Die ETH hatte im September 2018 gegen einen Architekturprofessor eine Disziplinaruntersuchung eingeleitet. Er wurde der sexuellen Belästigung bezichtigt. Nun wurde er vom Vorwurf entlastet.
Der Professor hat aber laut dem externen unabhängigen Untersuchungsführer gegen den Compliance Guide, die Verhaltensregeln der ETH Zürich, verstossen, wie die Hochschule letzte Woche mitteilte. Der Mann habe es versäumt, seine persönlichen und beruflichen Beziehungen adäquat zu trennen.
Er verlässt Ende Juli die ETH – auf eigenen Wunsch. Als Grund soll er die lange Verfahrensdauer und die damit verbundene persönliche und berufliche Belastung angegeben haben. Die Hochschule entbindet ihn auf sein Ersuchen bis Ende Semester von der Lehrtätigkeit, damit er seine Forschungsprojekte abschliessen kann.
Belastend war das Verfahren vor allem für die Betroffenen. Im Sommer 2018 reichten Studentinnen, wissenschaftliche Mitarbeiter und Doktoranden bei der zuständigen Fachstelle der Hochschule ihre Reports zu den Anschuldigungen ein.
Schockierend ist die Tatsache, dass die Berichte bei der ETH nicht vertraulich behandelt wurden. Laut dem «TagesAnzeiger» wurde dem beschuldigten Professor und seinen Anwalten sogar Einsicht gewährt. Aber damit noch nicht genug: Eine Klägerin wurde sogar von einer Drittperson auf ihren Report angesprochen.
Die Hochschule sah sich auch nicht in der Pflicht, die ETH-Angehörigen über die Disziplinaruntersuchung zu unterrichten – das erfuhren sie erst aus der Presse. Der Professor war in der Zwischenzeit freigestellt worden und schmiedete mit seinem Anwaltsteam Strategien. Die ETH bestätigte, dass er Parteistellung mit vollen Rechten erhielt.
Nicht so die Betroffenen: Sie erhielten nicht nur keine rechtliche Beratung – anfänglich wollte man ihnen auch keinen psychologischen Beistand anbieten. Die neun vorgeladenen Personen sollten zudem ohne Anwalt zur Befragung erscheinen. Das liessen sie sich nicht gefallen und engagierten Rechtsanwältin Judith Wissmann.
Wissmann bemängelt, dass die Hochschule den Betroffenen keine Unterstützung bot – für diese sei das Urteil ohnehin ein Schlag ins Gesicht. «Das ganze Verfahren war geprägt durch die Ausrichtung auf den Professor, nicht auf die Betroffenen. Er hat Dinge getan, die die persönliche Integrität der Betroffenen verletzten.»
Der Professor wurde nun Freigesprochen. Es stand Aussage gegen Aussage. Weitere Informationen zum Fall können aus rechtlichen Gründen nicht publik gemacht werden, teilte die ETH letzte Woche mit. Eine Disziplinaruntersuchung sei ein personalrechtliches Verfahren, dessen Abschlussbericht nicht veröffentlicht werde.
Den Betroffenen leuchtet dies nicht ein. Ohne Einsicht in die Akten können sie nicht nachvollziehen, wie ein solches Urteil gefällt wurde. Wissmann will dagegen Klage einreichen und eine Entschädigung für die angeblich Geschädigten fordern.
Die ETH übernimmt nach langem Hin und Her bis zu 3000 Franken der Anwaltskosten pro Person. Das reichte bei einigen gerade mal für die Befragung, wie der «TagesAnzeiger» berichtet.
Der Professor unterrichtet seit seiner Freistellung an einer Universität in Italien. Auch wenn er den Job gewechselt hat, bleibt eines unverändert: Sein Name ist weiterhin im Excel-File «Shitty Architecture Men» aufgeführt. Darin sind rund 200 bekannte Architekten aufgelistet, gegen die Hunderte von Vorwürfen wegen sexueller Belästigung erhoben wurde. (vom mit Material von sda)