Schweiz
Offen gesagt

«Liebe Frau Seiler Graf, Ihre SP ist jetzt die neue SVP ...» Ein offener Brief.

Offen gesagt

«Liebe Frau Seiler Graf, Ihre SP ist jetzt die neue SVP ...»

Die Exponenten der SP gebärden sich seit geraumer Zeit sehr authentisch und in Einklang mit der Kern-Botschaft. Das gelingt der SVP seit geraumer Zeit nicht mehr. 
24.05.2018, 16:0925.05.2018, 06:18
Mehr «Schweiz»

Liebe Frau Seiler Graf

Ich gelange an Sie in Ihrer Funktion als Co-Präsidentin der Sozialdemokratischen Partei des Kantons Zürich. Als solche haben Sie diese Woche mit der Vertrauensfrage an den umstrittenen bis verhassten Sicherheitsdirektor Mario Fehr ein ziemliches Gewurschtel vom Stapel gelassen und stehen jetzt ein bisschen blöd da. Aber nicht für lange, wie ich glaube. 

Denn es ist mir jetzt klar, warum die SP die Stadtzürcher Wahlen gewonnen hat, warum die SP die Kantonalzürcher Wahlen gewinnen wird und warum die SP auch bei den nationalen Wahlen nächstes Jahr zulegen wird. 

Ihre SP ist wieder authentisch. Das Kernanliegen und das Gebaren sind kongruent. Man nimmt Ihren Boten die Botschaft ab. 

Tönt kompliziert, ist es aber nicht. 

Nehmen wir zum Beispiel die SVP. Bei der ist das nicht mehr so. Deswegen ist sie auch nicht mehr erfolgreich.

Nach den verlorenen Berner und Stadtzürcher Wahlen habe ich die Trauer-Interviews von SVP-Präsident Albert Rösti gelesen. Die Personenfreizügigkeit überschwemme und ruiniere uns wirtschaftlich, die Mittelschicht leide Not wegen der Sozialhilfebezüger und diese Mittelschicht vegetiere nun verarmt in der Agglomeration vor sich hin, wohin sie von ebendieser Personenfreizügigkeit vertrieben worden sei und so weiter und so fort. 

Ländlich-bildungsfern geprägten SVP-Exponenten wie Maurer, Schibli, Scherrer oder Bortoluzzi in Kurzarm-Hemden hat man solchen Blödsinn noch abgenommen. In ihrer bäuerischen Abneigung gegen das Fremde, die Armengenössigkeit und urbaneske Modernisierungstendenzen waren sie glaubwürdig. Und konnten so die angeblichen Kernanliegen ihrer Partei authentisch transportieren. 

Aber Männer wie Albert Rösti, Thomas Aeschi, Roger Köppel oder Gregor Rutz? Studierte ETH-Ingenieure mit MBAs, Unternehmensberater, Verleger und Juristen in Massanzügen? Aus deren Mündern wirken die agripoppen SVP-Botschaften ans Wahl- und Stimmvolk lächerlich. 

Ganz anders bei Ihnen in der SP! Noch unlängst als Cüpli-Sozialisten belächelt, kämpfen Sie wieder mit harten Bandagen, betreiben Machtpolitik und Intrige, dass es der klassenkämpferischen Tradition der Sozialdemokratie mehr als zur Ehre gereicht. 

Da versucht die Basler SP-Fraktion seit geraumer Zeit Silvia Schenker von ihrem Nationalratssitz runter zu mobben, weil ein anderer den Sitz will. Schamlos öffentlich und unverblümt unanständig.

Da desavouiert die Zürcher SP-Stadtpräsidentin ihre Kollegin im Gesundheitsdepartement öffentlich. Derart, dass diese drei Wochen vor den Wahlen den Bettel schmeisst und sich so mit kalkuliertem Sitzentzug an der Partei rächt.

Danach baut diese SP-Stadtpräsidentin diese Regierung um und verbannt die Bürgerlichen auf Risiko- und die eigenen Leute auf Trostposten. Und erntet dafür noch höchste politische Weihen mit dem Übernamen «Machtmissmauch».  

Und nun kommen Sie noch mit dem öffentlichen Stand-Off mit Sicherheitsdirektor Mario Fehr, der mit einer Vertrauensabstimmung für eine allfällige nächste Amtszeit auf Linie gebracht werden soll. Und was macht der? Tritt lieber als Unabhängiger an, als sich im innerparteilichen Machtkampf zu unterwerfen. 

