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Neue Zuwanderungs-Initiative fordert «Zuerst Arbeit für Inländer»

Richard Koller, Sekretaer SVP Luzern, spricht wahrend einer Medienkonferenz auf Initiativkomitee ZAFI "Zuerst Arbeit fuer Inlaender", am Mittwoch, 14. Juni 2017 in Bern. (KEYSTONE/Anthony An ...
Richard Koller stellt seine Volksinitiative vor.Bild: KEYSTONE

Neue Zuwanderungs-Initiative: Ein Mann will die Schweiz retten

Ein SVP-Mann aus Luzern lanciert mit ein paar Mitstreitern eine Volksinitiative für einen rigorosen Inländervorrang. Er kommt damit seiner Partei in die Quere, die lieber die Personenfreizügigkeit aufkündigen will.
17.06.2017, 15:0218.06.2017, 01:27
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Shit happens. Oder weniger drastisch: Dieser Mann hat wirklich Pech gehabt. Am Mittwoch um 14 Uhr stellte Richard Koller, Parteisekretär der Luzerner SVP, im Medienzentrum des Bundes seine Volksinitiative «Zuerst Arbeit für Inländer» (ZAFI) vor. Zwei Stunden später begründete Didier Burkhalter an gleicher Stelle seinen Rücktritt aus dem Bundesrat und stahl ihm damit die Show.

Koller muss sich mächtig geärgert haben, denn sein Anliegen ging dadurch in den Medien ziemlich unter. Dabei will der Mann nichts weniger als die Schweiz retten. Oder so ähnlich. Er sei «ein absoluter Schweiz-Fan», sagte der Unternehmensberater der «Luzerner Zeitung». Deren Werte und Mentalität erachtet Koller als bedroht, durch die starke Zuwanderung der letzten Jahre.

Nationalraete der SVP halten Plakate mit der Aufschrift "Verfassungsbruch" und "Massenzuwanderung geht weiter" hoch, bei der Schlussabstimmung ueber die Masseneinwanderungsinitiati ...
SVP-Protest gegen die MEI-Umsetzung.Bild: KEYSTONE

Weil er sich über die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative (MEI) ärgerte, beschloss der Luzerner im Dezember die Lancierung einer eigenen Initiative. Sie setzt an bei der grössten Angst der Schweizerinnen und Schweizer: Jener vor Arbeitslosigkeit. Die Antwort ist ein Inländervorrang, der nicht «light» ist, sondern knallhart.

Erwerbslosigkeit von 3,2 Prozent

Dabei hat Koller offenkundig aus den Schwächen der MEI gelernt. In seiner Initiative sind klare Kriterien formuliert: Sobald die Erwerbslosigkeit gemäss der Definition der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) höher liegt als 3,2 Prozent, darf die Wirtschaft nur noch inländische Arbeitskräfte anstellen. Diese Erwerbslosigkeit umfasst alle Personen, die bei den RAV registriert sind, insbesondere auch die Ausgesteuerten.

Im letzten Jahr betrug die entsprechende Quote in der Schweiz 4,6 Prozent. Mit anderen Worten: Im fiktiven Fall, dass die ZAFI-Initiative heute vom Stimmvolk angenommen wird, müsste der Bund sofort die Zuwanderung von Arbeitskräften in die Schweiz unterbinden. Oder «schnellstmöglich die Notbremse ziehen», wie es Richard Koller vor den Medien formulierte.

Der Wert von 3,2 Prozent entspreche der durchschnittlichen Erwerbslosigkeit während der Rezession der 1990er Jahre, dozierte Koller. Bis 2001 sei sie auf 2,4 Prozent gefallen, doch seit die volle Personenfreizügigkeit mit der EU 2007 in Kraft trat, habe sie auf den heutigen Wert zugenommen, «trotz Wirtschaftswachstum», wie der Luzerner SVP-Mann betont.

Personenfreizügigkeit kündigen

Er trifft damit einen wunden Punkt. Bei vielen Leuten herrscht ein Unbehagen über die Zuwanderung und ihre Folgen, sei es Arbeitslosigkeit oder «Dichtestress». Koller betont, dass es sich nicht um eine Schweizer Initiative handle, «sondern um eine Inländer-Initiative». Von ihr profitierten auch Ausländer, die bereits im Land leben.

Mit der Personenfreizügigkeit wäre die Initiative nicht kompatibel. Die Initianten wollen ein Hickhack wie bei der MEI verhindern. Sie fordern, dass das Freizügigkeitsabkommen drei Monate nach Annahme der Initiative gekündigt wird, sofern es keine Einigung mit der EU gibt.

Das entspricht eigentlich dem Anliegen der SVP, die eine eigene Initiative zur Kündigung der Personenfreizügigkeit lancieren will. Bei der SVP ärgert man sich dennoch über den Alleingang des Luzerner Provinzpolitikers. Die ZAFI-Initiative ist aus ihrer Sicht ein unerwünschtes Störmanöver.

