Was sich abgezeichnet hat, ist eingetroffen. Im Bundesrat findet keine Rochade statt, Ignazio Cassis übernimmt von Didier Burkhalter das Aussendepartement (EDA). Damit sind auch die teilweise abstrusen Spekulationen in gewissen Medien Makulatur. Für einen Wechsel ernsthaft in Frage gekommen wären ohnehin nur die beiden SP-Bundesräte.
Ihr Verzicht ist klug. Sozialdemokratische EDA-Vorsteher agierten in der Vergangenheit glücklos. Ein bürgerlicher Departementschef dürfte eher in der Lage sein, dem euroskeptischen Volk unangenehme Entscheidungen zu vermitteln. Dem umgänglichen Tessiner Bundesrat, der aus einem besonders EU-kritischen Kanton stammt, sind solche Fähigkeiten zuzutrauen.
Womit das Kernthema angesprochen wäre: Die Europapolitik ist die Haupt- und Grossbaustelle im EDA. In letzter Zeit lief einiges schief. Drei Jahre lang bemühte sich die Landesregierung vergeblich, der Europäischen Union Zugeständnisse bei der Personenfreizügigkeit abzuringen. Und beim umstrittenen Rahmenabkommen war Didier Burkhalter zuletzt fast vollkommen isoliert.
Die Masseneinwanderungs-Initiative musste die Schweiz – oder vielmehr das Parlament – einseitig umsetzen. Das hat das Verhältnis einigermassen entspannt. Das bilaterale Abkommen über die technischen Handelshemmnisse konnte nach monatelanger Blockade aufdatiert werden. Genau dieses Geknorze zeigt jedoch, warum ein institutionelles Rahmenabkommen wichtig wäre.
Das weiss auch Bundesrat Cassis. Er hat im Wahlkampf einen Neuanfang verlangt. Man müsse den «Reset-Knopf» drücken. Das Wort «Rahmenabkommen» sei derart vergiftet, dass man damit nichts mehr anfangen könne, sagte er in seiner Medienkonferenz nach der Wahl. Einen Verzicht auf diesen Vertrag hat er jedoch im Gegensatz zu Kontrahentin Isabelle Moret nie gefordert.
Im Interview mit watson gab Cassis ein klares Bekenntnis zu den bilateralen Verträgen ab – und im Grundsatz auch zum Rahmenabkommen: «Wie wir es nennen, ist zweitrangig. Wichtig ist, dass wir gemeinsame Regeln zur Vereinfachung des Managements dieser Verträge haben, so dass eine Weiterentwicklung möglich ist.» Genau dies ist das Ziel dieses Abkommens.
Gleichzeitig zeichnete Cassis «rote Linien»: «Keine automatische Übernahme von EU-Recht in der Schweiz, keine fremden Richter, die ausserhalb der Schweiz entscheiden können, wie das schweizerische Recht ausgelegt wird.» Der letzte Punkt ist besonders interessant, er lässt einige Möglichkeiten offen, etwa für eine Streitbeilegung vor dem EFTA-Gericht mit Schweizer Beteiligung.
Unter Burkhalter waren die «fremden Richter» dermassen kontaminiert, dass eine vernünftige Diskussion kaum noch möglich war. Aussenminister Cassis kann und muss hier für eine Deblockierung sorgen. Der «Reset-Knopf» allein genügt eben nicht. Falls die Schweiz wegen der Brexit-Verhandlungen eine gewisse Atempause erhält, muss Cassis sie entsprechend nutzen.
Am nächsten Freitag wird der Bundesrat einmal mehr eine EU-Klausur durchführen, wie NZZ und Tages-Anzeiger berichten. Der künftige Aussenminister dürfte in irgendeiner Form einbezogen werden. Alles andere wäre ein Affront, zumal Cassis sein Amt am 1. November antreten wird, kurz vor dem Besuch von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker.
Dieser ist provisorisch für den 23. November terminiert. Die Zeitungen spekulieren über mögliche Zugeständnisse, um den Gast aus Brüssel milde zu stimmen. Im Zentrum stehen die im Grundsatz bereits beschlossenen Kohäsionszahlungen an die EU-Ostländer. Eine Freigabe könnte der Schweiz zusätzlichen Goodwill einbringen. Die Kritik der SVP wäre jedoch programmiert.
Die Volkspartei hat Ignazio Cassis gewählt. So richtig traut man ihm jedoch anscheinend nicht über den Weg. «Nichts gegen Cassis, aber beim beweglichen Tessiner weiss man nicht, wie sehr sich seine politische Slalomlinie im Magnetfeld eines Bundesratssessels verändern würde», schrieb SVP-Europachef Roger Köppel in der «Weltwoche».
Es ist absehbar, dass Bundesrat Cassis schon bald unter Beschuss von rechts geraten wird. Er kann und muss dies aushalten, denn er weiss, was auf dem Spiel steht. Nun muss er nur noch beweisen, dass er es besser kann als der glücklose Didier Burkhalter.