In den Einzelzellen in Affoltern am Albis ist es einsam. Die Arbeit macht den Strafvollzug erträglicher.
bild: watson
Kommentar
Flüchtlinge sind in der Schweiz nicht eingesperrt. Doch sind sie wirklich frei? Häftlinge sitzen hinter dicken Mauern. Doch sind sie wirklich eingeschlossen? Darf man diese Gruppen überhaupt miteinander vergleichen? Ja – und es muss sich etwas ändern.
11.02.2016, 12:3412.02.2016, 22:43
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Mitte Januar habe ich einen Tag in einem Asylzentrum verbracht, knapp zwei Wochen danach tat ich dasselbe in einem Gefängnis. Beide Male ging ich nachdenklich, und vor allem gerne, nach Hause. 24 Stunden dort bleiben, die Nacht dort verbringen, hätte ich nicht gewollt. Es sind surreale Welten, in welchen man nicht leben möchte.
Im Asylzentrum St.Gallen erlebte ich, wie die Flüchtlinge hauptsächlich gegen die Langeweile kämpfen. Weil sie nicht arbeiten dürfen, sind sie den ganzen Tag am warten. Sie hängen an ihren Smartphones, trinken Tee, lenken sich mit Sport ab. Auch wenn sie ab und zu in die Stadt gehen, sind sie nicht Teil der Gesellschaft. Auch wenn sie das Zentrum jederzeit verlassen können, sind sie dort irgendwie gefangen. Zahlreiche Asylsuchende wirkten unglücklich, geknickt, desorientiert. Das Asylzentrum war brechend voll, überbelegt.
Ein Tag im Gefängnis
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Ein Tag im Gefängnis
In der geschlossenen Anstalt in Affoltern am Albis sitzen 65 Häftlinge ein, 23 Aufseher kümmern sich um sie.
Das Gefängnis in Affoltern am Albis ist nicht überfüllt, aber gut ausgelastet. Die Häftlinge können keinen Fuss aus der Anstalt setzen, werden nachts eingeschlossen in ihre Zellen. Trotzdem scheint es ihnen weniger langweilig zu sein. Sie haben Arbeit, eine Tagesstruktur. Einen unglücklichen Eindruck machten sie auf mich nicht, viele waren jedoch unzufrieden.
Im Gefängnis, wie auch im Asylzentrum kommt es immer wieder zu Spannungen. Bei den Häftlingen hat es mit ihrer kriminellen Energie zu tun, bei den Flüchtlingen mit den Platzverhältnissen. So unterschiedlich die Institutionen auch sind, sie haben mich aneinander erinnert. Hier der Vergleich:
Asylzentrum:
Arbeit: Nein. Weil das Gesetz den Asylsuchenden Arbeit während den ersten drei Monaten verbietet, sind sie alle verdammt zum Warten. Mit «Ämtli» in der Küche, im Garten oder Putz-Diensten können sich die Flüchtlinge ihr Taschengeld ein bisschen aufpolieren.
Smartphones: Ja. Handys sind die einzige Möglichkeit für die Flüchtlinge, mit ihren Familien zu kommunizieren. Der Asylsuchende Halim sagt: «Das Handy ist das Allerwichtigste».
Schule: Ja. Die Kinder im Asylzentrum St.Gallen bekommen am Morgen Unterricht, die Erwachsenen eine Stunde am Nachmittag. Hauptsächlich lernen sie Deutsch. St.Gallen ist allerdings weiter als andere Kantone. Nicht überall bekommen die Flüchtlinge Bildung.
Freizeit-Angebot: Ja. Es gibt einen Aufenthaltsraum, dort steht immer genügend Tee. Weiter sorgen ein TV-Zimmer sowie ein Kinderspielzimmer für etwas Abwechslung.
Anwesenheitskontrolle: Ja. Am Abend kontrollieren die Betreuer, wer da ist. Ab 22 Uhr herrscht Nachtruhe. Am Tag dürfen sich die Flüchtlinge frei bewegen, können das Asylzentrum jederzeit verlassen.
Personal: 11 Betreuer kümmern sich in St.Gallen um 100 Asylsuchende. Mit eingerechnet ist das Sicherheitspersonal.
Geschlechtertrennung: Nein. St.Gallen ist ein gemischtes Zentrum. Rund ein Viertel sind Frauen und Kinder. In anderen Asylzentren wohnen ausschliesslich Männer.
Platz: Wenig. Die Jugendherberge, die in ein Asylzentrum umfunktioniert wurde, ist für 60 Personen konzipiert. Das Migrationsamt wollte darin 85 Asylsuchende unterbringen, jetzt sind es 100. Urs Weber, Leiter der Asylabteilung sagt: «In jeder Ecke liegt eine Matratze, der Platzmangel macht das Zusammenleben nicht einfacher». Acht, neun und mehr Personen schlafen in relativ kleinen Zimmern. Die Auslastung im Kanton St. Gallen beträgt 135 Prozent.
Essen: Dreimal am Tag gibt es Essen. Wer nicht da ist, muss selber schauen. Auf die verschiedenen Bedürfnisse wird Rücksicht genommen. Moslems etwa bekommen kein Schweinefleisch.
Medikamente: Wer zum Arzt oder ins Spital muss, meldet das den Betreuern. Diese kümmern sich um eine entsprechende Behandlung ausserhalb des Hauses.
Strafen: Halten sich die Asylsuchenden nicht an die Regeln, gibt es Verweise. Im wiederholtem Falle können die Betreuer ihnen das Taschengeld kürzen. Mindestens einmal pro Tag ist ein Polizist im Zentrum. Bei gröberen Problemen greift die Polizei ein.
