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So trauert Endingen am Tag nach dem Postauto-Crash

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Horrorunfall Endingen
Bei der Kollision mit einem entgegenkommenden Lastwagen starben zwei Insassen eines Postautos der Linie 355.
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Ein Dorf in Trauer

So trauert Endingen am Tag nach dem Postauto-Crash

Am Tag nach dem Unglück ist die Stimmung im Dorf Endingen gedrückt. Am Unglückstag selber erlebten viele der 2000 Einwohner bange Stunden.
13.11.2014, 09:4313.11.2014, 09:48
aline wüst / aargauer zeitung
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Ein Artikel von
Aargauer Zeitung

Am Tag des Unfalls war es still wie sonst nie in Endingen. Wegen der Bergungsarbeiten war die Strasse nach Lengnau bis abends um 19 Uhr gesperrt. Eine seltsame Ruhe habe sich übers Dorf gelegt, sagt Gemeindeammann Lukas Keller. Die Unsicherheit im Dorf sei gross gewesen. Niemand wusste genau, wer die Opfer sind. Aber alle wussten: Es sind Leute von hier.

Gestern, einen Tag nach dem Unfall, rollten die Autos wieder durchs Dorf. Eine Mutter kauft kurz vor elf Uhr Brot beim Beck Alt. Sie sagt: «Es ist ein Schock.» Auch ihre Kinder fahren jeden Tag Postauto. «Mir wurde wieder bewusst, was für ein Glück es ist, wenn es einem gut geht und man es schön hat.» Der überdimensionale Spitzbub aus Plastik vor der Bäckerei lacht. Er lachte immer. Drinnen sagt Verkäuferin Lilian Spuhler: «Ich habe ein mulmiges Gefühl und mache mir Gedanken um die Angehörigen der Opfer.» Dann reicht sie Schoggigipfeli und Dinkelbrot über den Tresen. Der nächste Kunde wartet schon. Grosse Trauer nach dem schweren Postauto-Unfall in Endingen Quelle: TeleM1

Der Alltag im Dorf geht weiter. Für andere steht die Welt noch immer still. Auf einem Parkplatz 100 Meter von der Unfallstelle entfernt haben Angehörige ihre Autos abgestellt. Die fünf Personen halten sich an den Händen, bilden eine Kette und gehen so der Strasse entlang zur Unfallstelle. Dicht neben ihnen fahren die Autos vorbei. Die Spuren, die der Lastwagen im Gras hinterlassen hat, sind noch gut sichtbar. Es riecht nach aufgewühlter Erde.

Ein Postauto-Dorf

Gemeindeammann Keller sagt, die Stimmung im Dorf sei enorm bedrückt. Es sind der schreckliche Unfall und die Endinger Verbundenheit mit der Postauto AG, die eine enorme Betroffenheit auslösten. «Wir sind ein Postautodorf, wir leben hier mit den Postautos.» Es gibt ein grosses Postauto-Depot im Dorf. Verbunden mit den Postautos sind auch Beatrice (81) und Herbert Steigmeier (80). 31 Jahre lang hat das Posthalter-Ehepaar für Post und Postauto gelebt. Der Unfall stimmt sie traurig. Beatrice Steigmeier ist froh, dass sie am Dienstag nach Baden zum Zahnarzt fahren mussten und dadurch abgelenkt waren.

Denn der Unfall weckt vor allem bei Herbert Steigmeier die Erinnerungen an ein Ereignis, das lange zurückliegt: Gestern war es auf den Tag genau 52 Jahre her, als an beinahe derselben Stelle auch Lastwagen, Postauto und ein Personenwagen in einen Unfall verwickelt waren. Zwei Frauen starben, und auch ein Buspassagier verlor sein Leben – Gottlieb Matthis. «Ich habe ihn schon als Kind gekannt. Er war ein stattlicher, wunderbarer Mensch, der Matthis», sagt Steigmeier. Der Posthalter war vor 52 Jahren bis nach Mitternacht an der Unfallstelle. Kalt sei es gewesen, erinnert er sich.

Jetzt auf

«Ich werde diese Bilder nie vergessen.»

Vor ihm auf dem Stubentisch liegt das Unfallprotokoll der Polizei von damals. Die Eindrücke von der Unfallstelle hätten sich in seinem Gedächtnis eingebrannt, sagt Steigmeier. «Ich werde diese Bilder nie vergessen.» In der Bäckerei gibt es Älplermakkronen als Mittagsmenü. Ein Handwerker sitzt da und liest über den Unfall im «Blick».

Auch die Frauen am Tisch nebenan sprechen über den Unfall. Sie reden auch über Zufall – den Zufall, im Bus gewesen zu sein, oder eben nicht. Im Postautokurs, der um kurz vor sechs Uhr bei der Post in Endingen abfährt, sitzt regelmässig auch Christian Stebler. Am Dienstag – per Zufall – nicht, weil Stebler geschäftlich nach Aarau musste und deshalb das Auto nahm. «Manchmal ist man zur falschen Zeit am falschen Ort», sagt er. Stebler war zum Glück anderswo.

Im Raum steht nun auch die Schuldfrage. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, die Chauffeure wurden gestern ein erstes Mal einvernommen. Gemeindeammann Lukas Keller findet, viel wichtiger als die Schuldfrage sei es nun, der Trauer Raum und Zeit zu lassen. 

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