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Neue Petition von «Marsch fürs Läbe» gegen Abtreibungen

Teilnehmer der Kundgebung "Marsch fuers Laebe" demonstrieren auf dem Bundesplatz, am Samstag, 15. September 2018, in Bern. Der Marsch fuers Laebe gegen Abtreibungen wird regelmaessig von chr ...
Teilnehmer der Kundgebung «Marsch fürs Läbe» demonstrierten im September 2018 auf dem Bundesplatz in Bern gegen Abtreibungen. Jetzt will die christlich-konservative Gruppen eine neue Petition einreichen.Bild: KEYSTONE

Konservative Christen wollen erneut Abtreibungen bekämpfen – Experten warnen

Das Anliegen sorgt für Kopfschütteln. Experten sind beunruhigt über den christlichen Polit-Aktivismus.
20.02.2019, 02:5820.02.2019, 06:29
SAMUEL SCHUMACHER / ch media
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10'015 Frauen liessen im Jahr 2017 in der Schweiz ein Kind abtreiben. Das sind 10'015 Abtreibungen zu viel, findet der christliche Verein «Marsch fürs Läbe». Heute Mittag überreicht der Verein die Petition «Abtreibungsfolgen öffentlich machen» in Bern der Landesregierung.

Gut 24'000 Unterzeichnende fordern mit dem Schreiben eine Neuausrichtung der Abtreibungspolitik in der Schweiz. Spitäler und Beratungsstellen würden einseitig informieren und die «Schattenseiten der Abtreibungen» verharmlosen, finden die Petitionäre. Deshalb sollen die Behörden Schulen und Universitäten dazu auffordern, die «schmerzlichen Folgen» von Abtreibungen verstärkt zu thematisieren. Der Bundesrat soll die Diskussion über das Thema in den Medien «proaktiv beeinflussen».

In Fachkreisen löst der Vorstoss Kopfschütteln aus. Die Stiftung «Sexuelle Gesundheit Schweiz» verweist auf die 75 Beratungsstellen, bei denen jährlich rund 11'000 Betroffene betreut werden. Geschäftsleiterin Barbara Berger sagt: «Die Petition ist ein Versuch einer fundamentalen Gruppe, die Fristenregelung auszuhebeln und die Frau zu entmündigen.» Das Schreiben suggeriere, dass Frauen vor sich selbst geschützt werden müssten.

Kondome statt Panikmache

Andrea Weber, Geschäftsführerin des Schweizerischen Hebammenverbandes, betont: «Die mir bekannten Beratungsstellen sind darauf bedacht, den Betroffenen wertfreie Hilfe anzubieten. Ich habe noch nie erlebt, dass eine Frau dazu gedrängt wurde, abzutreiben.» Weber verweist auf die Abtreibungsquote in der Schweiz (mit 6,2 Abtreibungen pro tausend Frauen eine der niedrigsten weltweit), die dank der guten Aufklärung an Schulen, durch Fachpersonen und im Netz seit Jahren sinke.

«Die Panikmacherei, die mit dieser Petition betrieben wird, bringt nichts. Im schlimmsten Fall löst sie bei Betroffenen sogar ungerechtfertigte Ängste aus», sagt Weber.

Auch Sibil Tschudin, leitende Ärztin an der Frauenklinik am Universitätsspital Basel, findet den Fokus der Petition völlig falsch. «Es ist nicht unsere Aufgabe, Frauen davon zu überzeugen, eine Schwangerschaft auszutragen, wenn sie sich nicht dazu in der Lage fühlen.» Eine wissenschaftliche Debatte, wie sie sich die Petitionäre wünschen, sei nötig, die in der Petition erwähnte Studie aber wenig aussagekräftig, betont Tschudin.

Priscilla Coleman
Priscilla ColemanBild: screenshot youtube/Franciscan University of Steubenville

Die Petitionäre stützen sich auf die Erkenntnisse der amerikanischen Forscherin Priscilla Coleman, die schreibt, Frauen hätten nach einer Abtreibung ein um 81 Prozent erhöhtes Risiko für eine psychische Krankheit. In zehn Prozent der Fälle sei die Abtreibung die direkte Ursache für die Probleme. Gynäkologin Tschudin bezweifelt das. Den Petitionären aber liefert die Studie Munition für ihren politischen Kampf.