Schon Ihre ideologischen Urväter Marx und Engels sahen ihn als «Motor der Geschichte» – den Kampf um Ressourcen und Macht. Und den zelebriert derzeit in der Schweizer Politlandschaft niemand eifriger, effizienter und lustvoller als Ihre SP-Exponenten.

Politisches Kernanliegen der Partei und das Gebaren ihrer Exponenten könnten bei Ihnen derzeit also nicht kongruenter, die Authentizität nicht grösser sein.

Ganz wie einst bei der SVP. 

Mit freundlichen Grüssen 

Maurice Thiriet 

Zur Person 

Priska Seiler Graf, SP-ZH, spricht an der Wintersession der Eidgenoessischen Raete, am Mittwoch, 13. Dezember 2017 im Nationalrat in Bern. (KEYSTONE/Anthony Anex)
Priska Seiler Graf (NR, ZH) ist Co-Präsidentin der SP des Kantons Zürich. Sie steht in ihrer Funktion als Präsidentin im Streit zwischen der Juso, dem linken Flügel der Partei und Sicherheitsdirektor Mario Fehr. In einem «Tages-Anzeiger»-Interview gab Seiler Graf mit ihrem Co-Präsidenten Andreas Dauru bekannt, dass Mario Fehr versprochen habe, nicht zu kandidieren, ausser für die SP. Später korrigierte Seiler Graf diese Aussage und sagte, Fehr habe versprochen, nicht für eine andere Partei anzutreten.  Bild: KEYSTONE

Gruppenbild ohne Dame – so männlich sind Kantonsregierungen (7.5.2018)

1 / 23
Gruppenbild ohne Dame – so männlich sind Kantonsregierungen (10.03.2019)
Frauen haben es bis heute schwer, in der Schweiz in politische Ämter gewählt zu werden. Insgesamt stellen sie in den Kantonen bloss 25 Prozent aller Regierungsmitglieder. Sechs Kantone werden derzeit vollständig von Männern regiert. So ist etwa der Regierungsrat von Appenzell Ausserrhoden seit dem Rücktritt von Marianne Koller (FDP) im März 2017 frauenfreie Zone.
quelle: keystone / gian ehrenzeller
Auf Facebook teilenAuf X teilen

Tag der Arbeit auf Kuba

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
66 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
nödganz.klar #161
24.05.2018 16:42registriert Februar 2018
Ich mag Watson, aber die Beiträge von Chefredakteur Maurice sind schon manchmal reine Polemik. 🤷🏾‍♀️
17739
Melden
Zum Kommentar
avatar
7immi
24.05.2018 19:37registriert April 2014
ich habe auch den akademischen weg gewählt, sehe mich dennoch nicht als etwas besseres als leute mit lehrabschluss. schliesslich konsumiere ich die produkte des bauern während er die maschinen des ingenieurs nutzt. etwas vereinfacht ausgedrückt. ohne den einen gibts den anderen nicht. und das mitbestimmungsrecht aller schichten macht unser land aus. das bildungsniveau steht nicht im zusammenhang mit der qualität der entscheidung. die durchmischung machts aus. leider ignoriert dies eine selbsternannte, sich als etwas besseres sehende elite.
8616
Melden
Zum Kommentar
avatar
N. Y. P. D.
24.05.2018 16:25registriert Oktober 2015
Da desavouiert die Zürcher SP-Stadtpräsidentin ihre Kollegin im Gesundheitsdepartement öffentlich.

Zurecht, wie ich finde.

Sie musste es auf die harte Tour erfahren, weil sie absolut kritikresistent war, null Sozialkompetenz hatte und den Stillstand pflegte.
769
Melden
Zum Kommentar
66
Der Rave-Kalender für deinen Frühling 2024
Was gibt es Besseres, als tagsüber Tanzen zu gehen? Eben. Darum kommt hier das Update fürs Jahr 2024 des Rave-Kalenders mit den vielversprechendsten Daydances der nächsten Monate.

Damit du ab diesem Wochenende (fast) jedes kommende unter vorzugsweise freiem Himmel tanzend, mit strahlenden Augen deiner Lieblings-DJane lauschend und glücklich verbringen kannst: Hier steigen die besten Raves, von Techno bis Goa.

Zur Story