Schweiz
Serie – Schweiz und EU

Schweiz – EU: Wie weiter mit der EU nach der MEI-Annahme?

Kapitel 6:
Der Nationalismus im Sääli des «Weisser Wind»

Vor dem Scherbenhaufen.Bild: Shutterstock/Watson
Serie Schweiz – EU
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Drei Jahre hatte die Schweiz Zeit, um die MEI umzusetzen. Drei Jahre, um das Verhältnis mit Europa zu klären. Doch nun steckt die EU selbst in ihrer grössten Krise. Die Schweiz tut, was sie gut kann: sich irgendwie durchschlängeln.
30.01.2017, 12:0207.02.2017, 10:38
Joel Bedetti
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Sven Rüf
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«Verstehst du es?»
fragt Regula, die Krankenschwester

Das Europa-Quartier liegt abseits des mittelalterlichen Stadtzentrums von Brüssel. Es erinnert eher an Manhattan Downtown: Blocks mit hohen, glasverspiegelten Gebäuden, hektische vierspurige Strassen, von denen Limousinen und Taxis in den Seitenstrassen verschwinden. Das europäische Parlament ist in einem unförmigen Glasbau untergebracht, der, besteht man die Sicherheitskontrollen, auf den ersten Blick tatsächlich wie ein Paradies für Bürokraten aussieht. Hunderte Quadratmeter Teppichboden auf identisch aussehenden Etagen, ein Gewimmel aus Parlamentariern und ihren Assistenten, alle mit Bändeln um den Hals.

Bei unserem Besuch kann man die Nervosität in dem Gebäude mit dem Messer schneiden. Im Zentrum des Foyers sind Kameras aufgestellt, aufgeregt murmeln Parlamentarier und Journalisten durcheinander. Es ist der Morgen des 9. November, und die Europäische Union wacht in einem Albtraum auf: Donald Trump ist neuer US-Präsident.

«Brexit, Putin, Erdogan. Das erinnert doch alles an die 30er», murmelt Louis, der Assistent des dänischen Abgeordneten Jorn Dohrmann, im Lift mit düsterem Gesichtsausdruck. An diesem Morgen wird in absurdem Ausmass klar, wie klein die Probleme sind, über die Dohrmann, Chefdelegierter des EU-Parlaments für die Beziehungen zur Schweiz, mit watson reden wird.

Das Hirn der EU

Der Sitz der Europäischen Kommission in Brüssel. Quelle: EPA/OLIVIER HOSLET

Ein bisschen wie Manhattan: Das Europäische Parlament inmitten des Brüsseler Europa-Hauptquartiers. Quelle: Keystone

Hier entscheidet die EU

EU-Par­la­ment
Das eu­ro­pä­ische Par­la­ment hat sei­nen of­fi­ziel­len Sitz in Strass­burg. Die 751 Ab­ge­ord­neten wer­den al­le fünf Jah­re von den Bür­gern der EU-Mit­glied­staaten ge­wählt. Die Par­la­mentarier sind in Fraktionen wie den europäischen Sozialdemokraten, Christdemokraten oder den rechtspopulistischen «Europa der Nationen und der Freiheit» organisiert. Seit dem Maastrichter Vertrag 1992 wurden die Kompetenzen des Parlaments laufend ausgebaut, allerdings hat es bis heute wenig Gestaltungsmacht. Hauptsächlich bestätigt es Personalentscheide oder Gesetze und gestaltet sie nicht. Der abtretende Parlamentspräsident ist der Deutsche Martin Schulz.
Eu­ro­pä­ischer Rat
Der eu­ro­pä­ische Rat (nicht zu ver­wech­seln mit dem Eu­ro­pa­rat, der nichts mit der EU zu tun hat) ist die Ver­sam­mlung der Re­gierungs­chefs der 28 EU-Länder. Der Rat kom­mt min­des­tens vier­tel­jährlich zusammen, setzt die entscheidenden Impulse für die EU-Politik und versucht, die Interessen der Mitgliedsstaaten auszugleichen. Alle zweieinhalb Jahre wird zusätzlich ein vollamtlicher Vorsitzender gewählt; derzeit ist es der Pole Donald Tusk.
EU-Kom­mis­sion
Die Eu­ro­pä­ische Kom­mis­sion in Brüs­sel ist mehr als das aus­füh­ren­de Organ der EU. Ihre 29 Kom­mis­sare sind die «Hü­te­rin der EU-Ver­trä­ge» und kann bei Nicht­be­ach­tung durch ein Mit­glieds­land Kla­ge am Uuropäischen Gerichtshof erheben. Zudem darf die Kommission als einzige EU-Institution Gesetze anstossen, darf sie im Laufe des Verfahrens aber nicht mehr gegen den Willen von EU-Parlament und EU-Rat abbrechen. Trotzdem richtet sich die verbreitete Kritik am «Demokratiedefizit» der EU meist gegen die Kommission. Kommissionspräsident ist Jean-Claude Juncker.
EuGH
Der eu­ro­pä­ische Ge­richts­hof (nicht zu ver­wech­seln mit dem eu­ro­pä­ischen Men­schen­ge­richts­hof in Strass­burg) ist die die Ju­di­ka­tive der EU und hat den Sitz in Lu­xem­burg. Der EuGH sichert die Einhaltung sowie die Auslegung der Verträge, welche die Mitgliedstaaten mit der Europäischen Union geschlossen haben.

