Ab 15.30 Uhr kommt es am Sonntag im Park Casino in Schaffhausen zum historischen Duell um das Präsidium des Evangelischen Kirchenbundes (SEK). Rita Famos (52), Zürcher Pfarrerin, fordert den seit acht Jahren regierenden Amtsinhaber heraus, den Berner Gottfried Wilhelm Locher (51). Setzt sich die gebürtige Berner Oberländerin durch, so stünde erstmals eine Frau an der Spitze der noch zwei Millionen Reformierten in der Schweiz.
Lange sah es so aus, als sei Locher der einzige Kandidat. Aber dann kam es zu einer intensiven Debatte um Lochers Amtsführung und speziell um sein Frauenbild. Ende Mai entschloss sich Rita Famos auf Wunsch vieler Leute aus ihrer Basis zur Kandidatur.
Nun haben die 70 Abgeordneten des Kirchenbundes, die am Sonntag entscheiden müssen, die Wahl: Zwischen einem Mann, der sich als reformierter Bischof sieht und offen patriarchalische Züge zeigt. Und einer Frau, die sich für Gleichberechtigung der Geschlechter einsetzt, auf Dialog und Vielfalt setzt und sagt, was die Kirche zunächst vor allem brauche, sei Ermutigung.
Mit dieser offenen Auseinandersetzung um Inhalte und Haltungen haben allerdings einige in der Kirche ihre liebe Mühe. Es laufe eine «unfaire Kampagne» gegen Gottfried Locher, teilte Anfang Juni der «besorgte» Evangelische Kirchenrat des Kantons Thurgau den SEK-Abgeordneten und der Öffentlichkeit mit: «SEK und da- mit auch unsere Landeskirchen wurden mit Beihilfe von kircheneigenen Leuten zu einem Spielball der Medien gemacht.»
Die Mitteilung wirkte wie ein Bannstrahl. Vor den meisten SEK-Regionalgruppen, in denen die Abgeordneten organisiert sind, durfte die Herausforderin Famos nicht auftreten: Ihr Angebot, sich vorstellen zu kommen, blieb meist ungenutzt.
Die Berner Regionalgruppe, die Heimbasis Lochers, machte keine Anstalten, Famos einzuladen. Die Ostschweizer nahmen nach dem Thurgauer Schreiben Abstand von einer Einladung. So wurde die Zürcherin auch von den Nordwestschweizern nicht angehört, die sich diesem Hearing anschliessen wollten. Von der Zentralschweizer Regionalgruppe hatte Famos eine provisorische Einladung, die aber nach Lochers Absage ebenfalls hinfällig wurde.
Einzig die Regionalgruppe Romandie lud die Leiterin der Abteilung Spezialseelsorge der Zürcher Landeskirche zu einem Hearing ein. Famos konnte dort ihre Ideen vorstellen und darlegen, was sie anders machen würde als der Amtsinhaber.
Nationalrätin Maya Graf (Grüne/BL) machte auf Twitter ihrem Ärger über das «Demokratieverständnis» einiger Kirchenoberen Luft: «Wenn die offizielle Kandidatin Rita Famos für Präsidium Ref. Kirche Schweiz von Kantonalkirchen nicht mal angehört wird, ist das nicht nur undemokratisch, es ist ein Affront gegenüber reformierter Basis, die nicht selbst wählen kann.»
Gottfried Locher, der auf den Rat von Lorenz Furrer von der PR-Agentur Furrer Hugi zählt, wich auch direkten Begegnungen in den Medien aus. Ein Erfolgsrezept? Auch Bundesrat Ignazio Cassis ging vor seiner Wahl medialen Direktvergleichen mit Isabelle Moret und Pierre Maudet aus dem Weg. Und Cassis hörte ebenfalls auf Furrers freundschaftlichen Rat.
Gottfried Locher macht auf Anfrage zeitliche Gründe geltend. Famos’ Kandidatur sei überraschend erfolgt, «meine Agenda ist bereits seit Monaten voll». Ihm fehle die Zeit, Wahlkampf zu betreiben. Hätte Famos ihre Kandidatur früher eingereicht, wäre es anders gewesen, «dann hätte ein ordentlicher Wahlkampf stattfinden können», so Locher, was er begrüsst hätte.
«Ich habe mich auf vieles eingestellt», sagt umgekehrt Rita Famos, «auf Kritik an meinen Positionen und meiner Person, als Frau rechnete ich auch mit Kritik an meinem Äusseren. Aber dass man mir schlicht kein Podium geben würde, um meine Kandidatur zu erklären, damit habe ich nicht gerechnet.»
Weil sie kaum Auftritte vor den Abgeordneten hatte, kann Rita Famos ihre Wahlchance nicht einschätzen. «Ich werde nicht enttäuscht sein, wenn ich nicht gewählt werde», sagt sie im Gespräch. «Was mich enttäuscht, ist die Art, wie man teilweise mit einer zwar kurzfristig eingereichten, aber legitimen Kandidatur umgeht.» (aargauerzeitung.ch)