Ja nicht verharmlosen

Ein nicht ungefährlicher Kampf, findet Sektenexperte Hugo Stamm. Die Petition sei beispielhaft für den erstarkenden politischen Aktivismus christlicher Fundamentalisten in der Schweiz. Stamm verweist auf die christlich-konservative Stiftung Zukunft CH, die entscheidend am Zustandekommen der Abtreibungs-Petition mitgewirkt hat und regelmässig nach schärferen Abtreibungsgesetzen und weniger Toleranz gegenüber dem Islam ruft.

Markus Zangger, links, und der Journalist Hugo Stamm, rechts, an einer Medienkonferenz in Zuerich, am Dienstag, 4. April 2017. Der Schweizer Paedagoge und Schriftsteller Juerg Jegge steht unter Missbr ...
Hugo StammBild: KEYSTONE

Die Stiftung habe eine «erhebliche Schlagkraft» entwickelt, sagt Stamm. Ihr politisches Potenzial beruhe auf der Unterstützung zahlreicher Freikirchen mit Zehntausenden Gläubigen. Neu sei das Phänomen zwar nicht, dass sich fundamentalistische christliche Organisationen in den politischen Diskurs einmischten. «Zurzeit sind sie aber so aktiv wie selten zuvor», sagt Stamm.

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Präsidiert wird die Stiftung Zukunft CH von Michael Freiburghaus. Der 32-Jährige arbeitet in der Kirchgemeinde Leutwil-Dürrenäsch als reformierter Pfarrer und will sich mit seiner Stiftung für eine «christliche Renaissance» in der Schweiz einsetzen. Freiburghaus spricht von einer verbreiteten «Kultur des Todes» und meint damit die liberale Haltung vieler Zeitgenossen zu Themen wie Sterbehilfe oder Abtreibung. «Das Leben wird bereits im Bauch der Mutter angegriffen, das ungeborene Kind ist konstant bedroht», sagt er. Die eigenen Kinder seien aber die Zukunft des Staates und die Geburtenrate von Schweizerinnen auch ohne Abtreibungen schon kleiner als jene der muslimischen Familien in der Schweiz. Der Aargauer Pfarrer verweist dafür auf Erhebungen, die Zukunft CH für den stiftungseigenen Newsletter «Infodienst» gemacht hat.

Freiburghaus wagt sich mit seinem Doppelengagement als Pfarrer und als «Zukunft CH»-Präsident auf heikles Terrain. Das reformierte Magazin «bref» warf jüngst die Frage auf, ob ein Vertreter einer Landeskirche überhaupt politisch aktiv sein dürfe. «Das Evangelium selbst ist sehr politisch», entgegnet Freiburghaus. «Und ich setze mich mit Herzblut für das Evangelium ein.» Ob Bundesbern offene Ohren für diese Art des Politisierens hat, wird sich zeigen. (aargauerzeitung.ch)

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241 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Triple A
20.02.2019 03:24registriert November 2018
Ewiggestrige!
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fant
20.02.2019 05:53registriert Oktober 2015
Und wie viel % der Frauen die hätten abtreiben wollen, aber das Kind austragen mussten, haben dann eine Depression (egal ob sie es selber aufziehen oder adoptieren lassen)? Oder sogar das Kind wollten? Wie viele solche Kinder wachsen stabil auf und haben ein gutes Leben vor sich?

Ich meine es ist klar, dass eine Abtreibung ein harter (und nicht umkehrbarer) Entscheid ist, also würde es mich wundern, wenn das an 100% spurlos vorbeigehen würde.

Aber man muss doch beide Seiten untersuchen für ein aussagekräftiges Resultat...
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nach gang
20.02.2019 05:10registriert Januar 2019
Es gibt eine Agenda des Rückschritt.
Progressive Ideen und Errungenschaften sind so etwas wie die Frontlinen an von denen über Fortschritt oder Rückschritt gefochten wird.
Fällt eine progressive Position, dann folgt die Nächste bis man wieder im finstersten Mittelalter ist.
Es lohnt sich nicht über die Kräfte der Reaktion zu mokieren. Will man vorwärtskommen muss man den Fehdehandschuh aufnehmen und mit guten Argumenten kämpfen.
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