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Bundesrat: Kaffee ist nicht mehr lebenswichtig – die Branche wehrt sich

Kaffe trinken Frau
Beim Kaffeekonsum gehören die Schweizer zur Weltspitze - einen Notvorrat soll es hierzulande aber nicht mehr geben.Bild: shutterstock.com

Für den Bundesrat ist Kaffee nicht mehr lebenswichtig – jetzt wehrt sich die Branche

Branchenvertreter wehren sich gegen den Plan des Bundesrates, Pflichtlager für Kaffee aufzuheben. Zu wichtig sei das Getränk in einer Krise.
15.07.2019, 09:3115.07.2019, 09:40
Michel Burtscher / ch media
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Es kommt nicht oft vor, dass eine so kleine Nachricht aus den Berner Amtsstuben international so grosse Schlagzeilen macht: «Kaffee-Pflichtlager in Frage gestellt», teilte der Bundesrat im April mit. Kaffee gehört heute zu jenen Produkten, von denen die Privatwirtschaft im Auftrag des Bundes einen Notvorrat lagert, den dieser bei einer Krise freigeben kann.

Konkret liegen in den sogenannten Pflichtlagern heute Säcke mit rund 15'000 Tonnen Kaffee. Damit könnte der Durst der Schweizer Bevölkerung nach dem Wachmacher für knapp drei Monate gestillt werden. Und dieser Durst ist gross: Im Schnitt trinken die Schweizer mehr als drei Tassen Kaffee pro Tag. Damit gehören sie zur Weltspitze.

Doch nun will der Bundesrat diese Pflichtlager abschaffen – und die Bevölkerung in einer Krise also auf Entzug setzen. Die Landesregierung begründet ihr Vorhaben damit, dass Kaffee «nach den heute massgebenden Kriterien» nicht mehr lebenswichtig sei.

Das Getränk enthalte fast keine Kalorien und leiste daher «aus ernährungsphysiologischer Sicht keinen Beitrag zur Ernährungssicherung». Zudem sei das Risiko einer Unterversorgung der Schweiz mit Kaffee gering. Die Anbaugebiete verteilten sich auf drei Kontinente und die Ernten seien rund ums Jahr möglich, heisst es im erläuternden Bericht.

Kaffeebranche warnt vor Engpass

Die bundesrätlichen Pläne gingen um den Globus – und führten in internationalen Medien zu teilweise belustigten Reaktionen. Mit ihrem Entscheid, Kaffee nicht mehr zu den lebenswichtigen Gütern zu zählen, bringe die Schweizer Regierung wohl Pendler auf der ganzen Welt gegen sich auf, schrieb die amerikanische Tageszeitung USA Today.

Nicht lustig findet das Ganze hingegen die hiesige Kaffeebranche. Sie ist ganz und gar nicht einverstanden mit den Plänen – und sie versucht nun, die Landesregierung von ihrem Vorhaben abzubringen.

Die IG Kaffee Schweiz, in der gemäss eigener Aussage die «wichtigsten Organisationen rund um den Kaffeemarkt Schweiz» zusammengeschlossen sind, fordert die Beibehaltung der Pflichtlager. Geschäftsführer Michael von Lührte sagt auf Anfrage:

«Warum will der Bundesrat ein Instrument abschaffen, das sich bewährt hat?»

Die Pflichtlager seien ein gutes Mittel, um den Schweizer Markt bei einem Engpass mit qualitativ gutem Kaffee zu versorgen, sagt er.

Ein solcher Engpass ist laut von Lührte keineswegs ein hypothetisches Szenario. So habe es dieses Jahr logistische Ausfälle wegen Problemen in einem Produktionsland in Ostafrika gegeben, erzählt er. Auch letztes Jahr sei es wegen des Niedrigwassers im Rhein zu Lieferproblemen gekommen.

«Als Binnenland ist die Schweiz von den EU-Häfen abhängig und natürlich auch von den Produktionsländern in den Tropen, wo logistische, klimatische und politische Probleme zu Engpässen führen können», so von Lührte.

Wie viel Kaffee trinkst du?

