Shit happens. Oder weniger drastisch: Dieser Mann hat wirklich Pech gehabt. Am Mittwoch um 14 Uhr stellte Richard Koller, Parteisekretär der Luzerner SVP, im Medienzentrum des Bundes seine Volksinitiative «Zuerst Arbeit für Inländer» (ZAFI) vor. Zwei Stunden später begründete Didier Burkhalter an gleicher Stelle seinen Rücktritt aus dem Bundesrat und stahl ihm damit die Show.
Koller muss sich mächtig geärgert haben, denn sein Anliegen ging dadurch in den Medien ziemlich unter. Dabei will der Mann nichts weniger als die Schweiz retten. Oder so ähnlich. Er sei «ein absoluter Schweiz-Fan», sagte der Unternehmensberater der «Luzerner Zeitung». Deren Werte und Mentalität erachtet Koller als bedroht, durch die starke Zuwanderung der letzten Jahre.
Weil er sich über die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative (MEI) ärgerte, beschloss der Luzerner im Dezember die Lancierung einer eigenen Initiative. Sie setzt an bei der grössten Angst der Schweizerinnen und Schweizer: Jener vor Arbeitslosigkeit. Die Antwort ist ein Inländervorrang, der nicht «light» ist, sondern knallhart.
Dabei hat Koller offenkundig aus den Schwächen der MEI gelernt. In seiner Initiative sind klare Kriterien formuliert: Sobald die Erwerbslosigkeit gemäss der Definition der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) höher liegt als 3,2 Prozent, darf die Wirtschaft nur noch inländische Arbeitskräfte anstellen. Diese Erwerbslosigkeit umfasst alle Personen, die bei den RAV registriert sind, insbesondere auch die Ausgesteuerten.
Im letzten Jahr betrug die entsprechende Quote in der Schweiz 4,6 Prozent. Mit anderen Worten: Im fiktiven Fall, dass die ZAFI-Initiative heute vom Stimmvolk angenommen wird, müsste der Bund sofort die Zuwanderung von Arbeitskräften in die Schweiz unterbinden. Oder «schnellstmöglich die Notbremse ziehen», wie es Richard Koller vor den Medien formulierte.
Der Wert von 3,2 Prozent entspreche der durchschnittlichen Erwerbslosigkeit während der Rezession der 1990er Jahre, dozierte Koller. Bis 2001 sei sie auf 2,4 Prozent gefallen, doch seit die volle Personenfreizügigkeit mit der EU 2007 in Kraft trat, habe sie auf den heutigen Wert zugenommen, «trotz Wirtschaftswachstum», wie der Luzerner SVP-Mann betont.
Er trifft damit einen wunden Punkt. Bei vielen Leuten herrscht ein Unbehagen über die Zuwanderung und ihre Folgen, sei es Arbeitslosigkeit oder «Dichtestress». Koller betont, dass es sich nicht um eine Schweizer Initiative handle, «sondern um eine Inländer-Initiative». Von ihr profitierten auch Ausländer, die bereits im Land leben.
Mit der Personenfreizügigkeit wäre die Initiative nicht kompatibel. Die Initianten wollen ein Hickhack wie bei der MEI verhindern. Sie fordern, dass das Freizügigkeitsabkommen drei Monate nach Annahme der Initiative gekündigt wird, sofern es keine Einigung mit der EU gibt.
Das entspricht eigentlich dem Anliegen der SVP, die eine eigene Initiative zur Kündigung der Personenfreizügigkeit lancieren will. Bei der SVP ärgert man sich dennoch über den Alleingang des Luzerner Provinzpolitikers. Die ZAFI-Initiative ist aus ihrer Sicht ein unerwünschtes Störmanöver.
Franz Grüter, Nationalrat und bis vor kurzem Präsident der Luzerner Kantonalpartei, wirft Koller vor, er wolle sich mit der Initiative profilieren. Halte er daran fest, werde man ihm das Amt des Parteisekretärs entziehen.
Koller gab sich unbeeindruckt: «Ich habe nie so etwas gehört.» Seine Initiative habe nichts mit der SVP zu tun, sie sei «von Bürgern für Bürger» lanciert worden. Sein Komitee besteht weitgehend aus Nobodys. Halbwegs bekannt ist einzig der Zuger Willi Vollenweider, Präsident der armeefreundlichen Gruppe Giardino. Er hatte sich bereits für das gescheiterte Referendum gegen die MEI-Umsetzung ins Zeug gelegt.
Ausnahmen beim rigorosen Inländervorrang sind nur wenige vorgesehen, etwa für Personen, die an ihrem Arbeitsplatz mehr als das Doppelte des Durchschnittseinkommens verdienen. Oder für Berufe, in denen die Arbeitslosigkeit unter 1 Prozent liegt. Was aber macht eine Firma, die eine benötigte Fachkraft nicht in der Schweiz findet und keines der beiden Kriterien erfüllt?
Auf die Frage von watson flüchtete sich Richard Koller in ein Plädoyer für Aus- und Weiterbildung: «Statt Informatiker umzuschulen und weiterzubilden, setzt man sie auf die Strasse.» Eine blauäugige Argumentation angesichts der Tatsache, dass die teure Schweiz sich nur mit einer hoch spezialisierten Wirtschaft auf den Weltmärkten behaupten kann.
Die Umsetzung der Initiative könnte trotz der vermeintlich klaren Vorgaben zu einer ähnlichen Knacknuss werden wie die MEI. Sofern die benötigten 100'000 Unterschriften bis Dezember 2018 zusammenkommen. Es ist eine grosse Herausforderung für das schmalbrüstige Komitee. Richard Koller aber ist überzeugt, dass es klappt. Er verweist auf die Unterstützung durch den Verein «Avenir 50 plus», der sich in erster Linie für die ältere Arbeitslose einsetzt.
«Wir haben einen grossen Sympathierücklauf aus dem Volk», sagt Richard Koller. Der Titel «Zuerst Arbeit für Inländer» dürfte bei vielen Leuten Anklang finden. Der Verein Ecopop hat gezeigt, dass man mit geringen Ressourcen eine zuwanderungskritische Initiative stemmen kann. Koller zählt zudem auf punktuelle Unterstützung aus SVP und AUNS.
«Wir müssen alles unternehmen, damit die Menschen Platz im Erwerbsleben finden. Wir dürfen sie nicht einfach in die Sozialwerke abschieben. Das ist grundlegend respektlos gegenüber dem Volk», hielt Koller fest. Man sollte diesen Schweiz-Retter nicht unterschätzen.