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Hat die Schweiz ein Mafia-Problem? 7 Fragen und Antworten zu den 'Ndrangheta-Verhaftungen

Die Videosequenz der «Operazione Helvetica», die die kalabresische Polizei am Freitag, 22. August 2014 ins Internet stellte.
Die Videosequenz der «Operazione Helvetica», die die kalabresische Polizei am Freitag, 22. August 2014 ins Internet stellte.
Bild: CARABINIERI DI REGGIO CALABRIA

Hat die Schweiz ein Mafia-Problem? 7 Fragen und Antworten zu den 'Ndrangheta-Verhaftungen

09.03.2016, 05:2309.03.2016, 07:23
susanne huber / Aargauer Zeitung
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Gestern Morgen wurden 15 mutmassliche Mitglieder der ’Ndrangheta verhaftet,12 von ihnen wohnten im Kanton Thurgau, einer in Zürich und zwei im Wallis. Dass es im Thurgau eine Zelle der kalabresischen Mafia gibt, war bekannt. Aufgeflogen ist sie im August 2014, als zwei ihrer Mitglieder in Kalabrien von der italienischen Polizei verhaftet wurden.1

Wer sind die Verhafteten?

Handelt es sich bei den mutmasslichen ’Ndrangheta-Mitgliedern um Personen, die bereits 2014 ins Visier der Staatsanwaltschaft geraten sind? Da es sich um ein laufendes Verfahren handelt, wird über die Identität der verhafteten Personen keine Auskunft gegeben. Es ist also nicht klar, ob diese bereits 2014 verdächtigt wurden.

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Was wird ihnen vorgeworfen

Was genau wird den verhafteten Personen vorgeworfen? Das ist nicht im Detail bekannt. Die italienischen Behörden werfen ihnen vor, Mitglieder einer kriminellen Organisation zu sein. Deswegen wurden sie gestern in Ausschaffungshaft genommen. Die beiden im Wallis verhafteten Personen wurden in Italien allerdings bereits zu Freiheitsstrafen von neun respektive sechs Jahren verurteilt. In welcher Form die anderen Personen Teil der Mafia sein sollen, kommunizierte die Bundesanwaltschaft nicht.

Warum kein Prozess bei uns? 

Auch die Schweizer Bundesanwaltschaft führt ein Strafverfahren gegen diese Personen. Warum wird ihnen der Prozess nicht in der Schweiz gemacht? Die Bundesanwaltschaft ermittelt wegen derselben Straftaten wie die italienischen Behörden. Deshalb hätte eigentlich das Strafverfahren in der Schweiz Vorrang vor einer Auslieferung an Italien. Von dieser Regelung gibt es aber Ausnahmen. Weil die in der Schweiz verfolgten Straftaten in Italien Teil einer grösseren Ermittlung sind, sollen die verhafteten Personen an Italien ausgeliefert werden.

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Hat die Schweiz ein gravierendes Mafia-Problem?

Bundesanwalt Michael Lauber hat in der Vergangenheit gesagt, dass es keine systematische Infiltration der Schweiz durch das Organisierte Verbrechen gebe. Allerdings schreibt das Bundesamt für Polizei in seinem Jahresbericht 2014, dass alle italienischen Mafiaorganisationen in der Schweiz präsent seien, am stärksten aber die ’Ndrangheta. Auf Nachfrage sagte Mediensprecher Alexander Rechsteiner gestern, dieses Phänomen sei seit längerem bekannt. Die Mafia-Organisationen würden gegen Norden expandieren. Wegen ihrer geografischen Lage spiele die Schweiz als nördlicher Nachbar Italiens daher eine besondere Rolle. Die Situation sei nicht gravierender geworden.

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Welche kriminellen Aktivitäten verfolgt die ’Ndrangheta in der Schweiz?

Mutmassliche Mafiosi, die im Visier der Behörden sind, sind nicht unbedingt immer noch kriminell tätig. Gerade Mitglieder der Führungsebene mögen zwar früher Delikte begangen haben. Heute aber verhalten sie sich in aller Regel unauffällig und gelten oft als sozial gut integriert. Andere Mitglieder der ’Ndrangheta sind bis schwerstkriminell. Häufige Delikte sind Raub und Drogenhandel. Weitere Delikte sind Betrug, Menschenhandel, illegale Wetten oder Erpressungen. Laut Schätzungen beträgt der Jahresumsatz der ’Ndrangheta über 50 Milliarden Franken.

Wo in der Schweiz ist die ’Ndrangheta präsent?

Das Bundesamt für Polizei geht davon aus, dass sich Personen mit Bezügen zur ’Ndrangheta in der ganzen Schweiz aufhalten. Die Thurgauer Zelle ist die einzige in der Schweiz belegte formelle Struktur. In der Schweiz wohnen einige Personen «mit zum Teil sehr engen familiären Bezügen zu hochrangigen Vertretern der ’Ndrangheta in Kalabrien». Mehrere Hinweise aus Ermittlungsverfahren deuteten darauf hin, «dass in der Schweiz neben der bestätigten Ostschweizer Zelle weitere ‹locali› existieren», die sich teils auch koordinierten.

Wie geht es jetzt weiter?

14 der Festgenommenen widersetzen sich der Auslieferung nach Italien. Gegen die Auslieferung ausgesprochen hat sich auch einer von zwei weiteren Verdächtigen, die den Schweizer Pass besitzen und deshalb nicht in Auslieferungshaft genommen werden konnten. Die andere Person wird erst nächste Woche einvernommen. Beide können nicht ohne ihre Zustimmung ausgeliefert werden.

Jetzt auf

Das Bundesamt für Justiz (BJ) will prüfen, ob die Personen gegen bestimmte Auflagen freigelassen werden sollen. Da die meisten von ihnen seit Jahren in der Schweiz leben und bereits vor der Festnahme Kenntnis von den italienischen Ermittlungen hatten, schätzt das BJ das Fluchtrisiko und die Verdunkelungsgefahr als gering ein. Es schlägt deshalb vor, die Personen gegen Kaution freizulassen.

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