Franz Grüter, Nationalrat und bis vor kurzem Präsident der Luzerner Kantonalpartei, wirft Koller vor, er wolle sich mit der Initiative profilieren. Halte er daran fest, werde man ihm das Amt des Parteisekretärs entziehen.

Nichts mit der SVP zu tun

Koller gab sich unbeeindruckt: «Ich habe nie so etwas gehört.» Seine Initiative habe nichts mit der SVP zu tun, sie sei «von Bürgern für Bürger» lanciert worden. Sein Komitee besteht weitgehend aus Nobodys. Halbwegs bekannt ist einzig der Zuger Willi Vollenweider, Präsident der armeefreundlichen Gruppe Giardino. Er hatte sich bereits für das gescheiterte Referendum gegen die MEI-Umsetzung ins Zeug gelegt.

Unterschriftensammler waehrend der Einreichung der Ecopop Initative, "Stop der Ueberbevoelkerung" am Freitag, 2. November 2012 in Bern. Das Volksbegehren hat zwei Stossrichtungen: Einerseits ...
Ecopop hat gezeigt, dass man mit wenig Ressourcen eine zuwanderungskritische Initiative stemmen kann.Bild: KEYSTONE

Ausnahmen beim rigorosen Inländervorrang sind nur wenige vorgesehen, etwa für Personen, die an ihrem Arbeitsplatz mehr als das Doppelte des Durchschnittseinkommens verdienen. Oder für Berufe, in denen die Arbeitslosigkeit unter 1 Prozent liegt. Was aber macht eine Firma, die eine benötigte Fachkraft nicht in der Schweiz findet und keines der beiden Kriterien erfüllt?

«Sympathierücklauf aus dem Volk»

Auf die Frage von watson flüchtete sich Richard Koller in ein Plädoyer für Aus- und Weiterbildung: «Statt Informatiker umzuschulen und weiterzubilden, setzt man sie auf die Strasse.» Eine blauäugige Argumentation angesichts der Tatsache, dass die teure Schweiz sich nur mit einer hoch spezialisierten Wirtschaft auf den Weltmärkten behaupten kann.

Die Umsetzung der Initiative könnte trotz der vermeintlich klaren Vorgaben zu einer ähnlichen Knacknuss werden wie die MEI. Sofern die benötigten 100'000 Unterschriften bis Dezember 2018 zusammenkommen. Es ist eine grosse Herausforderung für das schmalbrüstige Komitee. Richard Koller aber ist überzeugt, dass es klappt. Er verweist auf die Unterstützung durch den Verein «Avenir 50 plus», der sich in erster Linie für die ältere Arbeitslose einsetzt.

Von MEI-Ja zu Ecopop-Nein

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Von MEI-Ja zu Ecopop-Nein
Platz 1: Das Dorf Corippo im Tessin ist die kleinste Gemeinde der Schweiz mit 18 Einwohnern. Der MEI stimmten mit fünf Personen noch 71 Prozent der Stimmberechtigten zu. Ecopop erhielt keine einzige Ja-Stimme.
(KEYSTONE/Ti-Press/Samuel Golay)
quelle: ti-press / samuel golay
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«Wir haben einen grossen Sympathierücklauf aus dem Volk», sagt Richard Koller. Der Titel «Zuerst Arbeit für Inländer» dürfte bei vielen Leuten Anklang finden. Der Verein Ecopop hat gezeigt, dass man mit geringen Ressourcen eine zuwanderungskritische Initiative stemmen kann. Koller zählt zudem auf punktuelle Unterstützung aus SVP und AUNS.

«Wir müssen alles unternehmen, damit die Menschen Platz im Erwerbsleben finden. Wir dürfen sie nicht einfach in die Sozialwerke abschieben. Das ist grundlegend respektlos gegenüber dem Volk», hielt Koller fest. Man sollte diesen Schweiz-Retter nicht unterschätzen.

Video: srf/SDA SRF
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130 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Neunundneunzig
17.06.2017 17:38registriert April 2017
Wird im Artikel nicht erwähnt, habe ich aber bei der ursprünglichen Meldung des Tagis gelesen: die Initiative würde sogar so weit gehen, Ausländern, welche bereits hier leben, den Zugang zum Arbeitsmarkt zu verwehren, wenn sie ihre Ausbildung nicht in der Schweiz absolviert haben.
Ich wäre davon persönlich betroffen, mit einem Ehemann mit C-Ausweis aber einem ausländischen Abschluss - sicherlich kein Einzelfall.
Ich denke, dass man unbedingt beleuchten sollte, was die Initative für hier wohnhafte ausl. Menschen bedeuten würde.
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Randy Orton
17.06.2017 16:09registriert April 2016
Sprich: Sobald die Arbeitelosigkeit 3,2% erreicht, werden keine Ärzte, keine Pflegefachleute, keine Bauarbeiter und viele andere Arbeiter mehr eingestellt werden können, da es zu wenige Schweizer gibt die in diesen Jobs ausgebildet werden...
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Fondue
17.06.2017 16:26registriert Januar 2015
Ah ich kann es nicht mehr hören. Immer die gleiche leier bei der SVP.
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