Das Juristendeutsch lenkt davon ab, aber der Kerngedanke dahinter ist erfreulich progressiv:
Mit diesem Artikel will der Bundesrat das Zivilgesetzbuch ergänzen. Geschlechtsänderungen im Personenstandsregister sollen in Zukunft auf unbürokratische Weise möglich werden.
Der Vorentwurf des Bundesrats hat noch Mängel und ist teilweise zu mutlos ausgefallen. Enttäuschend ist, dass er darauf verzichtet, ein drittes Geschlecht einzuführen für Personen, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugehörig fühlen. Doch die grundsätzliche Stossrichtung stimmt.
Kritik kam von SVP-Nationalrat Sebastian Frehner. Er beklagte sich gegenüber 10 vor 10, im Sinne von «Diversity» würden heutzutage «Hunderte von Minderheiten geschaffen». Dabei ginge der «weisse, heterosexuelle, christliche Schweizermann» vergessen. So ähnlich tönt es aus konservativen Kreisen stets, wenn die Gesetze der real existierenden Vielfalt der Lebensformen in der Schweiz angepasst werden. Das wird als Verrat an der traditionellen Familie gesehen, als Verhätschelung von Minderheiten.
Aussagen wie jene von Frehner sind Unsinn. Die Rücksichtnahme auf Minderheiten ist keine «nice to have»-Lifestyle-Politik, sondern eine Frage der Menschlichkeit. Beispiel Transmenschen: Das Geschlecht ist einer der wirkungsmächtigsten gesellschaftlichen Marker. Wer im falschen geboren wurde, der leidet darunter. Selbstbestimmt das Geschlecht wählen zu können, dem man sich zugehörig fühlt, sollte deshalb ein Grundrecht sein.
Doch bis vor Kurzem wurden Transmenschen zu sterilisierenden Operationen gezwungen, wollten sie ihr Geschlecht im Personenstandsregister ändern lassen. Diesem Unrecht einen Riegel zu schieben, ist kein Minderheiten-Appeasement.
Das enge Korsett des binären Geschlechtersystems schafft Leiden. Die Frage ist deshalb berechtigt: Warum muss der Staat, muss die Gesellschaft eigentlich jedem Menschen ein eindeutiges Geschlecht zuordnen? Im Nationalrat sind derzeit zwei Vorstösse hängig, die verlangen, den Verzicht auf die Geschlechtererhebung im Personenregister zu prüfen. Ein User präsentierte in seinem Kommentar einen noch weitergehenden Vorschlag.
Ohne Frage: Die völlige Auflösung der Geschlechter in Staat und Gesellschaft ist eine Utopie. Geschlechter machen Identität aus, sie können Halt geben und Orientierung. Unbeachtet von nicht-binären Menschen sind wir auch bei den «traditionellen Geschlechtern» Mann und Frau meilenweit von einer Gleichstellung entfernt. In dieser Hinsicht ist unsere Gesellschaft nicht egalitär. Deshalb würde ein «geschlechterblinder» Staat auch die Augen vor Diskriminierung schliessen.
Einen solchen Staat darf es folglich erst in einer Gesellschaft geben, die Haus- und Erwerbsarbeit fair verteilt, die für gleiche Arbeit gleiche Löhne zahlt, die Partnerschaften und Familienformen ungeachtet von Geschlechtern und sexueller Orientierung akzeptiert. Doch als Utopie, als Fernziel, ist der Gedanke reizvoll.
In dieser Gesellschaft bliebe das Geschlecht ein wichtiges Identitätsmerkmal, aber wäre kein Kriterium für Diskriminierung mehr. Und in einer solchen Gesellschaft gebe es keine Notwendigkeit mehr für Geschlechterunterschiede etwa beim Rentenalter, bei der allgemeinen Dienstpflicht oder beim Adoptionsrecht. Das würde zu einem entspannteren Umgang mit dem Thema führen – und die ungesund aufgewertete Bedeutung des Geschlechts reduzieren.
Denn Geschlechteridentitäten sind immer fluid, weiss die Forschung. Jeder noch so «männliche Mann» hat auch so genannt weibliche Seiten – und umgekehrt. Irgendwelche geschlechtlichen Idealtypen zu konstruieren und Abweichungen davon zu diskriminieren, ist einer liberalen Demokratie unwürdig. So entstehen Ungerechtigkeiten und Unrecht. Und das verhindert letzten Endes eine wahrhaft freiheitliche Gesellschaft. Wir müssen fluid sein – sonst werden wir untergehen.