Schweizerpass, nein danke? Oder eher: Schweizerpass, den kriegst du nicht? Die Fragen stellen sich, denn die Zahl der Einbürgerungen ist in der Schweiz seit Jahren vergleichsweise tief. Sie schwankt zwischen 44'400 eingebürgerten Menschen im Jahr 2008 und 32'800 im Jahr 2014. Im vergangenen Jahr waren es immerhin 40'600 Menschen, die den roten Pass erhielten. Das zeigen neuste Zahlen des Staatssekretariats für Migration.
Eine mögliche Ursache für den plötzlichen Anstieg sieht der Neuenburger Migrationsforscher Etienne Piguet in der Durchsetzungsinitiative der SVP. Die Initiative schaffe für Ausländer in der Schweiz «ein Klima der Unsicherheit», sagte er gegenüber dem Westschweizer Radio. «Einige lassen sich möglicherweise einbürgern, um beim Aufenthaltsrecht kein Risiko einzugehen.»
Dem zwischenzeitlichen Hoch zum Trotz: Die Schweiz hat eines der strengsten Einbürgerungsregimes Europas. Nirgendwo auf dem Kontinent müssen Ausländer länger auf den Pass warten als in der Schweiz. Zehn Jahre muss sich ein Ausländer, der als Erwachsener eingewandert ist, hierzulande gedulden, bis er einen Einbürgerungsantrag stellen kann. Die meisten Länder Europas kennen heute eine Frist von fünf Jahren für ordentliche Einbürgerungen.
Sind die Hürden für eine Einbürgerung zu hoch? Ja, findet der Präsident der eidgenössischen Migrationskommission. In einem Interview mit dem «SonntagsBlick» schlägt Walter Leimgruber nun Alarm: «Ein Gebilde, das einen Viertel der Menschen bei Entscheidungen ausschliesst, kann sich eigentlich nicht Demokratie nennen.» Die Einbürgerungsverfahren dauerten zu lange, seien intransparent und teuer.
Leimgruber kritisiert, dass die Kantone bei Einbürgerungen die Schrauben anziehen. Jüngst haben dies etwa die Kantone Zürich und Bern getan. Wegen der hohen Anforderungen sei ein grosser Teil der Arbeitsmigranten ohne Ausbildung vom Schweizer Bürgerrecht ausgeschlossen, sagt er. Und viele Ausländer der zweiten oder dritten Generation würden sich ein Einbürgerungsverfahren lieber erst gar nicht antun.
Zumindest Ausländer der dritten Generation können auf eine erleichterte Einbürgerung hoffen. Eine Reform will ihnen unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf das Schweizer Bürgerrecht durch Geburt gewähren. Eine automatische Einbürgerung ist dabei nicht vorgesehen. Die Vorlage geht zurück auf eine parlamentarische Initiative der Waadtländer SP-Nationalrätin Ada Marra aus dem Jahr 2008. Der Nationalrat hat dieser im Frühling 2015 zugestimmt, der Ständerat ist denkbar knapp darauf eingetreten. Als Nächstes wird sich die Staatspolitische Kommission des Ständerates damit befassen müssen.
Doch den jahrelangen Bestrebungen droht der Absturz. Mehrere Parlamentarier bestätigen gegenüber der «Nordwestschweiz»: Erleichterte Einbürgerungen dürften es angesichts der rechten Mehrheit im Nationalrat nun besonders schwer haben. Eine Allianz aus SVP und konservativen Vertretern von FDP und CVP könnte die Reform verhindern.
Für den Solothurner FDP-Nationalrat Kurt Fluri etwa ist klar: «Obwohl die Vorlage moderat ist und keine automatische Einbürgerung vorsieht, wird sie wohl scheitern.» Diese Befürchtung teilt die Basler SP-Nationalrätin Silvia Schenker. Sie nimmt die FDP und die CVP in die Pflicht. «Nur wenn sich diese beiden Fraktionen geschlossen hinter die erleichterten Einbürgerungen stellen», sagt sie, «hat die Reform eine Chance.» Es gehe um perfekt integrierte Menschen, die in der Schweiz geboren und hier längst tief verwurzelt seien.
Just die SVP empfiehlt «gut integrierten Ausländern» in ihrem Argumentarium zur Durchsetzungsinitiative, sich einbürgern zu lassen. Für Kurt Fluri ist das heuchlerisch. «Die SVP spielt mit dem Volk», sagt er. «Schliesslich verhindert ja gerade sie alle Varianten der erleichterten Einbürgerung.» Silvia Schenker findet es deswegen «schlicht verlogen», nun Einbürgerungen zu propagieren.
Stimmt das Parlament doch noch für Erleichterungen, wird das Stimmvolk das letzte Wort haben. Hier dürfte die Vorlage ohnehin einen schweren Stand haben. Die erleichterte Einbürgerung für in der Schweiz aufgewachsene Ausländer scheiterte bislang stets an der Urne. Zuletzt fand eine Reform vor zwölf Jahren keine Gnade beim Volk.