Gerade erst entzückte das Oberhaupt der katholischen Kirche, Papst Franziskus, bei seinem Besuch in Genf in der vergangenen Woche zahlreiche Gläubige. Jetzt sorgt ein anderer Vertreter der Kirche für Schlagzeilen, wie das St.Galler Tagblatt berichtet: Vitus Huonder, der Bischof von Chur. In einem am Freitag veröffentlichten Hirtenbrief bezeichnet Huonder die Verhütung in Anlehnung an die vor 50 Jahren erschienene Enzyklika «Humanae Vitae» als Teil der «Kultur des Todes».
Die im «Revolutionsjahr» 1968 erschienene Enzyklika war gemäss St.Galler Tagblatt eine radikale Absage an die sexuelle Revolution, welche die katholische Welt bis heute spaltet. Huonder schreibt in seinem Hirtenbrief, das Nein des damaligen Papst Paul VI. zur Verhütung habe die vielleicht «grösste Autoritätskrise innerhalb der Kirche» ausgelöst.
Mit seinem jüngsten Schreiben dürfte der Bischof von Chur einmal mehr den Unmut vieler Schweizer Katholiken auf sich ziehen, die mit seiner konservativen Auslegung des Glaubens wenig anfangen können. Von Altersmilde ist beim umstrittenen Kirchenmann nichts zu bemerken. Huonder, der im April 2017 zu seinem 75. Geburtstag vorschriftsgemäss bei Papst Franziskus seinen Rücktritt eingereicht hat, wurde vom Pontifex darum gebeten, sein Amt noch bis Ostern 2019 weiterzuführen.
«Der christliche Geist kann sich in den Familien nur dann entfalten, wenn wir in der Ehe und in der Familie die Schöpfungsordnung wieder ganz zu respektieren lernen», schreibt Huonder in seinem Hirtenbrief weiter. Verhütung stehe nicht nur im Widerspruch zur göttlichen Ordnung, sondern auch im Gegensatz zur ganzheitlichen Liebe.
Denn wenn Paare künstlich verhüten, so signalisiere der Mann damit gegenüber der Frau: «Ich liebe dich nicht so, wie du bist. Ich liebe vor allem deinen Leib nicht ganz.» Mit der künstlichen Empfängnisverhütung werde die natürliche Fruchtbarkeit der Frau abgelehnt.
Als Alternative zur künstlichen Empfängnisverhütung propagiert Huonder Enthaltsamkeit. Wollten Ehepaare «aus berechtigten Gründen auf die Weitergabe des Lebens verzichten», sollen sie für den Geschlechtsverkehr (Huonder spricht von «ihrem Zusammenkommen») die unfruchtbare Phase des Zyklus nutzen. «An den relativ wenigen fruchtbaren Tagen üben sie Enthaltsamkeit», so der Bischof.
Enthaltsamkeit sei «ein leiblicher Akt der Liebe». Es gehe also um die Frage, «womit der Mensch seine Geschlechtlichkeit» steuere: «Ob er es mit seinem Charakter, mit Selbstbeherrschung tut oder ob er die Steuerung einem Verhütungsmittel beziehungsweise einem Dritten, zum Beispiel dem Arzt, überlässt.»
Paul VI. habe im Übrigen in seiner Enzyklika von 1968 mit seiner Vorhersage recht gehabt, dass «die Verhütungsmentalität zu einer Destabilisierung von Ehe und Familie führen» werde. Die Entkoppelung von Sexualität und Fruchtbarkeit habe dazu geführt, dass Frauen nicht mehr als Person respektiert, sondern als Objekt der Triebbefriedigung angesehen würden, schreibt Huonder.
Die sexuelle Freizügigkeit behindere zudem die persönliche Reifung der Jugendlichen. Darüber hinaus habe die Verhütung nicht dazu geführt, dass Abtreibungen verschwänden. Vielmehr sei die Grenze zwischen Abtreibung und Verhütung fliessend geworden. Manche Verhütungsmittel wirkten auch frühabtreibend. Sie verhinderten nämlich die Einnistung des Embryos in die Gebärmutter.
Auch geopolitische Folgen habe die Verhütung gehabt: «Die demografische Lage ist inzwischen besorgniserregend. Die europäischen Völker ersetzen die Generationen nicht mehr. Sie sind zu sterbenden Völkern geworden.» (cbe)