Wie lautet der kürzeste Schweizer Politikwitz? Burkaverbot.
Ein solches verlangt das vorab von SVP-Exponenten getragene Egerkinger Komitee mit einer Volksinitiative. Sie trägt den eher neutralen Namen «Ja zum Verhüllungsverbot», aber die ganze Schweiz weiss, wer eigentlich gemeint ist. Muslimische Frauen, die ihr Gesicht verhüllen, mit einem Nikab oder – Allah bewahre! – einer Burka, dem Ganzkörperschleier mit «Gitterfenster».
Bislang galt die Initiative als Selbstläufer. Selten schien eine Annahme so klar wie in diesem Fall. Denn der Islam hatte, sagen wir es mal so, in den letzten Jahren nicht die beste PR. Schon beim Ja zum Minarettverbot vor rund zehn Jahren meinten viele, man müsse «ein Zeichen setzen» und dieser Religion ein wenig die Knöpfe eintun.
«In unserer Kultur zeigt man sein Gesicht!», lautete die Parole, die bis vor Kurzem zu verfangen schien. Und jetzt das! Gleich zwei herbe Rückschläge mussten die «Egerkinger» zuletzt verkraften.
Erst ist ihnen mit der «Berufsislamistin» Nora Illi ihr liebstes Feindbild in der Blüte ihrer Jahre weggestorben. Weit schlimmer aber ist das epochale Ereignis, das gerade die Welt heimsucht. Nun lautet das Gebot der Stunde auf einmal: «Verhüllt euch!» Schliesslich gilt es zu verhindern, ein potenziell tödliches Virus einzufangen oder in der Welt zu verbreiten.
Und wer ruft besonders laut nach Schutzmasken? Genau, die SVP.
Begonnen hat es mit Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher, die in der Frühjahrssession mit einer Maske vor dem Gesicht auftauchte. Nationalratspräsidentin Isabelle Moret (FDP) wollte ihr das Maskentragen erst verbieten, Spötter verglichen Martullo mit Globi. Aber die Bündnerin aus Zürich meinte es sehr ernst, sie trug die Gesichtsverhüllung bis zum Abbruch der Session.
Diese Woche hat die SVP nachgelegt. In einer Mitteilung fordert sie «die Einführung einer allgemeinen Tragepflicht von Schutzmasken, wo ein Kontakt zwischen Menschen stattfindet». Das Problem ist nur: Es gibt kaum welche, schon gar nicht für die breite Bevölkerung. Wo man sie finden könnte, weiss Martullo-Blocher: in China, wo 150 Millionen pro Tag produziert würden.
Allerdings versucht gerade die gesamte Menschheit verzweifelt, sich dort einzudecken. Denn der vermeintlich lebensrettende Mundschutz ist überall knapp. Vielleicht springen ein paar Nikab-Schneidereien im Nahen Osten in die Bresche. Wäre doch eine nette Geste.
Es entbehrt nicht der tragischen Ironie, dass die Corona-Krise ausgerechnet im Tessin so stark wütet, das als erster Schweizer Kanton ein Burkaverbot an der Urne angenommen hat. Und dass Sebastian Kurz, der als Bundeskanzler einer Koalition mit der rechtspopulistischen FPÖ vor zwei Jahren ein solches Verbot eingeführt hat, den Österreichern nun das Maskentragen befiehlt.
«Vielleicht ist es auch schon egal und wir ziehen uns jetzt alle eine Burka an und ersparen uns die ganze Streiterei in der Zukunft», lästerte ein Kolumnist von heute.at. Kurz kann es tatsächlich egal sein, er war in seinem noch immer jungen Politikerleben stets begabt darin, sich der gerade herrschenden Windrichtung anzupassen. Und die sagt nun halt, man solle sich verhüllen.
Nicht egal dürfte der aktuelle Trend einiger meinungsstarker Medienleute sein, die sich als feurige Befürworter eines Burkaverbots profiliert haben. Da wäre etwa eine Tamedia-Autorin, die in einem Leitartikel ihren Unmut darüber zum Ausdruck brachte, dass ein Mundschutz bald zum Strassenbild gehören wird. Dies sei «eine bittere Pille für die freie Gesellschaft».
Es sei «eine schauerliche Vorstellung», dass wir uns an neue Strassenbilder mit vermummten Gesichtern gewöhnen müssten. In der Tat, man stelle sich vor, der Schwarze Block mutiert zum Türkisen Block und lässt die «Internationale Solidarität» mit Hygienemasken hochleben. Fussball-Hooligans prügeln sich mit FFP3, versehen womöglich mit dem Wappen ihres Klubs.
Und die Volksinitiative? Sie wäre eigentlich abstimmungsreif. National- und Ständerat haben sich in der Frühjahrsession auf einen indirekten Gegenvorschlag geeinigt. Er verlangt, das Gesicht zu zeigen, wenn eine Person identifiziert werden muss, beispielsweise zur Billettkontrolle. Das Egerkinger Komitee hätte nun einen idealen Vorwand, um die Initiative zurückzuziehen.
Denn eine Volksabstimmung über ein Verhüllungsverbot würde zum grössten Witz in der Geschichte der direkten Demokratie. Wir müssten über eine Initiative befinden, von der wir haargenau wüssten, dass sie sich nicht umsetzen lässt. Nicht in Zeiten von Pandemien, in denen Europa auf asiatisch macht und anfängt, sich zwecks Gesundheitsschutz zu maskieren.
Denn was soll die Polizei machen, wenn sie eine Burkaträgerin kontrolliert, und unter dem Schleier taucht so ein Hygienedings auf? «Sorry, Corona», heisst es dann, und die Ordnungshüter werden eher die Flucht ergreifen, als eine Busse auszusprechen.
«Wir werden uns daran gewöhnen», meint selbst die Tamedia-Autorin. Denn nun ist nicht mehr das Zeigen des Gesichts ein «Zeichen von Höflichkeit und Rücksichtnahme». Sondern das Tragen eines Mundschutzes. Andere Zeiten, andere Sitten.
Dieser erbitterte Kommentarfuror beweist ihren Einleitungssatz: "Für die Befürworter eines Burkaverbots kommt es derzeit knüppeldick." eindrücklich, denn nur wer mit den Nerven komplett am Ende ist, schiesst aus vollen Rohren gegen den Überbringer der Nachricht.
Ihre Glosse zeigt auch die komplette Humorlosigkeit gewisser Schweizer, so dass dagegen religiöse Fundamentalisten schon fast humorvoll wirken. Sehr schön!