In wenigen Wochen werden die Verhandlungen zum Brexit beginnen, die Wirtschaft in Südeuropa ist auch nach Dutzenden Rettungsmilliarden ein Klumpenrisiko, Osteuropa weigert sich, sein Soll an Syrien-Flüchtlingen aufzunehmen, in Frankreich könnte mit Marine Le Pen bald eine Rechtspopulistin herrschen, und Donald Trump hat angekündigt den militärischen Schutzschirm der USA über Europa einzuziehen. Die EU steckt in der grössten Krise ihrer Geschichte. Und dann kommen da noch die Schweizer mit ihren Extrawünschen.

Doch Jorn Dohrmann, ein gemütlicher, massiger Däne, lässt sich vom dramatischen Weltlauf nicht aus der morgendlichen Ruhe bringen. Er wedelt durch die Luft und nippt an seinem Kaffeebecher. «Ach, das mit Trump, das schauen wir dann, wenn es so weit ist.» Für die Schweiz lässt Dohrmann durchaus Sympathien durchblicken. Nicht nur, weil er mit einer Schweizerin verheiratet ist. Dohrmann gehört zur Fraktion der europäischen Konservativen und Reformer, welche die EU föderaler gestalten wollen.

Dohrmann glaubt an ein Europa, an dem die Staaten möglichst viel selber regulieren können. «Wenn man zu viele Mechaniker hat und noch mehr reinwollen, muss man als Land in der Lage sein, etwas dagegen zu tun», meint er. Am Nachmittag wird Jorn Dohrmann den neuen Schweizer Botschafter Urs Bucher, der im August nach Brüssel kam, besuchen. «Ich werde ihm raten, dass er mehr im Parlament lobbyieren soll», sagt er.

«Gralshüter» und «Betonköpfe»

Das Europaparlament ist eine andere, buntere Welt als die EU-Kommission. Hier treffen Kleinstaaten auf Kontinentalmächte, Zentralisten auf Föderalisten, EU-Anhänger auf EU-Gegner. Doch das Parlament ist nicht mächtig. Es muss zwar jeden grösseren Beschluss – auch ein allfälliges Ende der Bilateralen mit der Schweiz – absegnen. Doch seine Gestaltungsmacht ist beschränkt, genauso wie die Sitzungsdisziplin und die Dossierkenntnis vieler Mitglieder.

Doch trotz Reformen ist die Macht des Parlaments noch immer klein. Das Hirn und der starke Arm der EU ist noch immer die Europäische Kommission die in einem vierarmigen Glasbau im Europa-Quartier angesiedelt ist. Ihre Angestellten sind gemäss Schweizer Diplomaten top ausgebildet, sie beherrschen ihre Dossiers bis ins kleinste Detail. Sie sind die «Gralshüter» der EU-Prinzipien. «Nach zehn Jahren in der Kommission reden sie alle gleich», beschreibt ein Schweizer Diplomat die Kommissionsmitarbeiter. An diesen «Betonköpfen», wie sie in der Schweiz gern genannt werden, hat sich die Schweiz in den vergangenen zweieinhalb Jahren die Zähne ausgebissen.

Protest gegen die Abschottung: Studenten der ETH Lausanne lassen im März 2014 Ballone fliegen. Die EU hat die Schweiz von Forschungsprogrammen ausgeschlossen.Bild: Keystone

Nur langsam löst sich die Schweiz nach dem 9. Februar 2014 aus der Schockstarre. An der Bundesrats-Pressekonferenz am Mittwoch darauf geben Simonetta Sommaruga und Didier Burkhalter die Stossrichtung bekannt: Der Bundesrat will die Initiative wortgetreu umsetzen, mit Kontingenten und Inländervorrang. Zugleich schickt er seine Diplomaten nach Brüssel, um die Verhandlungsbereitschaft der EU zu sondieren. «Die Schweiz kann nicht alleine entscheiden», sagt Aussenminister Burkhalter und mahnt zur Ruhe. Doch die Zeit läuft: Exakt drei Jahre haben die Initianten dem Bundesrat gegeben, um ihre Forderungen umzusetzen. Ist die MEI am 9. Februar 2017 nicht umgesetzt, muss sie der Bundesrat per Verordnungsweg umsetzen.

Schlag auf Schlag in die Konfrontation

Die Bundesrats-Strategie stösst besonders bei der SP und FDP auf Kritik: Sie wollen die Konfrontation mit der EU vermeiden. Doch der Bundesrat und darin vor allem Simonetta Sommaruga meinen es ernst. Eine Woche später erklären sie der EU, das anstehende Kroatien-Protokoll, also die Erweiterung der Personenfreizügigkeit auf das neue EU-Land, nicht zu unterzeichnen. Die EU schliesst die Schweiz per sofort vom 80-Milliarden-Forschungsprogramm Horizon 2020 und vom Studienaustauschprogramm Erasmus aus. Im April krebst der Bundesrat zurück: Er beschliesst einseitig Kontingente für kroatische Bürger und besänftigt so die EU. Die Schweiz darf wieder bei Horizon 2020 teilnehmen, zumindest provisorisch.

