Die SP liegt im Umweltrating nur hauchdünn hinter den Grünen – und noch vor den Grünliberalen. Mit Buchautor Roger Nordmann hat sie auch den heimlichen Klimastar. Und doch scheinen nur Grüne und Grünliberale von der Klimadebatte zu profitieren. Die Genossen fühlen sich verkannt.
Youtuber Rezo erschütterte vor der Europawahl Deutschland mit einem Video von 54:18 Minuten Länge. Darin kündet er die «Zerstörung der CDU» an. Politiker Roger Nordmann macht nun in einem Youtube-Video das Gegenteil. Er baut auf: den «Marshallplan» der SP für das Klima und die Solarenergie» – in 76:19 Minuten.
Roger Nordmann, Fraktionschef der SP, ist der heimliche politische Star der Klimadebatte. Er ist Autor des Buches «Sonne für den Klimaschutz». 32 Vorträge hielt er in den letzten Monaten, etwa vor den Kadermitarbeitenden der Energiekonzerne Axpo und BKW. Er will den Strom, welchen die Schweiz mit dem Ausstieg aus fossilen Energien und aus den AKW benötigt, mit Solaranlagen decken. Mit jährlichen Investitionen von 0,3 Prozent des Bruttoinlandproduktes.
Nordmann ist ein begehrter Experte. Und die SP liegt im Umweltrating von WWF, Greenpeace, Pro Natura und VCS mit 97 Prozent Zustimmung zu Umweltfragen nur hauchdünn hinter den Grünen (98,4), aber noch vor der GLP (91,1). Doch das hilft der SP nicht. Sie droht im Wettstreit um Klimawähler zu verlieren: Je nach Umfrage 0,1 (SRG) oder 0,8 Wählerprozent (Tamedia).
Rund 100 000 Personen nahmen vor einer Woche an der Klimademo in Bern teil. Davon profitieren die Parteien mit dem «Grün» im Namen: Grüne und Grünliberale. Sie sind strahlende Umfragesieger. Die Grünen legen wahlweise um 3,1 (Tamedia) oder 3,4 Prozent (SRG) zu, die GLP um 2,3 (SRG) oder 2,6 Prozent (Tamedia). Grüne (0,9 Prozent) und GLP (0,8 Prozent) saugen sogar Wähler bei der SP ab. Das zeigt die Analyse des SRG-Wahlbarometers von Sotomo.
Diese Ausgangslage sorgt für eine gewisse Nervosität im linksgrünen Lager. Nach aussen bemühen sich die Parteispitzen um Gelassenheit. «Die Grünen sind nicht Konkurrenten, sondern Partner von uns», sagt SP-Präsident Christian Levrat. «Es ist zentral, dass wir bei den Wahlen gemeinsam wachsen. Wir wollen die rechte Mehrheit brechen. Die Vorzeichen stehen gut.» Grünen-Präsidentin Regula Rytz gibt sich selbstbewusst: «Wir Grünen wollen diese Klimawahl gewinnen und das Parlament ökologischer und sozialer machen. Die Umfragen zeigen, dass die Stärkung der Grünen nicht auf Kosten der SP geht.»
Doch es ist eine grosse Irritation spürbar. «Die SP macht eigentlich die Umweltpolitik», sagt ein SP-Parlamentarier hinter vorgehaltener Hand. Ein anderer: «Die SP hat eine gesamtheitlichere Umweltsicht als die Grünen.»
Eric Nussbaumer (SP), einer der profiliertesten Energiepolitiker, hält fest: «Die konzeptionelle Arbeit leistet vor allem die SP – weil wir als grosse links-grüne Volkspartei personell gut dotiert sind und die Arbeit auf mehrere Schultern verteilen können.»
Unzufrieden sind die Genossen vor allem mit den Medien. Diese rücken weitgehend Grüne und GLP ins Zentrum der Klimadebatte. Nun entdecke auch die SP das Klima, vermeldeten etwa «Tages-Anzeiger» und SRF, als die Partei im Juli ihren Klima-Marshallplan präsentierte.
