aber noch keine von Verbrechen an Homosexuellen und Transmenschen. Deshalb ist unsere Arbeit so wichtig. Wir erfassen die Fälle erstmals. Ende Jahr veröffentlichen wir einen Diskriminierungs- und Gewaltbericht. Anhand der Zahlen könnten falls nötig gezielte weitere Präventionsmassnahmen geplant und durchgeführt werden.
Warum werden sie nicht erfasst?
Weil die Schweiz sich in dieser Frage in einem Dornröschen-Schlaf befindet. Die Schweizerinnen und Schweizer und damit auch die Politikerinnen und Politiker glauben, Diskriminierung und Gewalt an LGBT's fänden hier nicht statt. Gleichzeitig wird seitens der Behörden die Erfassung von homophober oder transphober Gewalt – Beleidigungen, Tätlichkeiten, Hassverbrechen – nicht eingefordert.
Nun machen sie es selber?
Ja, wir verfolgen und registrieren jetzt jeden Fall, der uns gemeldet wird. Dass die Verbrechen gemeldet werden, ist wichtig, aber sie sollen natürlich auch unter die Augen der Justiz gestellt werden. Wir kümmern uns um die Opfer, wollen aber auch, dass die Täterinnen und Täter bestraft werden.
Melden sich mehr schwule oder lesbische Opfer bei Ihnen?
In Zahlen kann ich das noch nicht sagen. Subjektiv würde ich denken, dass mehr Männer sich melden. Homosexuelle Männer lösen ganz andere Gefühle aus als zwei Frauen. Schwule werden von der Gesellschaft viel deutlicher wahrgenommen als Lesben. Die Verbrechen werden dann auch oft von heterosexuellen Männer begangen. Aber auch Transmenschen haben mit Übergriffen und Angriffen zu kämpfen.
Wo gibt es die meisten Übergriffe?
Deutlich mehr in den Städten. Das hat einen einfachen Grund: In den grossen Städten leben mehr homosexuelle Menschen als auf dem Land. Städte sind natürliche Hotspots für Schwule, Lesben und Transmenschen und haben eine grosse Sogkraft auf die LGBT-Community. Wo es mehr homosexuelle Menschen gibt, gibt es auch mehr Verbrechen gegen sie.
Wie wird die Helpline finanziert?
Durch viele Partner und Sponsoren. Zum Beispiel: Pink Cross, Queeramnesty, aber auch Migros Kulturprozent oder Ikea. Die Hälfte der Gelder stammt allerdings von privaten Spenden. Bei LGBT-Themen muss die LGBT-Community die Finanzierung selber in die Hand nehmen. Anders als andere Förderprojekte erhalten wir keine Subventionen vom Staat.
Wie geht es weiter mit der Helpline?
Im April starten wir die zweite Welle unserer Werbekampagne «Stop Hate Crime», die die gesamte Deutschschweiz abdecken wird. Neu können unsere Plakate gespendet werden, damit sie in den Heimat-Dörfern und -Städten von Schwulen, Lesben und Transmenschen aufgehängt werden können.