Missionare der Zeugen Jehovas versuchen in der Stadt Zürich momentan intensiv Secondos zu bekehren. Sie klingeln bei Leuten mit albanisch oder portugiesisch klingendem Namen und verteilen Flyer, die in der jeweiligen Sprache verfasst sind. Albulena* beispielsweise fand den Info-Flyer zu einer Kongressreihe der Glaubensgemeinschaft in ihrem Briefkasten. Ihre Kollegin und Landesfrau Leonora* öffnete den Missionaren die Tür, «um ihnen zu sagen, sie sollen verreisen.» Die Einladungen zu den regionalen Kongressen, die im Ausland stattfinden, bewahrte sie trotzdem auf.
Auch bei Lena* und ihrem portugiesischen Freund José* klingelten Mitglieder der Glaubensgemeinschaft. Der Mann und die Frau begannen auf Portugiesisch auf sie einzureden und drückten ihnen diverse Prospekte in portugiesischer Sprache in die Hand. Auf dem Klingelschild der gemeinsamen Wohnung steht sein Name.
Es sei gut möglich, dass die Zeugen Jehovas derzeit Menschen einer bestimmten Sprache in den Fokus nehmen, sagt Sektenexperte Georg Otto Schmid auf Anfrage. Ähnliches vermutet Christian Rossi von der Fachstelle Infosekta: «Da es für Schweizer Verhältnisse relativ viele Migranten aus dem Kosovo und aus Portugal gibt und diese Sprachgruppen wegen Personalmangel nicht oft bearbeitet werden können, wird das Augenmerk in regelmässigen Abständen darauf gerichtet.»
Die Pressestelle der Glaubensgemeinschaft lässt auf Anfrage nicht viel durchsickern. Laut Sprecher Wolfram Slupina sind die Zeugen Jehovas «seit jeher bemüht, jede Person in ihrer Muttersprache mit der biblischen Botschaft zu kontaktieren.»
Fakt sei aber, dass die Gemeinschaft hierzulande nur dank ihrer fremdsprachigen Abteilungen wächst, sagt Sektenexperte Schmid: «Zahlreiche Menschen mit Migrationshintergrund suchen Anschluss, sind einsam und so für die Zuwendung durch die Zeugen Jehovas besonders empfänglich.» Bei vielen Schweizern hingegen hätte die Glaubensgemeinschaft ein schlechtes Image.
Dass die Mehrheit der Albaner Muslime sind, spiele für die Gemeinschaft keine Rolle, so Schmid: «Die Zeugen Jehovas wollen alle Nicht-Mitglieder mit ihrer Botschaft erreichen. Ihnen ist es egal, ob jemand Atheist, Christ, Hindu oder Muslim ist. Laut ihnen sind wir alle auf dem falschen Weg und brauchen Hilfe.» Vereinfacht werde diese «göttliche Aufgabe» durch die weltweite Tätigkeit der Gemeinschaft, so der Sektenexperte: «Ein Telefonat genügt und die Brüder und Schwestern am Hauptsitz im Staat New York schicken Stapel von Broschüren und Flyer in jeder denkbaren Sprache.»
Zuspruch erhalte die Gemeinschaft in erster Linie bei konservativ eingestellten Katholiken. «Diese Orientierung findet sich bei vielen Portugiesen, aber auch unter Albanern.» Schmid geht jedoch nicht davon aus, dass viele Schweizer Muslime zu den Zeugen übergetreten sind. «Es gibt aber sicher solche Einzelfälle.»
Die Zeugen Jehovas stellen strenge Regeln auf: Kein Sex vor der Ehe, keine Bluttransfusionen – lieber nehmen sie den Tod in Kauf. Geburtstage, Ostern und Weihnachten feiern sie nicht. Die «Brüder und Schwester» sind ausserdem überzeugt davon, dass Satan die Welt beherrscht und der Weltuntergang kurz bevorsteht. Um andere vor der Hölle zu retten, verpflichten sie sich, für ihre Religion zu werben.
Tag für Tag ziehen die Missonare deshalb von Haustür zu Haustür und versuchen, die Bewohner in ein Gespräch über Gott zu verwickeln. Die Rechnung scheint aufzugehen. Die Anzahl Zeugen Jehovas ist in der Schweiz im letztem Jahr leicht gewachsen. Heute leben hierzulande knapp 20'000 Mitglieder. Das macht sich auch bei der Fachstelle Infosekta bemerkbar. Am meisten Anfragen erhält diese zu den Zeugen Jehovas, wie aus dem im Juni erschienenen Jahresbericht entgeht.
Sektenexperte Schmid: «Beim Jahrtausendwechsel gab es einen Weltends-Sekten-Boom, 2012 wegen dem Ende des Maya-Kalenders ebenfalls, dann waren die Mitgliederzahlen wieder rückläufig – bis zum heutigen Aufwärts-Trend.» Dies habe auch mit der heutigen Weltgeschehen zu tun: «Die Nahost-Krise, der Brexit, Nordkorea und das Trump-Regime spielt Weltends-Sekten, wie es die Zeugen Jehovas sind, in die Hände. Es lässt die Leute befürchten, die düsteren Prognosen könnten stimmen.»
Die Schweiz ist laut Schmid schon länger ein «Sektenhort». Nur die USA bringe es auf eine ähnlich hohe Zahl von sektiererischen Gemeinschaften. «Das liegt daran, dass die Schweiz schon sehr lange sehr liberal ist, auch was Religionsgemeinschaften betrifft. Auch finden sich in der Schweiz die zum Unterhalt einer Gemeinschaft nötigen finanziellen Ressourcen leichter als anderswo.» Ausserdem könnten es sich die Leute hier viel eher leisten, sich freiwillig zu engagieren beziehungsweise zu missionieren.