Darüber nervt sich Jacqueline Badran. «Die SP hat in der Umwelt- und Klimapolitik einen Leistungsausweis von historischer Dimension», sagt die SP-Nationalrätin, die lange in der Umweltkommission sass. «In der öffentlichen Wahrnehmung wird dieser allerdings komplett ausser Acht gelassen.»
Ein Blick in die Geschichte zeigt: Die SP spielte in den letzten Jahrzehnten in der Tat eine wichtige Rolle in der Umweltdebatte. Zentral dafür war Helmut Hubacher, zwischen 1975 und 1990 SP-Präsident. Er integrierte die ökologische Frage in die SP. «Das ist der Grund, weshalb heute sehr viel umweltpolitische Kompetenz in der SP beheimatet ist», sagt Nussbaumer.
Bis weit in die 1970er-Jahre hinein war die SP aber eine Verfechterin von Atomkraftwerken – und sie stellte mit Willi Ritschard von 1974–79 den Energieminister. Der geplante Bau des AKW Kaiseraugst spaltete die Partei. Als das Gelände besetzt wurde, erwog der Bundesrat einen Militäreinsatz.
«Ritschard sagte mir persönlich, er werde in diesem Fall als Bundesrat sofort zurücktreten», erzählt Hubacher, heute 93 Jahre alt. «Ritschard führte auch ein Gespräch mit den Besetzern.» Das habe letztlich zum Ende von Kaiseraugst geführt. Hubacher: «Die SP hat Kaiseraugst schon am Parteitag von 1978 beerdigt.» Realpolitisch war das erst 1988 der Fall.
Den wissenschaftlichen Grundstein für eine Energiewende hatte der spätere Zürcher Stadtpräsident Elmar Ledergerber mit dem Buch «Wege aus der Energiefalle» 1979 gelegt. Es war das Jahr, als mit Daniel Brélaz (VD) der erste Grüne in den Nationalrat kam. 1983 kam die Föderation der grünen Parteien zustande, eine nationale Partei, die 1986 in Grüne Partei der Schweiz (GPS) umbenannt wurde.
In den 1970er-Jahren habe es in allen Parteien «umweltbewusste und atomkritische Politiker» gegeben, sagt der grüne Ständerat Robert Cramer (GE). Sie waren aber in ihren Parteien in der Minderheit. Die Wirtschaftsverbände hatten das Sagen bei den Bürgerlichen, die Gewerkschaften dominierten die Debatte bei der SP. In Genf seien die Gewerkschaften noch Ende der 1970er-Jahre mit einem Pro-AKW-Wagen an der Spitze des 1.-Mai-Umzugs gefahren, erzählt Cramer. «Deshalb war es notwendig, die grüne Partei zu gründen.»
Die 1990er-Jahre waren von wirtschaftlichen Problemen geprägt. Ein markanter Aufschwung der Grünen folgte 2003 (7,3 Wählerprozent) und 2007 (9,6), obwohl sich 2004 die Grünliberalen abgespaltet hatten. Die nationale GLP, 2007 gegründet, kam 2011 auf 5,4 Wählerprozente. Ihr Ziel: Die wirtschafts-liberal-ökologischen Kräfte im rechten Lager abzuholen, wie Nationalrat Martin Bäumle sagt.
Mit der Nuklearkatastrophe von Fukushima vom 11. März 2011 brach ein neues energiepolitisches Zeitalter an. Sie leitete die Energiewende der Schweiz ein mit dem schrittweisen Atomausstieg. Sowohl SP wie Grüne beanspruchen ihn für sich. Die SP Nationalräte Nordmann und Nussbaumer brachten den atomkritischen CVP-Politiker Roberto Schmidt dazu, am 14. April 2011 die Motion «Schrittweiser Ausstieg aus der Atomenergie» einzureichen. Sie wussten: Der Absender war entscheidend, wollten sie diese Forderung durchbringen.
