Die Oscar-Verleihung findet zwar erst in ein paar Tagen statt, doch schon jetzt kann man sagen, dass «Mein Leben als Zucchini» (Originaltitel: «Ma vie de Courgette») einer der meist dekorierten und beliebtesten Schweizer Filme aller Zeiten ist. Wo immer auf der Welt der kleine Waisenjunge mit den blauen Haaren auch auftritt, fliegen ihm die Herzen zu, Zucchini ist sozusagen der Roger Federer der Filmwelt.
Viel wurde bereits über den Film geschrieben und gelesen: über die aufsehenerregende Premiere an den Filmfestspielen in Cannes letzten Mai, über die Welle an Auszeichnungen auf seiner Welttour quer durch verschiedene Festivals, über die historische Nominierung als bester Animationsfilm bei den Oscars.
Nun gibt es «Ma vie de Courgette» – endlich, endlich, endlich! – auch in den Deutschschweizer Kinos zu sehen, wo er unter seinem deutschen Titel «Mein Leben als Zucchini» läuft.
Zeit also, mal genauer hinzuschauen: Was macht den 66-minütigen Schweizer Animationsfilm eigentlich so gut, dass er seine Zuschauer, egal wo auf der Welt und welchen Alters, derart zu begeistern vermag? Was ist das Erfolgsgeheimnis des Walliser Animationsfilmers Claude Barras und seiner über 200-köpfigen Filmcrew?
Zunächst einmal erforderte die Produktion des Films unglaublich viel Handwerk und Feinarbeit. Barras wollte den Roman «Autobiographie d’une Courgette», in den er sich vor Jahren verliebt hat, unbedingt im aufwendigen Stop-Motion-Verfahren drehen.
Seine Filmhelden entstanden also nicht im Computer, sondern von Hand: 25 Zentimeter hohe Puppen aus Silikon, Kunstharz und Latexschaum, deren Position zwischen jeder Aufnahme minim verändert wurde, damit der Eindruck von Bewegung entsteht. Pro Drehtag waren 30 Sekunden Film im Kasten, das fertige Werk setzt sich jetzt, drei Jahre nach Produktionsbeginn, aus 43'200 Einzelbildern zusammen.
Klingt beeindruckend – und hat für Zuschauer auch einen spürbaren Effekt: Die handgemachte Filmwelt fühlt sich unmittelbar vertraut und warm an. Und weil Barras gezwungenermassen ruhig und unaufgeregt inszeniert, wirkt «Mein Leben als Zucchini» wie das wohlige Gegenprogramm zu all den Hollywoodtrickfilmen, in denen alle paar Sekunden etwas knallen, rauschen oder zischen muss.
Ob in der Schweiz, Australien oder den USA: Ein Film über vernachlässigte Kinder lässt natürlich niemanden kalt. «Mein Leben als Zucchini» sticht aber umso mehr hervor, weil der Film sein Thema mit unglaublich viel Feingefühl angeht. Der Filmstoff ist ja auch nicht unheikel: In der Anfangssequenz sehen wir, wie Zucchini unbeabsichtigterweise seine alkoholsüchtige Mutter tötet. Er wird in ein Waisenheim gebracht, wo er andere Kinder kennen lernt, die teilweise noch viel schlimmere Dinge erlebt haben als er.
Barras grosses Verdienst ist es, dass er konsequent auf Augenhöhe der Kinder erzählt. Den düsteren Rahmen der Geschichte versteht man nur als erwachsener Zuschauer – am liebsten würde man losheulen, vor allem, weil die überdimensionierten Köpfe und Augen der Figuren so unglaublich ausdrucksstark sind.
Doch Barras zieht uns und die jüngeren Zuschauer voll in die Lebenswirklichkeit dieser beherzten Waisenkinder hinein, die das Geschehene auf eigene, manchmal traurige, oft aber auch wunderbar lustige Art interpretieren, verarbeiten, ausleben. Und dabei lernen: Selbst an einem Ort, «wo man hinkommt, wenn dich keiner mehr liebt», kann man Geborgenheit und Freunde fürs Leben finden. Das ist eine Botschaft so voller Hoffnung und Optimismus, dass sie Zuschauern auf der ganzen Welt ein Lächeln ins Gesicht zaubert.
«Mein Leben als Zucchini» läuft jetzt im Kino.