Nächster Halt: gestrichen! Um Verspätungen aufzuholen, lassen die SBB planmässige Stopps unvermittelt aus. Der Fahrplan wird damit zur Makulatur, wie die CH-Media-Redaktion am Mittwoch publik gemacht hat. Jüngst erfuhren etwa die Reisenden eines Intercitys von Bern nach Zürich erst unterwegs, dass die Bahnhöfe Brugg und Baden nun nicht mehr angefahren würden. Wer in die beiden Städte reisen wollte, musste in Olten aussteigen und auf einen anderen Zug warten. Somit summierte sich die Verspätung der betroffenen Passagiere erheblich.
Die SBB begründen die umstrittene Praxis mit der «Vermeidung von Dominoeffekten», die Rede ist von einer «Massnahme zum Nutzen der Mehrheit». Anders formuliert: Damit eine Mehrheit der Reisenden nicht mit noch gravierenderen Verspätungen konfrontiert wird, muss eine Minderheit genau solche hinnehmen. Eine besonders bittere Pille.
Nicht nur Pendler haben dafür kein Verständnis. Auch Verkehrspolitiker ärgern sich. «Die Praxis der SBB auf dem Buckel der Reisenden ist unhaltbar», kritisiert FDP-Nationalrat Thierry Burkart. Der TCS-Vizepräsident lebt in Baden, in einer der kürzlich betroffenen Städte also. Gegen das Auslassen von Stationen wehrt er sich nun. Burkart will die Bundesbehörden auffordern, die Praxis unter die Lupe zu nehmen. Der Freisinnige ist überzeugt: «Was die SBB da machen, ist nicht nur unschön, sondern auch verboten.»
Tatsächlich ist das zuständige Bundesamt für Verkehr (BAV) nach der Berichterstattung dieser Zeitung bereits aktiv geworden. Die SBB müssen mit Konsequenzen rechnen: Man werde das Unternehmen bitten, eine Stellungnahme abzugeben und die Situation zu erläutern, erklärt ein BAV-Sprecher. «So wie sich die Situation aufgrund der Medienberichte abschätzen lässt, könnte eine Betriebspflichtverletzung vorliegen.»
Die Verkehrsbetriebe sind gemäss Personenbeförderungsgesetz dazu verpflichtet, «alle in den Fahrplänen enthaltenen Fahrten durchzuführen». Diese sogenannte Betriebspflicht zählt zu den Grundpflichten der Verkehrsbetriebe. Die Passagiere sollen darauf zählen können, gemäss Fahrplan von A nach B transportiert zu werden.
Ausnahmen sind nur in wenigen Fällen zulässig – dann nämlich, wenn Stopps durch Umstände verhindert werden, welche die Verkehrsbetriebe «nicht vermeiden und deren Folgen sie nicht abwenden können». Ein solcher Umstand liegt üblicherweise etwa dann vor, wenn ein Bahnhof wegen eines Unwetters nur eingeschränkt befahrbar ist. Ob das Aufholen von Verspätungen als Ausnahmegrund durchgeht, werden die BAV-Aufseher nun überprüfen.
Die möglichen Konsequenzen gehen ins Geld. Geschädigte Reisende können Schadenersatz verlangen, wenn ein Unternehmen die Betriebspflicht verletzt. So steht es im Gesetz. Anders ist das bei Verspätungen: Heute haften die Verkehrsbetriebe nur dann für Schäden, wenn ein Reisender den letzten im Fahrplan vorgesehenen Anschluss verpasst. Just diese Woche hat das Verkehrsdepartement eine neue Verordnung in die Vernehmlassung geschickt. Für Verspätungen von über einer Stunde am Zielort soll demnach künftig ein Rechtsanspruch auf Entschädigung bestehen.
Wie oft ein Zug einen planmässigen Halt auslässt, können die SBB nicht quantifizieren. Dies komme aber selten vor, heisst es. FDP-Nationalrat Burkart will es genau wissen. Er fordert Zahlen zu der Praxis. Wenn es möglich ist, schicken die SBB an den Endbahnhöfen Ersatzzüge für die Rückfahrt los, um Dominoeffekte zu verhindern. Offen bleibt die Frage, warum dies in den vergangenen Wochen gleich mehrfach nicht möglich war. Klar ist: Rollmaterial ist derzeit knapp. Zum einen werden diesen Sommer viele Züge für Extrafahrten bei Grossanlässen benötigt. Zum anderen verzögert sich die Auslieferung der neuen Doppelstockzüge von Bombardier.
Um Verspätungen aufzuholen, fahren Züge an bestimmten Haltestellen einfach vorbei: Diese Praxis wollte die Deutsche Bahn im vergangenen Sommer auch in Berlin erproben. Damit sollte das von ihr betriebene, chronisch überlastete S-Bahn-Netz stabilisiert werden. Vor Durchfahrten sollte es Ansagen in den Zügen geben.
Doch der Widerstand gegen das Vorhaben war gross in der deutschen Hauptstadt. Sogar Bürgermeister Michael Müller (SPD) kritisierte die Pläne scharf. «Das Auslassen von Stationen sei keine «sehr fahrgastfreundliche Massnahme», fand er.
Ähnlich äusserten sich Fahrgastverbände. Statt Bahnhöfe nicht anzufahren, sollten lieber strukturelle Probleme gelöst werden. Die Bahn buchstabierte schliesslich zurück. Das Vorhaben habe «offenbar nicht die volle Akzeptanz vonseiten der Kunden und des Landes», erklärte eine Sprecherin der «Berliner Zeitung». (bzbasel.ch)
- Wenn ein Zug aus anderen Gründen ausfällt ist dieser Grundsatz ja auch verletzt...
Und anders, als im gestrigen 10vor10-Bericht, fahren Züge auch nicht spontan an Bahnhöfen vorbei, dieser Entscheid wird genug früh getroffen, dass ein rechtzeitiger Umstieg möglich ist, und die Kunden am Bahnhof die Information als "Ausfall" erhalten.
Doch liebe Passagiere denkt dran: Ihr seid nicht nur diejenigen, welche einmal unvorhergesehen z.B. auf eine S-Bahn umsteigen müsst, ihr seid auch diejenigen, die in 1000 anderen Fällen keine Verspätung mehr habt, wenn — nun auf Kosten anderer — die Auswirkungen aufs Gesamtnetz minimiert werden.
Die Debatte wird wieder mal viel zu emotional geführt, um sie politisch auszuschlachten oder um einfach wieder mal Alltagsfrust loswerden zu können...