Verärgert über die Kakofonie: Alain Berset nach seiner Wahl zum Bundespräsidenten.Bild: AP/Keystone
Der Bundesrat
entscheidet am Mittwoch über das weitere Vorgehen im Streit um das Rahmenabkommen mit der EU. Die Uneinigkeit der letzten Tage dürfte Brüssel erfreut haben.
31.01.2018, 09:3331.01.2018, 17:28
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Kurz vor Weihnachten
erhielt der Bundesrat ein unschönes Geschenk aus Brüssel.
Die EU will die Schweizer Börsenregulierung nur bis Ende 2018 als
gleichwertig einstufen. Eine unbefristete Anerkennung verknüpft sie
mit Fortschritten beim institutionellen Rahmenabkommen. Die
Verhandlungen über dieses umstrittene Vertragswerk kommen seit
Jahren kaum vom Fleck.
Nun hat die EU die
Geduld verloren. Sie zieht die Daumenschrauben an. Bundespräsidentin
Doris Leuthard reagierte an einer Medienkonferenz empört. Viel mehr
als starke Worte aber hatte sie nicht zu bieten. Seither ringt der
Bundesrat um eine gemeinsame Linie beim Rahmenabkommen. Bislang ist
er weit davon entfernt, wie die Kakofonie der letzten Tage zeigt:
«Ich gehöre nicht zu
den Leuten, die glauben, der grosse Durchbruch mit Brüssel komme
schon bald.»
Der zuständige Departementschef sah es einige Tage später anders:
«Wir wollen diesen Abschluss, und zwar in den nächsten Monaten.»
Von einer Kollegin erhielt Cassis zumindest teilweise Unterstützung:
«2019 sind in der EU und bei uns Wahlen. Dann wird gar nichts laufen. Entweder können wir dieses Jahr die meisten Fragen lösen, oder es wird 2020.»
UVEK-Vorsteherin Doris Leuthard (CVP) am 24. Januar in Davos im SRF Was bei einem Amtskollegen gar nicht gut ankam:
«Ein Rahmenabkommen ist in absehbarer Zeit nicht möglich».
Finanzminister Ueli Maurer (SVP) am 26. Januar in der NZZ Darauf ruderte der Aussenminister zurück:
«Ich habe nicht gesagt, dass man das Rahmenabkommen beschleunigen muss. Aber wir müssen rasch die offenen Fragen klären.»
Ignazio Cassis am 26. Januar vor Medienvertretern in Davos
Und noch ein Bundesrat mischte sich ein:
«Wieso sollten wir nicht zuerst abwarten, was aus den Verhandlungen zwischen der EU und Grossbritannien resultiert, und erst nach dem Brexit mit der EU ein Rahmenabkommen abschliessen?»
Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann (FDP) am 27. Januar in der NZZ Worauf dem Bundespräsidenten der Kragen platzte:
«Ich möchte meine Kolleginnen und Kollegen daran erinnern, so lange zurückhaltend zu sein, bis der Bundesrat entschieden hat.»
Am Mittwoch will der neue Aussenminister dem Bundesrat seine Vorstellungen darlegen, wie es mit dem Rahmenabkommen weitergehen soll. Über mögliche Beschlüsse dürfte Cassis die Öffentlichkeit tags darauf an seiner 100-Tage-Medienkonferenz in Lugano informieren.
Ignazio Cassis tritt am Donnerstag vor die Medien.Bild: KEYSTONE
Bereits vorab formulieren die Medien Forderungen an die Adresse des Aussenministers:
«Cassis muss vor allem andern das europapolitische Zweckbündnis aus FDP, CVP und SP neu schmieden. Denn diese Allianz ist in den letzten Jahren auseinandergefallen.»
Das ist leichter gesagt als getan. Bei der Linken hat sich die EU-Begeisterung stark abgekühlt. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) fürchtet, dass die flankierenden Massnahmen gegen Lohndumping als «Bauernopfer» für das Rahmenabkommen verwendet werden. Offenbar nicht zu Unrecht, wie der Tages-Anzeiger berichtet. Weshalb Warnsignale ausgesendet werden:
«Aus unserer Sicht ist das Rahmenabkommen nichts, was die Schweiz haben müsste.»
SGB-Chefökonom Daniel Lampart am 20. Januar im Blick Die FDP ist nach dem Zerwürfnis mit Cassis' Vorgänger Didier Burkhalter bemüht, ihren Bundesrat mit konstruktiven Ideen zu unterstützen:
«Der EuGH und das Schweizer Bundesgericht sollen prüfen, welches Recht im Streitfall betroffen ist und wer für die Beurteilung zuständig ist.»
Eine eher originelle Idee stammt aus den Reihen der CVP. Der Bundesrat müsse darauf hinarbeiten, dass bei einem Rahmenabkommen die Radio-Eriwan-Regel gelten solle:
«JA, die Schweiz übernimmt IM PRINZIP die Rechtsentwicklung der EU, ABER dann nicht, wenn der Schweizer Souverän sich in einem Referendum dagegen ausspricht.»
Viele Vorschläge und noch mehr Widersprüche. Die Vielstimmigkeit in der Schweiz kann eigentlich nur die EU freuen. In Brüssel wird die hiesige Diskussion haargenau verfolgt. Was einen EU-Kenner zu einem deprimierenden Fazit veranlasste:
«Offenbar ist der Schweiz jede ernsthafte Europapolitik abhandengekommen.»
Donald Trump: «Die Schweiz ist ein grossartiger Ort»
Video: srf
Die grosse watson-Serie Schweiz – Europa
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