Im Juni fragt der Bundesrat Brüssel an, ob man bereit sei, über die Personenfreizügigkeit neu zu verhandeln. Die SVP versprach im Abstimmungskampf, Brüssel werde verhandeln. Natürlich verhandelt Brüssel nicht. Ein zweijähriger Politikzirkus startet, der, um eine von Schneider Ammanns Lieblingsmetaphern zu gebrauchen, eine «Quadratur des Kreises» anstrebt: Weder den Volkswillen noch die bilateralen Verträge zu verletzen. Alle wissen, dass dies nicht geht, trotzdem tut man so als ob.

Leichte Bevorzugung für Inländer: Das Parlament beschliesst, dass Arbeitgeber offene Stellen erst der lokalen Arbeitsvermittlung melden müssen. RAV in Bern, 2014.
Leichte Bevorzugung für Inländer: Das Parlament beschliesst, dass Arbeitgeber offene Stellen erst der lokalen Arbeitsvermittlung melden müssen. RAV in Bern, 2014.Bild: Keystone

Währenddessen machen sich eine Deutsche und eine Walliserin auf, das Land zu erkunden, das früher für seine politische Langeweile, sprich Vernunft bekannt war und nun den Bruch mit dem wichtigsten Handelspartner riskiert. Heike Scholten und Katja Gentinetta führen zusammen ein Büro für politische Kommunikation in einem schmucken Altbau in Zürich Wiedikon. Ende 2013 planen sie ein Buch zur Frage, was Unternehmen im Standort Schweiz hält. Als sie die Gespräche im Herbst 2014 führen, landen sie fast immer in der Europapolitik. Scholten und Gentinetta finden zerknirschte Wirtschaftsführer vor. «Viele sagten im Nachhinein: Wenn wir gewusst hätten, wie das herauskommt, hätten wir uns engagiert!», sagt Gentinetta.

«Bei uns ist jeden Tag WM»

Zugleich betonen die beiden, dass die Zeiten, in denen Direktoren im Nebenamt auch Politiker waren, vorbei sind. Die globalisierte Wirtschaftselite hat oft nicht nur mangelnde Kenntnisse, sondern schlicht keine Zeit für Politik. «Bei uns ist jeden Tag WM», zitieren sie in ihrem Buch «Haben Unternehmen eine Heimat?» einen Schweizer CEO, der dieser Zeit nachtrauert. Trotzdem, meint Scholten, sei seit dem 9. Februar die Sensibilität der Wirtschaft für den Standort gestiegen. «Man schaut jetzt häufiger darauf, dass zumindest einer in der Unternehmensspitze ein Schweizer ist.»

Katja Gentinetta (links) und Heike Scholten (rechts) vermessen ab dem Herbst 2014 die Stimmung in der Schweiz. Hier bei einem Gespräch mit der lokalen Bevölkerung von Flawil 2015.
Katja Gentinetta (links) und Heike Scholten (rechts) vermessen ab dem Herbst 2014 die Stimmung in der Schweiz. Hier bei einem Gespräch mit der lokalen Bevölkerung von Flawil 2015.

Im Sommer 2015 wechseln Scholten und Gentinetta die Perspektive. Sie organisieren im Auftrag verschiedener Wirtschaftsverbände, darunter Economiesuisse und der Pharmaverband Interpharma, Gespräche mit über 200 Bewohnern von sieben mittleren Städten wie Thun, Lugano oder Bulle. Es sind solche Kleinstädte, die immer für die Bilateralen gestimmt haben, bei der MEI aber kippten. An den Gesprächen nehmen auch Pharmagrössen wie Roche-Präsident Christoph Franz teil. «Die Leute waren dankbar, dass wir zu ihnen kamen», erzählt Katja Gentinetta.

Haupterkenntnis der Gespräche ist: In der Bevölkerung herrscht eine Wissenslücke. Die Leute haben aus Sorge über die schnelle Einwanderung ja gestimmt, waren sich jedoch nicht bewusst, dass die Bilateralen viel mehr beinhalten als die Personenfreizügigkeit. Die Wirtschaft hat ihnen nicht erklärt, wie wichtig die Verträge für sie alle sind. «Sie realisierten nicht, was auf dem Spiel stand», fasst Heike Scholten zusammen und ergänzt: «Wir haben immer wieder gehört: ‹Schenkt uns reinen Wein ein›!»

