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Nachhaltigkeit: In Genf gibt es jetzt Abfall-Coaches

Der plastikfreie Kühlschrank einer der gecoachten Familien.
Der plastikfreie Kühlschrank einer der gecoachten Familien. bild: zvg

In Genf gibt es jetzt Abfallcoaches – und die Resultate sind spektakulär

Kaum ein Land produziert mehr Müll pro Kopf als die Schweiz. In Carouge GE beraten jetzt Abfallcoaches Haushalte. Resultat: fast 70 Prozent weniger Müll. Das Projekt interessiert nun auch das Bundesamt für Umwelt.
13.04.2019, 11:4628.05.2020, 13:18
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Von 5 Kilo brennbarem Müll pro Woche und Kopf runter auf 500 Gramm – die Strategie von Carouge GE zeigt Wirkung.

Die Stadt hat in den letzten sechs Monaten regelmässig Abfallcoaches in 24 interessierte Haushalte geschickt. Immer zu Ende der Woche wägten die Familien ihren Abfall. Was dabei rauskam, ist recht eindrücklich: Gewisse Haushalte reduzierten ihren Abfall um 95 Prozent, berichtet die Tribune de Genève (Abo). Im Durchschnitt warfen die Familien 68 Prozent weniger Abfall in den Müll.

Neben den Coachings organisierte die Stadt auch zahlreiche Schulungen für die ganze Bevölkerung. Nicolas Walder, Grünen-Politiker und Gemeindepräsident von Carouge, zu watson: «Dort lernen die Bewohner beispielsweise ihr eigenes Waschmittel herzustellen und den Käse im Tupperware mit nach Hause zu nehmen, statt den in Plastik eingepackten zu kaufen.» Erst kürzlich habe ein Kurs zu selbst hergestelltem Make-up stattgefunden. Die verschiedenen Angebote hätten bisher rund 500 Haushalte erreicht.

Auch Bundesamt für Umwelt interessiert

Auch auf nationaler Ebene interessiere man sich für die Abfallcoaches, sagt Walder: «Das Bundesamt für Umwelt hat mich an ein Forum zum Thema eingeladen. Sie wollen prüfen, inwiefern das Projekt übernommen werden könnte.»

Walder hofft nun, dass andere Gemeinden und Städte nachziehen. Gewisse Behörden würden sich bereits zu den Coachings erkundigen, sagt Walder: Die Stadt Genf sei interessiert, mit ein paar anderen Gemeinden habe er informelle Gespräche geführt. In der Stadt Zürich ist man momentan daran, die Entsorgungsstrategie weiterzuentwickeln, sagt Sprecher Pio Sulzer zu watson. «Auch Zero Waste wird geprüft.»

Bereits einen Schritt weiter ist die Genfer Gemeinde Bernex. Dort werden Coaches in den nächsten Wochen damit beginnen, Familien und Einzelpersonen Tipps zu geben: «Ich bin überzeugt, dass so etwas viel mehr bringt als Info-Broschüren oder Videos», sagt CVP-Stadtrat Cyril Huguenin zur «Tribune de Genève».

Die Grünen-Nationalrätin Lisa Mazzone findet, ähnliche Projekte sollten in möglichst vielen Gemeinden organisiert werden. Auf nationaler Ebene sieht sie den Handlungsbedarf jedoch eher an der Quelle, also dass direkt in den Läden die Menge an Plastik reduziert wird. «Hier sind nicht nur individuelle Verhaltensweisen wichtig, sondern es handelt sich um eine kollektive Herausforderung.»

Erste Zero-Waste-Stadt in der Schweiz?

Die Coachings hat die Regierung von Carouge lange vor den Klimastreiks geplant, im Frühjahr 2018. Denn die Stadt hat ambitionierte Ziele: Sie will die erste Zero-Waste-Stadt der Schweiz werden.

Innert drei Jahren soll jeder der 23'000 Einwohner seinen Abfall um rund 30 Prozent reduzieren. Aktuell verursacht jeder Einwohner fast 180 Kilo Haushaltsmüll pro Jahr.

Dass man ihm vorwerfen könnte, die Bewohner der Gemeinde zu bevormunden, glaubt der Gemeindepräsident von Carouge nicht: «Die Coaches haben ja nur Familien besucht, die das auch begrüssen.» Ausserdem stünden die öffentlichen Behörden in der Verantwortung, einen nachhaltigen Umgang mit dem Abfall zu fördern.

Lebensmittel in Stoffbeuteln und Tipps der Coaches. bild: zvg

Initiiert hat das Projekt die Bevölkerung zudem selber, als die Stadt einen Aufruf machte mit dem Titel «Baut gemeinsam die Zukunft von Carouge». Die Organisation Zero Waste Switzerland meldete sich und gewann die Ausschreibung.

Walder ist sehr zufrieden mit dem Resultat. Er hofft nun auf einen Paradigmenwechsel: «Heute ist die Norm, seine Produkte verpackt zu kaufen. Unverpackte Produkte zu kaufen, ist speziell. Es muss gerade umgekehrt sein.»

Dem Grünen-Politiker liegt an erster Stelle der nachhaltigere Konsum am Herzen, aber es gehe auch um eine Kostenfrage: «Reduzieren wir unseren Müll, reduzieren wir auch die Kosten der Abfallentsorgung.» Ab September werden die Coaches in der Genfer Kleinstadt wieder von Tür zu Tür gehen und Tipps geben.

Im Wegwerfen sind wir Europameister

Fakt ist: Kaum ein Land produziert mehr Müll pro Kopf als die Schweiz. Ein Schweizer produziert pro Jahr im Schnitt 334 Kilo Haushalts- und Siedlungsabfall, der verbrannt werden muss. Wir recyceln aber auch viel. Unsere Recyclingquote beträgt gesamthaft 53 Prozent, wie Zahlen des Bundes zeigen.

Zum Vergleich: Europaweit gibt es bereits rund 400 Zero-Waste-Städte, ein Grossteil davon in Italien und in Spanien. Die italienische Stadt Paese beispielsweise verursacht, laut Zero Waste Europe, pro Einwohner und Jahr 57 Kilo Restmüll, der verbrannt wird. Die Stadt mit knapp 22'000 Einwohnern erreicht damit eine Recyclingquote von knapp 85 Prozent.

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Plastikmüll im Meer
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37 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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TrueClock
13.04.2019 14:19registriert September 2015
Mich würde interessieren warum wir so viel mehr Müll wie andere Länder produzieren, wenn wir ja da so schlecht sind. Gibts dazu Infos?
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Rethinking
13.04.2019 16:16registriert Oktober 2018
Die grossen Coop, Migros, Aldi und Lidl haben es in der Hand.

Statt nur perfekt aussehendes Gemüse und der Norm entsprechende Früchte in den Läden anzubieten sollten sie jegliches.

Statt alles in Plastik zu verschweissen, zu grosse Verpackungen zu verwenden etc. Sollten sie möglichst nichts verpacken und Verpackungen möglichst klein halten.

Die Ausrede: Die Konsumenten wollen dass, gilt nicht. Konsumenten kann man steuern und erziehen, dass sollten die Detailhändler nur all zu gut wissen. Sie tun dies schliesslich jeden Tag mit uns. Halt einfach mit Fokus Profit...
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Donald
13.04.2019 15:44registriert Januar 2014
Nur weil etwas "selbst gmemacht" ist, ist es nicht automatisch umweltschonender. Oft braucht man beim selbst machen mehr Rohmaterial und Verpackung von diesem, als die Industrie.
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