Um den nächsten Schweizer «Tatort» mit dem Titel «Zwei Leben» ist ein Streit entbrannt. Am kommenden Sonntag flimmert der neuste Schweizer Krimi über die Bildschirme – und behandelt dabei ein sehr heikles Thema: Suizid.
Im Film springt ein Mann vor einen Bus und kommt ums Leben. Die Ermittler rätseln: Handelt es sich um einen Suizid? Oder war es Mord? Das Brisante daran: Der Fahrer des Buses ist ein Ex-Lokführer und hat bereits zweimal einen Schienensuizid miterlebt. Er ist dementsprechend traumatisiert.
Das Drehbuch des «Tatorts» rief die SBB auf den Plan. Laut «Blick» riet sie den Autoren bereits in einer sehr frühen Phase davon ab, diese Thematik aufzugreifen – aus Angst vor Nachahmungsfällen. In der Tat ist das Thema sehr heikel.
Erst vergangenen Freitag informierte die Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich über die Suizidberichterstattung in den Medien. Nebst vielen anderen Faktoren beeinflussen auch Medienberichte, unabhängig ob fiktional oder nicht, die Suizidrate. Und: Durch umsichtige Berichterstattung können aktiv Suizide verhindert werden.
Gerade die Berichte über Schienensuizide führen zu Nachahmungseffekten, dem sogenannten «Werther-Effekt». Dies zeigt eine eindrückliche Studie von Etzersdorfer und Sonneck von 1998.
Die beiden Wissenschaftler untersuchten die Berichterstattung zu Wiener U-Bahn-Suiziden. Anfang der 80er Jahre wurde in den Zeitungen sehr häufig über U-Bahn-Suizide berichtet – mit sensationsheischenden Artikeln. Dies führte nachweislich zu einem Anstieg der Suizid-Fälle.
Mit diesem Wissen veränderte sich die Berichterstattung ab Mitte 1987 stark. Die Medien berichteten zurückhaltend bis gar nicht über U-Bahn-Suizide. Etzersdorfer und Sonneck konnten auch hier einen Einfluss auf die Suizidrate nachweisen: Nämlich einen deutlichen Rückgang von Schienensuiziden.
Das Beispiel zeigt: Je weniger über Suizide berichtet wird, desto weniger Nachahmungstaten gibt es. Ist ein Nicht-Berichten folglich die beste Lösung? Dürfte sich auch der «Tatort» nicht mit dieser Thematik beschäftigen? Die Antwort lautet Jein.
Es ist enorm wichtig, wie über den Suizid berichtet wird. Sensationsträchtige, romantisierende oder vereinfachte Berichte über Suizide sind kontraproduktiv. Auch von genauen Beschreibungen der Methode oder des Orts wird von Experten abgeraten.
Die Geschichte des «Tatorts» ist damit grenzwertig. Denn es werden gleich zwei Suizidmethoden aufgezeigt: Strasse und Schienen. Erstere ist sogar sehr explizit zu sehen.
Dennoch sind suizidale Krisen in unserer Gesellschaft wichtige Themen, die auch diskutiert werden müssen. Denn der Werther-Effekt hat auch einen Gegenspieler, der sogenannte «Papageno-Effekt». Papageno wird in Mozarts Oper «Die Zauberflöte» von drei Knaben davon abgehalten, sich das Leben zu nehmen. Mediale Berichte über Suizid sollen ähnlich funktionieren.
Wenn die Berichterstattung nicht auf den Suizid fokussiert, sondern auf die Person, die die Krise bewältigt hat, kann das helfen. Einer wissenschaftlichen Studie der Universität Wien zufolge verkleinert sich dadurch sogar die Suizidrate.
In der «Tatort»-Folge «Zwei Leben» steht primär das Trauma des Buschauffeurs im Vordergrund. Auch das ein sehr wichtiges Thema. Denn auch die Menschen, die zurückbleiben, wenn jemand sich selbst tötet, brauchen eine Stimme.
Nur scheint ein Kriminalfall nicht der passende Rahmen dafür zu sein. Vor allem auch, weil das Schicksal des Busfahrers und des Toten auf die harte Gleichgültigkeit der Spurensicherin treffen. «Ich habe aufgehört zu zählen, wie viele Suizide wir dieses Jahr schon hatten», sagt sie am Anfang des Krimis.