Europaabstimmungen seit 1972

3. Dezember 1972
Freihandelsabkommen CH–EWG
Ja: 72.5%
Nein: 27.5%
Bundesbeschluss über die Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft
6. Dezember 1992
Europäischer Wirtschaftsraum
Ja: 49.7%
Nein: 50.3%
Bundesbeschluss über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR)
8. Juni 1997
Beitrittsverhandlungen nur nach Abstimmung
Ja: 25.9%
Nein: 74.1%
Eidgenössische Volksinitiative «EU-Beitrittsverhandlungen vors Volk!»
21. Mai 2000
Bilaterale Verträge I
Ja: 67.2%
Nein: 32.8%
Bundesbeschluss über die Genehmigung der sektoriellen Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft
4. März 2001
Start von Beitrittsverhandlungen zur Europäischen Union
Ja: 23.2%
Nein: 76.8%
Eidgenössische Volksinitiative «Ja zu Europa»
5. Juni 2005
Referendum zu Schengen- und Dublin
Ja: 54.6%
Nein: 45.4%
Bundesbeschluss über die bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU über die Assoziierung an Schengen und an Dublin
25. September 2005
EU-Erweiterung 2004
Ja: 56%
Nein: 44%
Bundesbeschluss über das Protokoll über die Ausdehnung des Freizügigkeitsabkommens auf die neuen EG-Mitgliedsstaaten
26. November 2006
Kohäsionsmilliarde
Ja: 53.4%
Nein: 46.6%
Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit den Staaten Osteuropas
8. Februar 2009
Fortführung Personenfreizügigkeit und Erweiterung auf Bulgarien und Rumänien
Ja: 59.6%
Nein: 40.4%
Bundesbeschluss über die Weiterführung des Freizügigkeitsabkommens zwischen der Schweiz und der EG sowie über die Ausdehnung auf Bulgarien und Rumänien
9. Februar 2014
Masseneinwanderungs-Initiative
Ja: 50.3%
Nein: 49.7%
Eidgenössische Volksinitiative «Gegen Masseneinwanderung»

Katja Gentinetta ortet ein generelles Defizit in der Schweizer Diskussionskultur. Als stellvertretende Direktorin der Denkfabrik Avenir Suisse schlug sie 2010 den EWR als Alternative zum schlingernden bilateralen Weg vor und wurde mit Kritik überschüttet. «Ich wurde bezichtigt, der EU beitreten zu wollen», sagt sie. «So kann man keine Diskussion führen. Genau das hat uns an den Punkt gebracht, an dem wir jetzt sind.»

Raus aus der Sackgasse

Eine Diskussion darüber ist aber auch schwierig. Der Anteil der Schweizer, der sich eine Annäherung an die kriselnde EU wünscht, schrumpft jedoch von Jahr zu Jahr. Symptomatisch: FDP-Nationalrätin Christa Markwalder übergibt im Mai 2014 das Präsidium der Pro-EU-Organisation Nebs an Martin Naef und Francois Cherix, zwei Sozialdemokraten. Das bürgerliche Lager hat sich vom EU-Projekt verabschiedet. Selbst in der SP, die den Beitritt im Parteiprogramm führt, wollen sich viele Politiker nicht an dem Thema die Finger verbrennen.

Trotzdem versuchen nach dem 9. Februar europafreundliche Kräfte, eine Europa-Debatte zu lancieren. Junge urbane Akademiker formieren sich in der Operation Libero, welche unter dem Label «Chancenland Schweiz» eine offene Schweiz fordert. Benedikt von Tscharner, der ehemalige Missionschef in Brüssel und inzwischen 77-jähriger Ex-Diplomat, verfasst einen Aufruf «Die Schweiz in Europa», dem sich mehr als 200 Personen aus Politik, Kultur und Wirtschaft anschliessen. 

Der St.Galler Strafrechtsprofessor Thomas Geiser lanciert nach der MEI-Abstimmung seine Intitiative namens «Raus aus der Sackgasse», kurz RASA. Der Inhalt ist simpel: Sie will den Verfassungsaartikel 121a streichen und damit die MEI rückgängig machen. Geiser will, dass die Bevölkerung noch einmal über das Anliegen entscheiden kann. Mit finanzieller Hilfe des Milliardärs Hansjörg Wyss sammelt das RASA-Komitee Unterschriften – am 27. Oktober 2015 wird die Initiative eingereicht. Die SVP redet von «Zwängerei».

Auch wenn sich aus all diesen MEI-kritischen Akteuren keine mächtige Allianz schliessen lässt: Wirkungslos bleiben die Bemühungen nicht. Die Operation Libero generiert mit ihrem pinken Auftritt Presseaufmerksamkeit und verteilt im Vorfeld der Ecopop-Abstimmungen Kondome. Die Ecopop-Initiative, über welche die Schweiz am 30. November 2014 abstimmt, ist radikaler als die MEI, die keine Höchstzahlen festlegt. Ecopop hingegen will die Einwanderung auf 0,2 Prozent der Bevölkerung, also rund 16'000 Menschen, eingrenzen und den weltweiten Bevölkerungszuwachs eindämmen. Eine Annahme wäre das sichere Ende der Bilateralen.

Einwanderung seit 1992

Einwanderung
Auswanderung
Differenz

Auch die Wirtschaft hat dazugelernt. Die Economiesuisse bekämpft Ecopop mit breiter regionaler Abstützung und holt diverse NGOs an Bord, die sie bei der Überzeugungsarbeit an der Basis breiter abstützen sollen.