Die Grünen reichten 2012 ihre Atomausstiegs-Initiative ein. Sie wurde zwar 2016 von der Bevölkerung abgelehnt. «Sie hat aber den Weg für die Energiestrategie 2050 als Gegenvorschlag zur Initiative geebnet», ist Grünen-Präsidentin Regula Rytz überzeugt. «Dieser wäre sonst nach dem Rechtsrutsch von 2015 versenkt worden.» 2017 sagte die Bevölkerung Ja zur Energiestrategie. Und ab Ende 2018 entwickelte sich die Klimapolitik zum Hauptthema der Wahlen 2019.
Was aber unterscheidet Grüne, SP und GLP? «Wir denken weiter, machen die umfassendste Analyse», sagt Grünen-Präsidentin Rytz. «Wir wollen die Wachstumszwänge überwinden und die Wirtschaft zu einer globalen Kreislaufwirtschaft umbauen. Damit entkoppeln wir Wohlstand von der Naturzerstörung.» Eine Kritik äussert Rytz gegenüber der SP doch. «Es ist schade, dass sie bei der Fair-Food-Initiative nur halbherzig mitmachte», sagt sie. «Einzelne Exponenten wie Ruedi Strahm oder Anita Fetz bekämpften sie sogar aktiv.» Die Initiative wollte die Nachhaltigkeit beim Import von Nahrungsmitteln verbessern.
Die SP setzt im Gegensatz zu den Grünen auf Wachstum. «Wir verknüpfen die soziale und ökologische Frage», sagt SP-Präsident Levrat. «Klimapolitik kann nicht gegen die Bevölkerung gemacht werden, sondern nur mit ihr.» Der «Marshallplan» zeige dies: «Wird die Energiewende primär über die Bundessteuer finanziert, profitieren die tiefen und mittleren Einkommen auch finanziell von der Energiewende.»
Und wo stehen die Grünliberalen? Sie setzen auf Lenkungsabgaben und Technologie. «Jede Partei hat ein Alleinstellungsmerkmal», sagt GLP- Präsident Jürg Grossen. «Bei uns ist es die Verbindung von Umwelt und Wirtschaft.» In der Umweltpolitik sei die GLP «bei den Zielen oft deckungsgleich mit SP und Grünen», sagt er. «Die Umsetzung wollen wir aber gemeinsam mit der Wirtschaft erreichen. Die SP und Grünen setzen auf die volle Abhängigkeit des Staates.»
Auch die Grünen haben eine Klima-Koryphäe: Bastien Girod. Der Umweltwissenschafter ist Privatdozent an der ETH Zürich. Auch er schrieb ein Buch: «Green Change. Strategien zur Glücksmaximierung».
«Wahlen sind eine Belastung für die Zusammenarbeit», sagt Girod. Er spüre, «dass gewisse Sticheleien vorhanden» seien. «Darauf möchte ich aber nicht eingehen. Das Einzige was zählt, sind die Erwartungen der Jugendlichen, die von uns Taten sehen wollen.» Der SP spricht er ein Lob aus: «Sie leistet wertvolle Mithilfe beim Klimaschutz. Das ist nicht selbstverständlich, sieht man die Umweltpositionen der Sozialdemokratie in europäischen Ländern.»
Weniger wärmere Worte hat er zur GLP. «Auch sie engagiert sich», sagt er. «In ihrer Strategie ‹Cool down› hat es interessante Vorschläge, die sich oft mit unseren decken.» Aufpassen müsse die GLP bei den Lenkungsabgaben: «Es dürfen keine sozialen Konflikte entstehen. Hier fehlen der GLP die Sensibilitäten.» Noch deutlicher wird SP-Chef Levrat: «In der Klimafrage arbeiten wir gut mit der GLP zusammen. In der Finanzpolitik aber ist sie rechts, in der Sozialpolitik ultrarechts.»
Das lässt Martin Bäumle so nicht auf sich sitzen. «SP-Präsident Levrat interessiert sich primär für linke Machtpolitik», sagt der GLP-Gründer. «Er muss sich deshalb auch nicht wundern, wenn die SP mit ihrer Umwelt- und Klimapolitik in der Öffentlichkeit weniger durchdringt.»
Nur weil die Grünliberalen ein "grün" im Namen haben sind sie noch lange nicht grün.
Ich wähle im Kanton Bern, wo wir eine grossartige SP haben und einige sehr gute grüne KandidatInnen.