Am Ende des kleinen Dorfs sticht der moderne Holzbau neben den kleinen Ziegel-Häusern heraus. Der gelbe Bigla-Tisch und das gespannte Sonnensegel auf dem Vorplatz stehen im Kontrast zum vulkanförmigen Piz Toissa im Surses-Tal.
Noch bis vor kurzem sah ihr Wohnumfeld anders aus. Denn die 31-jährige Gianna Sonder und der 33-jährige Dominic Pfluger wohnten mitten im Geschehen in Zürich und Basel. Sie studierte Architektur an der ETH, er war Sozialpädagoge. Bis sie dem Grossstadtleben den Rücken zudrehten und im 200-Seelen-Dorf Salouf im Kanton Graubünden einen Bio-Bauernhof übernahmen. Zu oberflächlich war das Leben in der Stadt. Hier haben sie zum Wesentlichen und zu sich selbst gefunden. Aber dazu später.
In ihrem neuen Leben sind sie gerade dabei, das klassische Bauern zu revolutionieren. Sie wollen anders arbeiten, als es sich der «normale» Bauer gewohnt ist. «Viele haben einen grossen Maschinenpark, sind oft verschuldet und müssen deshalb viel produzieren», erklärt Dominic.
So ist es bei ihnen zur Zeit auch ungewohnt ruhig auf dem Hof. Der Stall ist leer, die Kühe sind auf der Alp. «Wir holen die Kühe nicht jetzt schon runter, wir gönnen uns und den Kühen eine Pause.» Als Bauer könne man sich den Betrieb so gestalten, dass auch noch Freizeit bleibt. «Ich glaube, viele Bauern wollen einfach viel produzieren und möglichst viel aus dem Betrieb rausholen», sagt Dominic.
Das Paar mit ihren zwei Kindern Onna (2) und Ursin (4) sieht das anders: «Wir brauchen nicht viel Geld und deshalb müssen wir weniger arbeiten und verdienen», fügt Gianna an. So geht die Familie praktisch nie ins Ausland. Sie fahren zu Dominics Eltern ins Berner Oberland oder zu Freunden nach Basel – das sind ihre Ferien.
Auch bei der Wertschöpfung wollen die Landwirte eine andere Richtung einschlagen. «Wir möchten, dass auch andere von unserem Betrieb profitieren», erklärt Dominic. Das herkömmliche Konzept von Produzent und Konsument wollen sie durchbrechen. Statt mit Geld zu bezahlen, sollen die Konsumenten mithelfen und mit Lebensmitteln entschädigt werden.
So könnte man zusammen den Garten bewirtschaften oder die Milch verarbeiten. «Das Potential unseres Betriebs ist riesig. Dieses könnten wir weiter ausschöpfen und die Nahrungsmittel lokal verarbeiten», erklärt Dominic. Doch die beiden wollen sogar noch weiter gehen: «Wir haben uns überlegt, den Bauernhof mit einem anderen Bauernpaar zu teilen.» So könnten sie öfters Ferien machen und würden sich das finanzielle Risiko teilen.
Das Gespräch beim Abendessen wird unterbrochen. Neben dem frischgebackenen Bauernpaar quengeln ihre Kinder, «sie sind müde», Dominic bringt sie ins Bett. Für Gianna beginnt jetzt ihre Arbeit.
Sie packt drei grosse Mehl-Säcke in die Zuber und zieht den Anhänger die Dorfstrasse runter. Bis zum kleinen Ziegel-Dach-Häuschen. Es ist eine der zwei Backstuben des Dorfes. Drinnen riecht es nach verbranntem Holz, Hefe und frisch gebackenem Brot.
«Früher waren die gemeinsam genutzten Backstuben zentral für das Dorf.» Hier hätten sich die Frauen getroffen, gemeinsam Brot gebacken und ihre Wäsche im Brunnen gewaschen. Das Backen im grossen Holzofen hat ihr ihre Mutter beigebracht.
Denn die 31-Jährige ist in Salouf aufgewachsen. Fürs Architektur-Studium zog sie nach Zürich. «Als ich dort lebte, hätte ich nie gedacht, dass ich wieder hierher zurückkehre.» Doch nach dem Abschluss habe sie während ein paar Monaten bei ihren Eltern gelebt und auf dem Bauernhof geholfen. «Da merkte ich erst, dass es mir hier viel besser geht.»
