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«Kill Erdogan»-Prozess: Angeklagte mit Schweigeminute statt Aussage

«Kill Erdogan»-Prozess: Angeklagte mit Schweigeminute statt Aussage

19.01.2022, 13:50
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Am Prozess zum «Kill Erdogan»-Plakat von 2017 in Bern hat der Gerichtspräsident am Mittwochmittag nach vielen Vorgeplänkeln den ersten Beschuldigten einvernommen. Dieser sagte nichts zum umstrittenen Plakat, aber viel zum türkischen Präsidenten Erdogan.

«Dazu verweigere ich die Aussage» sagte der Beschuldigte zu sämtlichen Fragen zu Urheberschaft des Plakats oder dessen Botschaft. Den Strafbefehl «hätte man ja noch akzeptieren können», doch sei die ganze Angelegenheit doch etwas grösser, reiche über das Plakat hinaus.

Schweigeminute anstatt Aussage

Er wolle hier sagen, dass unter der Führung des türkischen Präsidenten in Kurdistan Giftgas eingesetzt worden sei; dass bis zu 100'000 Oppositionelle im Gefängnis sässen. Und genau vor fünfzehn Jahren sei der türkisch-armenische Journalist Hrant Dink von Faschisten in der Türkei erschossen worden. Polizisten hätten sich mit dem Täter fotografieren lassen.

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Das Polizeiaufgebot vor dem Gerichtssaal ist riesig.Bild: keystone

Er lege deshalb jetzt eine einminütige Schweigeminute ein. Das tat er, stand auf - und mit ihm erhoben sich die zwölf sogenannten Vertrauenspersonen der vier Beschuldigten im Saal.

Der Beschuldigte sagte auch, schon der Polizist, welcher ihn seinerzeit befragte, habe gesagt, es bestehe «Druck von oben». Offensichtlich müsse die Schweiz gegenüber der Türkei «liefern». Deshalb sässen die vier Beschuldigten wohl hier.

Vor dem Prozess hatte ein «Unterstützungskomitee» der Beschuldigten auf Twitter und im Internet klargemacht, dass sie den Berner Prozess als Bühne für politische Inhalte nutzte wollen, also um Erdogans Politik anzuprangern.

Zeugenperson berichtet von Attentat

Vor dem Beschuldigten befragte der Gerichtspräsident eine Zeugenperson, deren Anhörung von den Verteidigern beantragt worden war. Am Berner Prozess ist Medienschaffenden untersagt, diesen Zeugenpersonen ein Geschlecht zuzuordnen.

Diese Person sagte, sie sei 2015 Opfer eines Attentats im türkischen Grenzort Suruc geworden und deshalb gelähmt. Bei diesem Attentat starben über 30 Personen. Wie einer der Anwälte vor Gericht sagte, sollte diese Person zu ihren Erfahrungen in der Türkei Auskunft geben.

Die Zeugenperson berichtete von den Umständen des Attentats - etwa, dass Krankenwagen nicht zu den Verletzten vorgelassen worden seien. Von Erdogan sprach sie als einem «Kriegsverbrecher» und «Diktator» und verglich ihn mit Hitler. Als der Gerichtspräsident sie fragte, wieso sie im Zusammenhang mit dem Plakat von «wir» und «wir wollten» sprach, sagte sie, es handle sich «wahrscheinlich» um einen Übersetzungsfehler.

An Demo von 2017 gezeigt

epa05870520 A banner reads; 'Kill Erdogan with his own weapons', as protesters march during a demonstration against the Turkish President Recep Tayyip Erdogan, in Bern, Switzerland, 25 March ...
Corpus Delicti: um dieses Plakat dreht sich der Prozess in Bern.Bild: EPA/KEYSTONE

Das Plakat mit der Aufschrift «Kill Erdogan with his own weapons!» («Töte oder Tötet Erdogan mit seinen eigenen Waffen!») wurde im März 2017 am Rand einer Kundgebung für Demokratie in der Türkei mitgeführt. Dies von einer Gruppe von rund 150 Personen, welche sich beim alternativen Berner Kulturzentrum Reitschule besammelt hatten.

Noch am Tag der Kundgebung protestierte die Türkei beim Aussendepartement EDA in Bern und bestellte in Ankara die Schweizer Vize-Botschafterin ein. Es kam auch zu einem Telefongespräch zwischen den beiden Aussenministern. Die Türkei forderte eine Untersuchung, und Erdogan sagte, die Schweiz müsse aufhören, Terrororganisationen zu unterstützen. (leo/sda)

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Erdogan feiert mit seinen Anhängern den Wahlsieg
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Erdogan feiert mit seinen Anhängern den Wahlsieg
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quelle: ap/pool presidential press service
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5 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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frank frei
19.01.2022 14:42registriert September 2018
"Die Türkei forderte eine Untersuchung, und Erdogan sagte, die Schweiz müsse aufhören, Terrororganisationen zu unterstützen."

Die Angeklagten werden von der Türkei als Terroristen klassifiziert. Deshalb ist es für sie und die Zeugen absolut überlebenswichtig, dass sie anonym bleiben. Keine Fotos. Keine Namen. Keine Geschlechtsangaben. Vermummung im Gericht und vor dem Gerichtsgebäude. Die Aktivisten sind sich das Risiko sicher bewusst. Denn der Arm des türkischen Geheimdienstes reicht locker bis nach Bern. Und die schrecken auf vor Mord nicht zurück. Wünsche viel Glück!
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Nino F.
19.01.2022 15:09registriert April 2017
Die Angeklagten haben meine volle Solidarität. Erdogan muss weg!
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