Doch warum unterhält die Branche die Lager nicht einfach freiwillig, wenn sie für sie so wichtig sind? Von Lürthe sagt: «Aus logistischen Gründen müssen alle Verarbeiter sowieso eine gewisse Vorratshaltung betreiben, das Pflichtlager stellt eine zusätzliche Absicherung im Krisenfall dar.»

Eine andere Person aus der Branche sieht das ähnlich: «Eigentlich sind die Pflichtlager eine Win-Win-Situation für alle. Die Bevölkerung hat einen Notvorrat, die Branche eine gewisse Sicherheit.»

Kaffee als «Motivator und Leistungsförderer»

Noch hat die Branche die Hoffnung nicht aufgegeben, den Bundesrat noch umstimmen zu können. Die Vernehmlassung endet diese Woche. Neben der IG Kaffee macht auch die Migros, die selber ein Kaffeepflichtlager unterhält, Druck auf den Bund.

Im Migros-Magazin, das knapp 2.4 Millionen Leser erreicht, hat sich das Unternehmen gegen die Aufhebung der Pflichtlager ausgesprochen. Die Abhängigkeit vom Ausland sei einfach zu gross, hiess es dort. In einer Blitzumfrage auf Twitter hätten zudem fast zwei Drittel zum Ausdruck gebracht, dass sie sich ein Leben ohne Kaffee schwerlich vorstellen könnten.

In die gleiche Kerbe schlägt die IG Kaffee in einem Argumentarium, in dem es heisst, die Bedeutung und Wirkung des Kaffees als «Motivator und Leistungsförderer in Beruf und Alltag» sei «allgemein anerkannt und diese Wirkungen dürften sich in Stresssituationen, welche in Mangellagen permanent vorhanden sind, tendenziell sogar noch verstärken».

Vor rund 20 Jahren hob die Landesregierung bereits die Pflichtlagerhaltung für Tee auf. Nun könnte die Schweizer Kaffeevorräte das gleiche Schicksal ereilen.

Güter im Wert von 2.4 Milliarden Franken

Die Schweiz hält seit Ende der 1920er-Jahre Notvorräte. Grund für die Einführung dieser Pflichtlager war die Nahrungsmittelknappheit im Ersten Weltkrieg. Die Gefahr eines bewaffneten Konfliktes steht bei der heutigen Pflichtlagerpolitik jedoch nicht mehr im Vordergrund. Im Fokus stehen vielmehr Engpässe aufgrund von Embargos, Naturkatastrophen, technischen Zwischenfällen oder Sabotage und Terror.

Für welche Güter Pflichtlager bestehen und wie gross diese sein müssen, entscheidet der Bundesrat. Heute gibt es solche Vorräte für Produkte aus den Bereichen Ernährung, Energie, Heilmittel und Industrie; unter anderem Getreide, Speiseöle, Zucker, Reis, Heizöl und Dünger.

Die Vorräte werden jedoch nicht vom Bund selbst gehalten, sondern von privaten Unternehmen. Insgesamt gibt es heute 300 Pflichtlagerfirmen, der Wert der gelagerten Produkte beträgt rund 2.4 Milliarden Franken.

Die Pflichtlagerhaltung sei für die importabhängige Schweiz von grosser Bedeutung, heisst es beim Bund. Die Kosten werden von den Unternehmen auf die Verkaufspreise überwälzt und damit von den Konsumenten getragen. Im Durchschnitt bezahlt jeder Einwohner der Schweiz so jährlich rund 13 Franken für die wirtschaftliche Landesversorgung.

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74 Kommentare
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Grittibenz
15.07.2019 09:49registriert Dezember 2016
Kein Wunder wollen die Firmen dies beibehalten, es bringt ihnen ja nur Vorteile. Bezahlen müssen sie es ja auch nicht selber.
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Padcat
15.07.2019 09:53registriert Dezember 2014
Ich finde die Reaktion ziemlich übertrieben, meiner Meinung nach ist Kaffee definitiv nicht lebensnotwendig. Und wenn alles schief geht gibts halt wieder Eichelkaffee
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Eidg. dipl. Tütenbauer
15.07.2019 09:45registriert März 2019
Goht's no!
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