Das grüne Wunder bleibt wohl aus. Die Schweiz wird morgen kaum eine neue Bundesrätin bekommen. Dafür wird diese Woche aller Voraussicht nach ein ähnlich exponierter und prestigeträchtiger Job neu besetzt: der Chefposten bei den Schweizerischen Bundesbahnen.
Nach knapp 13 Jahren an der Spitze der SBB wird CEO Andreas Meyer im nächsten Jahr seinen Hut nehmen. Schon am heutigen Dienstag könnte sein Nachfolger bekannt werden, wie Informationen der Redaktion von CH Media zeigen. Das Kandidatenkarussell drehte auf Hochtouren.
In der Pole-Position jedoch ist ein Mann, den lange niemand auf dem Radar hatte: Vincent Ducrot, bisher Direktor der Freiburgischen Verkehrsbetriebe TPF, ist der Favorit des SBB-Verwaltungsrats. Das bestätigen zuverlässige Quellen aus der Schweizer Bahnbranche.
Im Rennen sein soll mit dem 52-jährigen Jacques Boschung auch ein zweiter Freiburger. Der Chef der Infrastruktur-Sparte bei den SBB arbeitet allerdings erst seit Anfang Jahr im Konzern. Zuvor war der Physiker beim Technologieriesen Dell angestellt. Boschung dürfte gegen Ducrot wohl das Nachsehen haben.
Die SBB wollen sich offiziell nicht zu dem Thema äussern. Der Prozess für die Wahl des neuen CEO laufe, erklärte ein Sprecher auf Anfrage. «Sobald die Wahl getroffen ist, werden wir darüber informieren.» Ducrot selbst wies noch im September in den «Freiburger Nachrichten» Ambitionen auf den SBB-Chefposten zurück. «Ich bin zu alt dafür», erklärte er, um nachzuschieben: «Man sollte nie etwas ganz ausschliessen.»
Die Suche nach dem neuen CEO gestaltete sich gemäss Insidern lange als schwierig. Der bekannte Headhunter Guido Schilling wurde vom Verwaltungsrat unter dessen Präsidentin Monika Ribar beauftragt, Vorschläge zu unterbreiten. Laut Insidern nahmen sich viele mögliche Kandidaten – und Kandidatinnen, um welche sich der Headhunter besonders bemüht hatte – selbst aus dem Rennen.
Den einen war der Job zu eng an die Politik gebunden und zu öffentlich exponiert, den anderen die Entschädigung von weniger als einer Million Franken zu tief. Der Bundesrat verlangt von bundesnahen Betrieben wie den SBB eine «Senkung der maximalen Vergütung der obersten Leitungsorgane».
Die Wahl Ducrots wäre gleich in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Der zweisprachige Elektroingenieur gilt als Eisenbahner alter Prägung. Er hat an der ETH Lausanne studiert und stiess 1993 zu den SBB, wo er vorerst in der Informatik tätig war. Die Bundesbahnen lernte er zu einer Zeit kennen, als bei ihnen fast alles der flächendeckenden Grundversorgung untergeordnet war, sie dem Primat der Politik unterstanden – und ein Generaldirektor sie führte, nicht ein CEO. Vincent Ducrot war ein Weggefährte des legendären SBB-Chefs Benedikt Weibel.
Erstmals ins Scheinwerferlicht trat er Ende der 1990er-Jahre als Delegierter für den öffentlichen Verkehr an der Expo 02. Während der Landesausstellung transportierten die Bundesbahnen an manchen Tagen bis zu 300'000 zusätzliche Passagiere; dank ausgefeilter Konzepte gelang dies fast problemlos. Danach leitete Ducrot den Bereich Fernverkehr innerhalb der Division Personenverkehr, die er 2009 für einige Monate interimistisch führte. Pikant: Unter Ducrots Führung bereiteten die SBB die grösste Fahrzeugbeschaffung ihrer Geschichte vor – der Kauf jener 59 sagenumwobenen Doppelstockzüge, die inzwischen als «Pannenzüge» für Schlagzeilen sorgen.
Als Vincent Ducrot im Sommer 2011 die SBB verliess, war er der letzte Spitzenmanager aus der Ära Benedikt Weibel, der noch bei den Bundesbahnen arbeitete. Der neue Chef Andreas Meyer hatte innert weniger Jahre die ganze Konzernleitung ausgewechselt.
Ducrots Abgang markierte gewissermassen das definitive Ende der Vor-Bahnreform-Ära – und damit den Anfang des «Meyerschen Manager-Zeitalters», wie es ein Gewerkschafter formuliert.
Wird das Pendel bei den SBB mit der Verpflichtung von Ducrot zurückschlagen? Werden sie sich wieder verstärkt als Service-Public-Betrieb positionieren? Vieles deutet darauf hin. Klar ist: Der Einfluss der Politik auf die Bahnen wird zunehmen. Infrastrukturministerin Simonetta Sommaruga will die Staatsbetriebe an die kürzere Leine nehmen. Sie wünsche sich «eine verstärkte Fokussierung auf das Kerngeschäft und den Service Public», erklärte sie kürzlich der «Bilanz».
Vincent Ducrot kenne das Räderwerk der öffentlichen Institutionen und des Schweizer Verkehrssystems bestens, lobte ihn der Verwaltungsrat der Freiburgischen Verkehrsbetriebe einst. Mit den TPF führt Ducrot seit nun mehr achteinhalb Jahren ein Unternehmen, das geradezu prototypisch für den Service public im öffentlichen Verkehr steht. Die TPF betreiben Bahnen und Busse aus einem Guss. In Ducrots bisheriger Amtszeit ist die Zahl der Passagiere von 23.5 auf 34 Millionen gestiegen. Die TPF sind immer wieder mit Innovationen aufgefallen. So führten sie als erste den Billettverkauf per SMS und später die Billett-App Fairtiq ein. Bei keinem anderen Verkehrsbetrieb werden so viele Billette elektronisch verkauft.
Allerdings: Wechselt Ducrot wirklich von den TPF zu den SBB, gleicht dies einem Umstieg von einem Fiat auf einen Ferrari. Das Freiburger Unternehmen hat 1000 Angestellte und erzielte im vergangenen Jahr einen Gewinn von 10.9 Millionen Franken. Die Bundesbahnen verbuchten mit ihren 32'300 Angestellten zuletzt einen Gewinn von über einer halben Milliarde. (aargauerzeitung.ch)
Jede Wette, in Jahrzehnten wird es wieder so sein. Es dauert einfach noch ein Weilchen, bis die Pseudoprivatisierer und Marktgläubigen in Rente sind.