Und sie wechselt den Stil. «Die MEI-Kampagne war auf Abwehr getrimmt, man warnte vor der Abholzung der Bilateralen», erinnert sich Salome Mathys, welche für die Economiesuisse an beiden Kampagnen mitgearbeitet hat. «Die Kampagne gegen Ecopop war schon farblich ganz anders: pink statt düster. Wir versuchten, ein positives Bild einer offenen Schweiz zu vermitteln.»

Auch die Wirtschaft hat dazugelernt. Die Economiesuisse bekämpft Ecopop . Die Schweizer schicken Ecopop mit 74,1 Prozent bachab.

Taktieren in Brüssel

Nach einer Personalrochade kommt auch in Brüssel Bewegung in die Sache. Im November 2014 tritt EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, der sich zuletzt nur noch über die Schweiz genervt hat, zurück. Im Februar 2015 willigt der neue EU-Kommissionspräsident, der Luxemburger Jean-Claude Juncker, in informelle Gespräche über die Umsetzung der MEI ein.

Juncker macht die Beziehungen zum kleinen Nachbar zur Chefsache. Er transferiert das Dossier Personenfreizügigkeit von der EU-Kommission, wo gemäss Schweizer Diplomaten die «Gralshüter und Betonköpfe» sitzen, in seine Generaldirektion. In diesen Monaten, hört man in Bern, habe die EU Beweglichkeit gezeigt. Einige Diplomaten vermuten, man hätte vielleicht etwas erreichen können.

Doch die Briten machen der Schweiz einen Strich durch die Rechnung. Im boomenden Grossbritannien schwelt eine ähnliche Diskussion um Personenfreizügigkeit. Die Briten, schon immer die Extrawurst-Spezialisten innerhalb der EU, wollen nun auch die eigene Migration steuern. Die EU schaltet auf Verteidigungsmodus um, sie will keine Präjudizen für die wachsenden EU-kritischen Bewegungen in Europa schaffen. Von da an treffen auch die Schweizer Diplomaten in Brüssel wieder auf «Betonköpfe.»

Am 4. März 2016 veröffentlicht der Bundesrat seine Strategie zur Umsetzung. Kommt es zu keiner Einigung mit der EU, will er im Februar 2017 einseitig Kontingente einführen, deren Höchstzahlen er jährlich festlegt. Brüssel hält still, um die innenpolitische Lage in der Schweiz nicht zu verschärfen, macht Bern aber klar: Verhandelt wird nicht.

Die Mitte versucht die Bilateralen zu retten: FDP-Parteichef Philipp Müller (Mitte) mit FDP-Ständerat Ruedi Noser während der Frühlingssession im März 2016.
Die Mitte versucht die Bilateralen zu retten: FDP-Parteichef Philipp Müller (Mitte) mit FDP-Ständerat Ruedi Noser während der Frühlingssession im März 2016.Bild: Keystone

Das Parlament übernimmt

Doch wenn die Schweizer Politik etwas kann, dann ist es Pragmatismus. Während der Bundesrat auf der harten Linie bleibt, übernimmt das Parlament ab dem Sommer 2016 die realistische Aussenpolitik. Bereits im Februar 2016 schlägt FDP-Präsident Philipp Müller vor, die MEI anstatt mit Kontingenten und entsprechendem «Zahlensalat» mit einem sanften Inländervorrang umzusetzen, der in gefährdeten Branchen wie Tourismus oder Bau gelte. Dieser würde dem Prinzip des freien Personenverkehrs nicht widersprechen, im Grenzgänger-Kanton Genf wird die Vergabe öffentlicher Stellen bereits so gehandhabt.

Zwischen den Parteien bildet sich eine ähnliche Koalition wie 1999, als es darum ging, die Bilateralen durchzubringen: FDP und SP raufen sich zusammen. Die FDP würde zwar lieber mit der SVP paktieren, weil sie dann nicht mit Forderungen nach stärkerem Arbeitnehmerschutz konfrontiert wird. Aber mit der SVP lässt sich kein Staat machen. «Die hatten keinen Plan», sagt FDP-Aussenpolitiker Walter Müller. «In Treffen machten sie Konzessionen, sogar bis dahin, dass es keine Kontingente brauche, aber wenn man auf sie zählen sollte, krebsten sie wieder zurück.»

La coiffure fédérale – Politikermode im Wandel der Zeit

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La coiffure fédérale – Politikermode im Wandel der Zeit
1992: Der letzte Atemzug der 80er: Karohemd und getönte Brille. Freiheitspartei-Nationalrat Michael Dreher im Nationalrat.
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Die SP fordert stärkere flankierende Massnahmen. Doch als die Wirtschaftsverbände und die Bürgerlichen abwinken, lässt sie sich trotzdem auf den Inländervorrang ein. Zum Ärger von Ruedi Strahm. «Das ist die Schwäche der Linken: Sie stellt keine Forderungen mehr.» Doch die flankierenden Massnahmen sind nicht nur bei den Bürgerlichen, sondern bei der EU unbeliebt. Sie widersprechen ihrer Idee des grenzüberschreitenden Wettbewerbs. Mit einer Verschärfung würde man Brüssel zusätzlich provozieren.