In der Stadt sei man abgelenkt von Dingen, die nicht wichtig und nur oberflächlich seien wie zum Beispiel der Konsum. Ausserdem verspürte sie einen gesellschaftlichen Druck; «du musst so aussehen, ein bestimmtes Leben führen, an diese Partys gehen.» Auf dem Land sei alles viel urtümlicher. Man könne eigene Nahrungsmittel produzieren, was das Grundlegendste sei, das man brauche. «Hier in Salouf habe ich die Möglichkeit, mich richtig zu entfalten und möglichst nah an meinem eigenen Ideal zu leben.»
Gianna redet wenig, aber dafür überlegt und reflektiert. Dass rätoromanisch ihre Muttersprache ist, hört man ihrem Bündner Dialekt stark an. Mit ihrer Rückkehr in ihren Heimatort tut sie genau das Gegenteil ihrer Altersgenossen: Die meisten von ihnen wandern ab. Sie kennt die Zahlen selbst am besten. Die Bündnerin setzt sich bei der «Lia Rumantscha» für die romanische Sprache ein. «Bald wird wahrscheinlich über die Hälfte der Romanischsprachigen ausserhalb von unserem Sprachgebiet leben.»
Die Abwanderung mache es schwer, die Sprache am Leben zu erhalten. In Salouf kämpft die Gemeinde mit lebensverlängernden Massnahmen dagegen. Schreibt der Dorfladen Volg ein Defizit, zahlt die Gemeinde drauf und gleicht den Verlust aus. Und weil das letzte Restaurant nicht mehr rentierte, kaufte sie es auf. Dem Dorf blieb so ein sozialer Treffpunkt erhalten. Auch Gianna trifft sich in der Beiz mit der von ihr gegründeten Gruppe von Müttern. Ausserdem verkauft sie ihr Gemüse und bald auch ihr Brot an die «Ustria».
Nach dem Frühstück, bei dem über Kuhzungen-Gerichte und panierte Euter geredet wird, geht es zurück in die Backstube. Dreissig Brote backen nun in der Hitze. Den grössten Teil behält sie für die Familie, das reiche für mehrere Wochen. Ein paar verkauft sie den Einwohnern. «Immer wenn ich backe, läuft jemand durch und wird vom Duft in die Backstube gelockt.» Und tatsächlich, kurze Zeit später – als alle Laibe auf dem Holzregal auskühlen – streckt eine Frau ihren Kopf in den wohlriechenden Raum und fragt, ob sie eines kaufen könne.
Für andere Lebensmittel hat die junge Bio-Bäuerin zeitgemässere Verkaufsmöglichkeiten. Mithilfe eines WhatsApp-Chats startete sie ein Joghurt-Abo. Und um das Gemüse zu verkaufen, gründete sie einen Gemüseverein, zusammen mit anderen hat sie nun einen Stand am Wochenmarkt in Savognin.
Sie will verhindern, dass ihre Produkte quer durch den Kanton gefahren werden. «Am Schluss landen sie dennoch wieder im Kühlschrank meines Nachbars. Das macht ökologisch keinen Sinn», sagt Gianna.
Ist Gianna wieder im Haus, macht sich Dominic auf den Weg zum Stall. Der 4-jährige Ursin begleitet ihn und kurvt mit seinem neuen Velo die Dorfstrasse runter. «Das ist praktisch; auf dem Hof können die Kinder beim Arbeiten mit dabei sein», sagt der gebürtige Berner Oberländer und führt durch den Gemüsegarten.
Trotz Idylle: Ob er seine Freunde in Basel und Familie in Bern nicht vermisse? «Klar, am Anfang hatte ich sehr «zbiisse». Ich habe gemerkt, dass mir etwas fehlt.» Ganz im Gegenteil zum grossen Kulturangebot der Stadt: «Das brauche ich nicht. Für mich macht das nicht ein gutes Leben aus. Zurück in die Stadt zu ziehen, kann ich mir nicht mehr vorstellen.»