2017 wanderten aus EU- und EFTA-Ländern unter dem Strich 31'250 Personen ein, 11 Prozent weniger als im Vorjahr und 50 Prozent weniger als im Rekordjahr 2013. Das zeigt der jüngste Bericht des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco). Grund dafür ist der wirtschaftliche Aufschwung in Südeuropa.
«Wir stellen fest, dass die Arbeitsmarktintegration von EU-Bürgerinnen sehr gut gelingt», sagte Staatssekretärin Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch, am Dienstag vor den Medien in Bern. «Und wir stellen auch fest, dass sie nicht zu Ungunsten der Ansässigen gelingt.»
Ganz anders klingt es von Seiten der SVP. Mit der Begrenzungsinitiative fordert die Partei eine Eingrenzung der «exorbitanten Zuwanderung» und eine Kündigung der Personenfreizügigkeit (FZA). Ende Juni gab Parteipräsident Albert Rösti bekannt, dass die nötigen 100'000 Unterschriften bereits gesammelt seien.
Wir haben die Argumente der SVP mit dem jüngsten Bericht des Seco verglichen.
Das Abkommen über die Personenfreizügigkeit mit der Schweiz und der EU ist seit 2002 in Kraft. Seit 2007 dürfen auch Bürger aus den «alten» EU-Staaten wie beispielsweise Spanien, Portugal, Italien oder Schweden ohne weitere Bewilligung in der Schweiz leben und arbeiten. Aus diesem Grund stieg die Zuwanderung aus den EU- und EFTA-Ländern an.
Von einer «masslosen» Zuwanderung kann aber keine Rede sein. Wie die obige Grafik zeigt, nahmen die Einwanderungszahlen seit dem Allzeithoch im Jahr 2013 rasant ab. Laut dem Seco-Bericht wanderten 2017 nur rund 31'250 Personen aus EU- und EFTA-Ländern ein. Das sind 50 Prozent weniger als noch 2013. Zudem zeigt der Bericht, dass rund die Hälfte aller Personen die 2009 in die Schweiz kamen, wieder ausgereist sind.
Mit dieser Aussage liegt die SVP für das Jahr 2017 falsch. Die Zuwanderung aus den EU- und EFTA-Staaten ist so tief wie noch nie. Laut dem jüngsten Seco-Bericht waren es lediglich 53'950 Personen die 2017 in die Schweiz migrierten. Das sind 3.7 Prozent weniger als noch 2016. Zudem sind laut dem Staatssekretariat für Migration rund 2 Prozent mehr Menschen aus dem EU-Raum wieder aus der Schweiz weggezogen.
Diese Aussage entspricht grundsätzlich der Wahrheit. Schweizer haben gemäss dem Seco ein deutlich geringeres Risiko, auf Sozialhilfe angewiesen zu sein. Bei der Begrenzungs-Initiative geht es jedoch um die Einschränkung der Einwanderung aus dem EU-Raum.
Schaut man nur diese Gruppe der Ausländer an, liegt der Wert der Sozialhilfebezüger deutlich unter dem gesamtschweizerischen Durchschnitt. 2017 bezogen 2 Prozent aller Zuwanderer aus den EU- und EFTA-Staaten Sozialhilfe. Das sind 1,2 Prozent weniger als der Schweizer Durchschnitt.
Der jüngste Bericht des Seco widerspricht der Aussage der SVP. Die Zuwanderung aus den EU- und EFTA-Staaten ging nicht auf die Kosten der übrigen Bevölkerung. Das Arbeitslosigkeitsrisiko in der Schweiz blieb konstant tief – trotz der Einwanderung. Hinzu kommt, dass die Schweizer ihre Erwerbsquote seit 2010 steigern konnten.
Ältere Menschen profitieren momentan sogar durch die Zuwanderung von jungen Arbeitskräften. Denn diese Zahlen hohe Beiträge in die AHV-Kasse und entlasten diese.
Mit dieser Aussage macht die SVP Angst vor Lohndumping wegen billigen Arbeitskräften aus dem Ausland. Doch auch dieser Vorwurf findet im jüngsten Seco-Bericht wenig Legitimation. Unter den Zuwanderern aus den EU- und EFTA-Staaten haben 54 Prozent einen Hochschulabschluss. In der Schweiz werden sie mehrheitlich ihrem Qualifikationsniveau entsprechend angestellt und erhalten auch ähnlich hohe Löhne wie Schweizer Arbeitnehmer. Einzig Personen aus Ost- und Südeuropa verdienen zu Beginn einer Anstellung etwas weniger.
Berufe mit weniger hohen Qualifikationsanforderungen werden ausschliesslich von Zuwanderern aus dem EU-Raum besetzt. Doch auch dies habe gemäss Seco nur positive Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Denn für Stellen mit tieferer Qualifikation liessen sich kaum mehr Schweizer finden, heisst es im Bericht.
Diese Aussage ist schwierig zu beurteilen. Laut dem Seco ist die Personenfreizügigkeit enorm wichtig für Schweizer Arbeitgeber, um dem Fachkräftemangel entgegen zu wirken. Ob dieser Mangel erheblich steigt, wenn das Abkommen gekündigt wird, bleibt offen.
Klar aber ist: Mit der Kündigung der Personenfreizügigkeit würde nicht nur der Wirtschaftsstandort Schweiz leiden. Denn das Freizügigkeitsabkommen ist Teil der Bilateralen I. Wird es gekündigt, fallen wegen der Guillotine-Klausel die anderen Verträge ebenfalls dahin. Das hat Konsequenzen für die Forschung, die Landwirtschaft und den Luftverkehr.
Mit Material von sda
*Korrektur: Beim Argument #2 schlich sich ein Fehler ein. Zwar sind sind laut dem Staatssekretariat für Migration (SEM) 79'104 Personen aus der Schweiz ausgewandert, das Wanderungssaldo beträgt jedoch 53'950. Der Fehler wurde korrigiert.