Anfang September entscheidet sich die vorbereitende Kommission des Nationalrats für Müllers «Inländervorrang light», der Nationalrat folgt ihr in der Herbstsession. In Brüssel reibt man sich die Augen: «Wir sind erstaunt über die Dynamik des Schweizer Politsystems», sagt der neue EU-Botschafter, Michael Matthiessen, an einem Vortrag in Winterthur Ende November. Eine Lösung scheint in Griffweite zu sein.

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Die nächste Schlacht

Doch auch wenn es der Schweiz gelingt, die MEI umzusetzen: Am Horizont zeichnet sich schon die nächste Schlacht ab. Das institutionelle Rahmenabkommen, das die Schweiz seit 2008 mit immer schärferem Ton verlangt. Weil sich die EU ohne dieses Abkommen auf keine neuen Abkommen einlassen wird, beschliesst der Bundesrat Ende 2013, in Verhandlungen einzusteigen. Seit dem Mai 2014 laufen die Gespräche. Der Stand der Verhandlungen gemäss diplomatischen Quellen: Die EU will, dass die Schweiz das Folgerecht in den bestehenden Verträgen automatisch übernimmt.

Zudem bemängelt die EU, dass die Schweiz die Personenfreizügigkeit ungenügend umsetze. Oft geht es um die flankierenden Massnahmen. Besonders stört die EU, dass sich ausländische Betriebe acht Tage vor einem Auftrag in der Schweiz anmelden müssen. Diese Anmeldung sei für effiziente Lohnkontrollen nötig, heisst es aber in der Schweiz. Diese Beschwerden sammeln sich im gemischten Ausschuss, der aus Vertretern der Schweiz und sämtlichen EU-Ländern besteht und ein- oder zweimal im Jahr tagt. Doch die Entscheide dieser Behörde sind nicht bindend. Die EU verlangt deshalb, dass der Europäische Gerichtshof solche Konflikte bindend klärt.

Grosses Verständnis für die flankierenden Massnahmen scheint man in Brüssel nicht zu haben. Ein Diplomat erzählt, wie man anlässlich eines Parlamentarierbesuchs aus der Schweiz einem EU-Kommissar die Konkurrenzsituation im Grenzgänger-Hotspot Tessin erklärt habe. Aha, sei die unbeeindruckte Antwort gewesen. Der Europäische Gerichtshof könnte Regeln der flankierenden Massnahmen, welche die EU als diskriminierend erachtet, als ungültig erklären.

In den laufenden Verhandlungen versuchen die Schweizer Diplomaten, genau diesen politisch sensiblen Bereich aus dem Rahmenabkommen auszuklammern. Sie wissen, dass sie die Stimmbürger nur mit einem guten Resultat überzeugen können. «Wir sind hartnäckig», sagt jemand, der mit dem Dossier vertraut ist, «und wir haben keine Eile.»

Erhofft sich Fortschritte in der Europapolitik, wenn Blocher nicht mehr da ist: CVP-Nationalrätin Kathy Riklin, hier im September 2016 in Bern.
Erhofft sich Fortschritte in der Europapolitik, wenn Blocher nicht mehr da ist: CVP-Nationalrätin Kathy Riklin, hier im September 2016 in Bern.Bild: Keystone
Freunde? CVP-Aussenpolitikerin Kathy Riklin (Mitte) und EU-Parlamentarier Jorn Dohrmann an einer Medienkonferenz parlamentarischer Delegationen in Zürich im Juni 2015.
Freunde? CVP-Aussenpolitikerin Kathy Riklin (Mitte) und EU-Parlamentarier Jorn Dohrmann an einer Medienkonferenz parlamentarischer Delegationen in Zürich im Juni 2015.Bild: Keystone

Trotzdem lanciert Christoph Blocher im August dieses Jahres den Angriff gegen das Rahmenabkommen oder den, wie er ihn nennt, «Unterjochungsvertrag». Sollte das Abkommen vors Volk kommen, richtet er an einer Medienkonferenz aus, wolle er wie beim EWR 1992 in eine epische Schlacht ziehen. CVP-Nationalrätin und Europa-Veteranin Kathy Riklin lacht. «Ich empfehle den EU-Leuten immer, sie sollen warten, bis Blocher nicht mehr da ist. Seine Nachfolger werden nicht seine Wirkungsmacht haben.»

«Der Nationalstaat ist noch lange nicht am Ende»: SVP-Nationalrat und Rechtsprofessor Hans-Ueli Vogt, hier beim Wahlkampf im August 2015 in Uster.
«Der Nationalstaat ist noch lange nicht am Ende»: SVP-Nationalrat und Rechtsprofessor Hans-Ueli Vogt, hier beim Wahlkampf im August 2015 in Uster.Bild: Keystone

Die nächste Generation wärmt sich schon mal auf. 15. November, Säli des Restaurant Weisser Wind im Zürcher Oberdorf, alte Zürichmalereien an der Wand, auf den Holzstühlen sitzt urbanes Publikum. Es ist eine Veranstaltung des Zürich Salon, ein akademischer Club, der philosophische Abende abhält. Heute geht es um Menschenrechte und Souveränität. Auf dem Podium sitzt ganz rechts Hans-Ueli Vogt, Rechtsprofessor an der Uni Zürich, seit 2015 SVP-Nationalrat. Ein leiser Mann mit dem Duktus des Intellektuellen. Neben Vogt sitzen auf dem Podium der ehemalige «Tages-Anzeiger»-Chef Peter Studer, Andrea Huber, Geschäftsführerin des Menschenrechts-Vereins Schutzfaktor M, ein liberaler britischer Jurist und ein junger Anwalt aus London, der den Brexit befürwortet.