Licht: Die umfunktionierte Jugendherberge ist eines der besseren Zentren. Sämtliche Zimmer sind über der Erde, haben Fenster und Tageslicht. Dies im Gegensatz zu den Zivilschutzanlagen, die als Asylzentren genutzt werden. Im Kanton St.Gallen müssen alle Zentren, die unterirdisch sind, mindestens einen Aufenthaltsraum mit Tageslicht haben.
Gefängnis:
Arbeit: Ja. Drei Stunden am Morgen und drei Stunden am Nachmittag. Die Häftlinge arbeiten entweder in der Werkstatt oder schälen Rüebli für externe Firmen. Dafür bekommen sie einen Lohn. Arbeiten im Reinigungsbereich oder in der Küche gibt es ebenfalls. Viele Häftlinge schätzen ihre Aufgaben. Die Wochenenden, an welchen sie nicht arbeiten können, kommen ihnen lange vor.
Smartphones: Nein. Handys sind verboten und müssen bei Eintritt abgegeben werden. Es gibt Telefonzellen im Gefängnis Affoltern am Albis.
Schule: Ja. Jeder Insasse hat einen halben Tag Schule pro Woche. Sie sind unterschiedlich motiviert. Während die einen innert kurzer Zeit Deutsch lernen, zeigen andere kaum Interesse an Bildung.
Freizeit-Angebot: Ja. In der geschlossenen Anstalt in Affoltern am Albis können sich die Insassen im Kraftraum fit halten, Billard spielen oder joggen im Spazierhof. Zudem gibt es einen Kiosk. Die Angebote können die Häftlinge nur während dem Gruppenvollzug zu bestimmten Zeiten wahrnehmen. In jeder Zelle steht ein Fernseher.
Anwesenheitskontrolle: Ja. Zweimal pro Tag gibt es Sperrzeiten. Während dieser müssen die Insassen in den Zellen sein zwecks Anwesenheitskontrollen. In der Nacht und an den Wochenenden sind sie in ihren Zellen eingeschlossen.
Personal: 23 Mitarbeiter kümmern sich im Gefängnis Affoltern am Albis um 65 Häftlinge.
Geschlechtertrennung: Ja. Affoltern am Albis ist eine reine Männeranstalt. Männer und Frauen werden im Strafvollzug allgemein getrennt.
Platz: Während die Gefängnisse in der Westschweiz zum Teil heillos überfüllt sind, gibt es in der Deutschschweiz noch Platz. Die Kapazität in den Schweizer Anstalten beträgt insgesamt 7343 Personen. Letztes Jahr sassen 6884 Häftlinge ein. Es gibt Einer-, Zweier- und Viererzellen.
Essen: Das Mittag- und das Abendessen bekommen die Insassen in die Zelle serviert. Mit dem Abendessen erhalten sie ein Stück Brot mit Butter und Konfitüre für das Morgenessen.
Medikamente: Dreimal pro Tag müssen die Häftlinge ihre Medikamente bei der Abgabestelle selber holen. Viele Insassen sind darauf angewiesen, mehrere auf Methadon.
Strafen: Im Gefängnis gibt es eine Reihe von Straf-Möglichkeiten. Vom Verweis über Budgetkürzungen bis zum Arrest.
Licht: Ausser der Arrest-Zelle sind alle Zellen über der Erde. Es dringt genügend Tageslicht durch die Gitterstäbe.
Fazit:
Trotz all der Bemühungen der Betreuer empfand ich die Stimmung im Asylzentrum leicht beklemmend. Als ich aus dem Gefängnis lief, war mein erster Gedanke hingegen: so schlecht haben es die Häftlinge hier nicht, die Aufseher kümmern sich gut um sie.
Ein Tag im Asylzentrum
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Ein Tag im Asylzentrum
Die Jugendherberge in St.Gallen wurde vorübergehend zu einem Asylzentrum umfunktioniert.
Und dann fragte ich mich: Haben es die Häftlinge bei uns schöner als die Flüchtlinge? Ist es okay, wenn Mörder, Drogendealer, Einbrecher oder Pädophile besser behandelt werden als Menschen, die bei uns um Asyl ersuchen?
Besser haben es die Häftlinge meiner Meinung nach nicht. Aber es ist ihnen weniger langweilig und sie werden besser auf das Leben da draussen vorbereitet als die Flüchtlinge. Der Grund dafür ist die Arbeit. Durch diese werden sie resozialisiert, wiedereingegliedert. Die Asylsuchenden hingegen gliedert man nicht von Beginn weg mit Arbeit ein und das ist falsch – egal, wie viele von ihnen schliesslich bleiben können. Eine Arbeitsmöglichkeit vom ersten Tag an, würde ihre Situation verbessern und ihre Integration vorantreiben. Wenn Häftlinge arbeiten können, sollten es Flüchtlinge auch dürfen. Profitieren davon würden alle, denn die Folgekosten gescheiterter Integration Asylsuchender sind um ein vielfaches höher als diejenigen für Arbeitsprogramme für Flüchtlinge.
Porto Alegre: Dieser Knast ist die Hölle
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Porto Alegre: Dieser Knast ist die Hölle
Kleider hängen aus den Fenstern der überfüllten Zellen des Zentralgefängnisses in Porte Alegre. Mit mehr als 600'000 Häftlingen hat Brasilien hinter den USA, China und Russland am viertmeisten Gefangene.
quelle: ap/ap / felipe dana
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