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Du willst nur das Beste? Voilà:
Politischer
Journalismus ist eine Gratwanderung mit hoher Absturzgefahr. Soll man
das Risiko eingehen, sich zu exponieren und für oder gegen ein bestimmtes Thema oder eine Partei Stellung beziehen? Oder soll man
sich zurückhalten und möglichst keine Angriffsfläche bieten?
Auflösen lässt sich dieses Dilemma nicht, und auch die Erwartungen
des Publikums gehen auseinander.
So erreichte uns
wenige Tage vor der Abstimmung über die Durchsetzungsinitiative
(DSI) diese Zuschrift eines Users:
Es lässt sich nicht
bestreiten: watson hat in seiner Berichterstattung eindeutig Stellung
gegen die Initiative bezogen. Unsere Beiträge waren fast ausnahmslos
kritisch bis ablehnend. Waren wir also nicht objektiv? Ich habe mir
diese Frage das eine oder andere Mal gestellt. Die Schlagseite
bereitete mir ein gewisses Unbehagen, obwohl ich schlicht kein
Argument erkennen konnte, mit dem sich die masslose und
ausländerfeindliche SVP-Initiative rechtfertigen liess.
Hat der Zweck die Mittel geheiligt? So einfach lässt sich das nicht
beantworten. Hier kommt die von unserem User gestellte Forderung ins
Spiel, die Medien hätten «gefälligst neutral zu sein». Sie
reflektiert die Überzeugung, Journalisten sollten alle Seiten
ausgewogen zu Wort kommen lassen und ihre Meinung für sich zu
behalten. In Zeiten wie diesen, in denen Begriffe wie «Lügenpresse» Konjunktur haben, fällt sie auf besonders fruchtbaren Boden.
Der Wunsch nach
einem solchen «Eunuchen-Journalismus» mag verständlich sein, er ist
aber nicht realistisch. Medien können sich selber als «objektiv» definieren, sie werden es faktisch niemals sein. Selbst die SRG, die als
öffentlich-rechtliches Medium am ehesten zu Neutralität
verpflichtet wäre, wird im Radio- und Fernsehgesetz einzig dazu
aufgefordert, Tatsachen und Ereignisse «sachgerecht» darzustellen, so dass sich das Publikum «eine eigene Meinung» bilden könne. «Ansichten und Kommentare müssen als solche
erkennbar sein», heisst es weiter.
Nicht einmal die
SRG-Medien müssen folglich «Eunuchen-Journalismus» betreiben. Private
Medien wie watson erst recht nicht. In einer Gesellschaft mit
Meinungs- und Pressefreiheit kann es keine staatlich verordnete
Neutralität geben. Den Leserinnen und Lesern ist es natürlich
unbenommen, so etwas zu fordern. In letzter Konsequenz aber sind sie
es, die über die Akzeptanz eines Mediums richten. Wer an ihnen
vorbei schreibt, den bestraft der Markt.
Die «Basler
Zeitung» hat dies auf die harte Tour erfahren. Nach der – anfangs
klandestinen – Übernahme durch Christoph Blocher 2010 und dem
danach eingeschlagenen Rechtskurs stürzte die Auflage ab, von rund
80'000 auf zuletzt knapp 50'000 Exemplare. Auch politisch war
der Rechtsruck ein eklatanter Fehlschlag. In Basel-Stadt erreichte
die Durchsetzungsinitiative mit rund 70 Prozent den höchsten
Nein-Anteil, obwohl die BaZ dafür getrommelt hatte.
Der «Weltwoche» erging es kaum besser. Obwohl Verleger, Chefredaktor und
SVP-Nationalrat Roger Köppel permanent an der Provokationsschraube
dreht, sind Auflage und Leserzahlen seit Jahren auf Talfahrt. Zu
grosse Parteinähe kommt beim Publikum offenkundig nicht an, der
Journalismus verliert seine Glaubwürdigkeit und seine
Wirkung.
Glaubwürdigkeit ist
überhaupt der Schlüsselbegriff, um als Journalist seine Position
zwischen Eunuch und Propagandist zu finden. Es gilt dabei, sich auch
in Meinungsartikeln an die Fakten zu halten und keine Aspekte unter
den Teppich zu kehren, die nicht ins Weltbild passen. Dazu gehört
auch eine gewisse Distanz zur Sache, und sei sie noch so edel,
hilfreich und gut.
Das ist nicht immer
einfach und wird auch nicht immer goutiert. Ich selbst habe im
Vorfeld der Abstimmung über die Masseneinwanderungsinitiative damit Erfahrungen gemacht, als ich in einem Meinungsbeitrag Verständnis für die Motive der Befürworter zum Ausdruck
brachte, ohne mich allerdings für das SVP-Begehren auszusprechen.
Damit habe ich mir auch intern nicht nur Freude gemacht, für mich
aber war der Text wichtig für meine Glaubwürdigkeit.
Immerhin durfte ich
ihn publizieren, was die Meinungsvielfalt bei watson belegt. Weiter
enthalte ich mich im Gegensatz zu Roger Köppel als Privatmann
konsequent einer politischen Betätigung. Ich bin nicht Mitglied
einer Partei und engagiere mich nicht in politisch gefärbten
Organisationen. Damit wahre ich meine Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit als politischer Journalist.
Das macht mich nicht
zum Eunuchen, im Gegenteil. Es gibt mir die Freiheit, meine Meinung
in redaktionellen Beiträgen zum Ausdruck zu bringen. So wie ich das
auch in der Berichterstattung über die Durchsetzungsinitiative
gemacht habe. Es bleibt aber eine permanente Gratwanderung, bei der
man als Journalist nicht nur von Leserseite unter Druck ist, sondern
auch von akademischen «Qualitätswächtern», die uns das Leben
nicht erleichtern.
Hat es die
watson-Redaktion trotz der klaren Schlagseite geschafft, ihre
Glaubwürdigkeit zu wahren? Ich denke schon. Dafür spricht eine
andere Reaktion aus unserer Leserschaft:
In der Kommentarfunktion oder in den sozialen Medien ermöglichen wir es unserer Leserschaft, uns direkt anzugehen, wenn wir aus ihrer Sicht auf dem falschen Dampfer sind. So
lange sich Kritik und Applaus die Waage halten, so lange dürften wir
mit unserer Linie nicht ganz falsch liegen.