Hansueli Vogt ist der Hauptmotor hinter der Initiative «Schweizer Recht statt fremde Richter», welche die SVP im August eingereicht hat. Der Inhalt: Ein Volksentscheid geht internationalem Recht immer vor. Sämtliche Parteipräsidenten ausser der SVP haben die Initiative in einem gemeinsamen Brief als «untolerierbar» bezeichnet. Aber die Volkspartei schlägt ihre Schlachten am liebsten sowieso allein.

Vogt und sein junger Londoner Kollege vertreten die Ansicht, dass die internationalen Konventionen die Selbstbestimmung eines Volks untergraben. Ihre Opponenten sehen im internationalen Recht die Grundlage für Frieden und die Möglichkeit von Individuen, ihr Recht gegenüber einem Staat, der sie diskriminiert, an einem internationalen Gericht zu erkämpfen. Beim Schlussplädoyer ruft Hans-Ueli Vogt feurig: «Das Zeitalter des Nationalstaats hat nicht ausgedient, im Gegenteil, sein Höhepunkt wird erst noch kommen!» Im Säli des Weissen Winds findet der Satz kaum Zustimmung. Doch im ausgehenden Jahr 2016, in der Welt der triumphierenden Populisten, Nationalisten und Autokraten, hinterlässt der Satz einen schalen Nachgeschmack. Vielleicht ist es das erste Echo einer politischen Kraft, die sich gerade entfesselt, und nicht nur die Europäische Union, sondern die ganze politische Ordnung des Kontinents zum Einsturz bringen könnte.

Heute Professor für Verhandlungstaktik: Der ehemalige Diplomat Michael Ambühl im März 2016 in Bern.
Heute Professor für Verhandlungstaktik: Der ehemalige Diplomat Michael Ambühl im März 2016 in Bern.Bild: Keystone

Ohne Alternative

Doch die Schweizer sind sparsam mit grossen Thesen. Der ehemalige Chefunterhändler Michael Ambühl rät dazu, die Abwicklung Grossbritanniens aus der EU abzuwarten. «Auch wenn es nicht alle sehen mögen: Grossbritannien wird ein Präjudiz sein», sagt Ambühl. Die künftigen Beziehungen mit dem Ex-Mitglied könnten auch jene der Schweiz beeinflussen. Zugleich ist in England Schweizer Expertise gefragt: Ambühl hat kürzlich in einem britischen Think Tank über die bilateralen Beziehungen der Schweiz doziert. Ex-Bundesrätin Micheline Calmy-Rey bläst ins selbe Horn: «Ich würde dieselbe Strategie verfolgen wie Jean-Claude Juncker es als Luxemburgischer Premier machte, als die Schweiz bei den Bilateralen II um das Zinsbesteuerungsabkommen kämpfte. Wait and See. Als wir verhandelt hatten, ging Juncker nach Brüssel und forderte dasselbe für Luxemburg.»

Am 19. September 2016 hält EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker eine Rede in Zürich.
Am 19. September 2016 hält EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker eine Rede in Zürich.Bild: Keystone
Er rüstet sich für den Kampf gegen das institutionelle Rahmenabkommen: Christoph Blocher und seine Kampfgefährten vom Komitee «Nein zum schleichenden EU-Beitritt» im August 2016 in Bern.
Er rüstet sich für den Kampf gegen das institutionelle Rahmenabkommen: Christoph Blocher und seine Kampfgefährten vom Komitee «Nein zum schleichenden EU-Beitritt» im August 2016 in Bern.Bild: Keystone

Die Frage ist: Wird die EU unter dem inneren Druck weicher oder härter? «Brüssel ist wie der Vatikan», meint Rudolf Strahm. «Je stärker die Kritik, desto mehr versteckt es sich hinter seinem Katechismus.» Tatsächlich erwecken EU-Kommissionsbeamte im Gespräch nicht den Eindruck, von ihren Positionen abzurücken. «Die Kräfte der Kohärenz werden in den nächsten Jahren stärker sein», heisst es. Die Schweiz solle sich keine Hoffnungen machen, im Windschatten von Grossbritannien zu fahren. Für den Fall, dass die Schweiz die MEI nicht vertragskonform umsetzt, zirkuliert in Brüssel bereits eine Liste mit möglichen Retorsionsmassnahmen.

Am 26. Oktober 2016 lehnt der Bundesrat die RASA-Initiative ab und kündet an, innert sechs Monaten einen Gegenvorschlag zu präsentieren. Die federführende Bundesrätin Simonetta Sommaruga will, dass er festschreibt, dass in der Migrationspolitik völkerrechtliche Verträge berücksichtigt werden sollen. So könnte man mit dem RASA-Gegenvorschlag das Volk fragen, ob es die minimalistische Umsetzung der MEI durch das Parlament gutheisst.

Dieses hat am 16. Dezember 2016 einen verschärften, aber ziemlich sicher EU-kompatiblen Inländervorrang beschlossen. Doch am selben Tag wurde klar, dass es trotzdem noch zur Grundsatzdebatte über Europa kommen wird. Die AUNS, die ihre Feuertaufe in der EWR-Abstimmung 1992 hatte, will eine Initiative zur Kündigung der bilateralen Beziehungen lancieren. Die grosse Schwester der AUNS, die SVP, ist über den Coup gar nicht erfreut. Denn es spricht wenig dafür, dass sie diese Schlacht gewinnen würden. Am letzten Novembertag hat die Credit Suisse ihr jährliches Sorgenbarometer veröffentlicht. Wollten 2015 noch 60 Prozent der Befragten die Bilateralen fortsetzen, sind es dieses Jahr 81 Prozent. Zugleich fiel die Zustimmung zu einem EU-Beitritt von 23 auf zehn Prozent zusammen.

Vielleicht steht es mit der Schweiz und den Bilateralen wie mit den Deutschen und Angela Merkel. Sie wecken keine Begeisterung mehr. Aber sie sind die beste Lösung in einer endlos unperfekten Welt. Sie sind ohne Alternative.

Freunde? EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Bundespräsident Johann Schneider Ammann nach Junckers Europa-Rede am 19. September 2016 in Zürich.Bild: Keystone

Die Stubendekoration glitzert im Schummerlicht. Draussen auf dem Balkon blinkt eine Lichterkette. Auch bei den Padruzzis in Dietlikon brechen langsam die Festtage an. Je kälter es draussen wird, desto gemütlicher wirkt der Rückzug in die warme Stube. Die Padruzzis sitzen vor der Glotze. «10 vor 10» berichtet von der Schlussverhandlung im Nationalrat über die Masseneinwanderungs-Initiative. Die Kamera zeigt SVP-Parlamentarier, die mit grimmigen Mienen Schilder mit Aufschriften wie «Verfassungsbruch» hochhalten. «Verstehst du es?», fragt Regula, die Krankenschwester nun 48. «Was?», fragt Mario, der Maschinenbauer und Abteilungsleiter (50). «Das alles», meint Regula und nuckelt an ihrem Eichhof-Bier, «dieses ganze Theater.» «Nicht wirklich», meint Mario, der immer früher müde wird. Das Alter, denkt er, spürt man, wenn man das Gefühl hat, die Welt wird verrückt. Oder geschieht es tatsächlich?

Der Bürgerkrieg tobt in Syrien. Die Türkei wird zur Diktatur. Donald Trump stellt ein Millionärskabinett zusammen. «Das Ende des Westens, wie wir ihn kennen», haben die Zeitungen getitelt. Als wäre das nicht genug, ist dieses Jahr noch der FCZ ist in die Challenge League abgestiegen. Mario denkt an die Kleinen, die längst nicht mehr klein sind, sondern ausgeflogen. Er fragt sich, in was für einer Welt Jan (18) und Anna (20) wohl alt werden. Aber irgendwo weit unten glimmt der Optimismus, wie eine Kohle in einem alten Feuer. Bei uns wird es stabil bleiben, denkt Mario, während er langsam in der Dezembernacht wegnickt, es wird sicher bleiben, vernünftig. Irgendwie geht es weiter, irgendwie ist es noch immer weitergegangen.

* Die Familiengeschichte der Padruzzis ist ein fiktionales, erzählerisches Element.

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8 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Truth Hurts
30.01.2017 19:58registriert Mai 2016
Teil 2: Mein Meinungsumschwung kam so um 2010, als klar wurde dass die Wirtschaft eine eigentlich gute Idee (PFZ) missbraucht, um einfache Jobs mit billigen Deutschen zu besetzen. Die Politik die negativen Aspekte der Zuwanderung komplett ignorierte oder in Abrede stellte. Ich habe keinerlei Interesse an einer 10- oder 12-Millionen Schweiz. Unsere einzige Pflicht ist es, unsere Unabhängigkeit und (direkte) Demokratie unbeschadet den nächsten Generationen zu übergeben. Kurzfristige wirtschaftliche Interessen sind komplett irrelevant, erst recht in einem unhaltbaren Schneeballsystem.
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Truth Hurts
30.01.2017 19:53registriert Mai 2016
Danke Watson für eine tolle Serie. Anhand der Familie Padruzzi kann ich meine eigene Entwicklung in Sachen Europapolitik wiedererkennen. Von der EWR-Abstimmung, damals zwar noch zu jung zum stimmen aber es wäre ein sicheres Ja gewesen (zum Glück war die Mehrheit damals schon weitsichtig genug) - über alle Abstimmungen der 0er Jahre, wo ich immer für die Zusammenarbeit mit Europa gestimmt habe - bis zur MEI, wo ich auch gekippt bin und für eine Beschränkung gestimmt habe. Mittlerweile glaube ich nicht mehr an die Reformfähigkeit dieses Europas und wäre auch für eine Kündigung der PFZ.
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