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Gefährliche Wölfe können bald vorbeugend geschossen werden

Gefährliche Wölfe können bald vorbeugend geschossen werden

08.12.2022, 11:3023.01.2023, 13:49
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Der Wolf darf nun prophylaktisch erlegt werde, meint der Nationalrat.
Der Wolf darf nun prophylaktisch erlegt werde, meint der Nationalrat.Bild: Shutterstock

Das Parlament will, dass Wölfe aus einem Rudel vorbeugend geschossen werden dürfen, wenn Wölfe Schäden anrichten oder Menschen gefährden könnten. Das hat nach dem Ständerat auch der Nationalrat beschlossen. Berichte über Wolfsrisse und Begegnungen von Mensch und Wolf prägten die emotionale Debatte.

Der Nationalrat beschloss am Donnerstag mit 106 zu 74 Stimmen und 12 Enthaltungen Änderungen im Jagdgesetz, mit denen der wachsende Wolfsbestand kontrolliert werden soll. Mit dem geschützten Wolf soll ebenso verfahren werden, wie mit dem geschützten Steinbock. Die Nein-Stimmen im Nationalrat kamen von SP, Grünen und GLP.

Die Kantone sollen Wölfe von 1. September bis 31. Januar regulieren dürfen, mit Zustimmung des Bundes. Abschüsse sollen Schäden und Gefährdungen verhindern, dürfen aber die Population nicht gefährden. Voraussetzung für Abschüsse ist auch, dass Herdenschutz mit zumutbaren Massnahmen nicht möglich gewesen ist.

Wolf auf Spielplatz

Die Eintretensdebatte war zuweilen emotional: In seinem Kanton habe sich ein Wolf sogar auf einen Spielplatz vorgewagt, auf dem sich glücklicherweise gerade kein Kind aufgehalten habe, berichtete Pierre-André Page (SVP/FR). «Es muss gehandelt werden.»

Wolfsrisse seien in den Bergen eine traurige Realität, besonders für jene, die sich mit Herzblut um ihre Tiere kümmerten, doppelte Michael Graber (SVP/VS) nach. Herdenschutz sei nur bedingt eine Massnahme gegen die Wölfe.

«Wölfe sind ein wesentlicher Bestandteil unserer Welt und wichtig für die Biodiversität»
Beat Flach, GLP

«Es ist nicht gut, den Teufel an die Wand zu malen, aber muss noch Schlimmeres passieren?», fragte Nicolo Paganini (Mitte/SG). Der Wolf sei in der Schweiz angekommen, doppelte sein Solothurner Fraktionskollege Stefan Müller-Altermatt nach. Es benötige nun ein Management.

Christophe Clivaz (Grüne/VS) hingegen bat, den Menschen nicht mit «Rotkäppchen-Geschichten» Angst einzujagen. An Schutzwäldern Schaden anrichtendes Wild habe ohne Wolf keinen natürlichen Feind, sagte Bastien Girod (Grüne/ZH). Gezielte Abschüsse nach Rissen seien besser als die Regulierung.

«Wölfe sind ein wesentlicher Bestandteil unserer Welt und wichtig für die Biodiversität», sagte auch Beat Flach (GLP/AG). In Europa, selbst da, wo Wolf und Mensch nahe beieinander lebten, seien Angriffe der Raubtiere selten.

«Der Wolf ist nicht einfach ein bösartiges Tier, sondern er hat eine wichtige ökologische Funktion für die Verjüngung des Waldes», fügte Ursula Schneider Schüttel (SP/FR) an. Eine Gruppe von Stakeholdern habe einen Vorschlag gemacht, der besser sei als die Vorlage des Ständerats, bedauerte sie.

«Saison» für Regulierung

Der Nationalrat blieb jedoch auf der Linie der kleinen Kammer. Mit 103 zu 91 Stimmen entschied er gegen eine Regulierung von Wölfen ohne Schonzeit, die eine Minderheit beantragt hatte. Die «Saison» solle verhindern, dass Muttertiere von noch abhängigen Jungtieren geschossen würden, sagte Müller-Altermatt für die Mehrheit.

Die Minderheit um Matthias Samuel Jauslin (FDP/AG) hätte auf eine Schonzeit verzichten und gezielte Regulierungsabschüsse das ganze Jahr zulassen wollen. So könnten Wölfe «zur richtigen Zeit am richtigen Ort» erlegt werden, wenn dies nötig sei, sagte Jauslin. SP, Grüne, GLP hatte er hinter sich.

Eingriffe in Wolfsrudel sind gemäss dem Entscheid beider Räte allerdings auch im Sommer möglich. Voraussetzung ist dann, dass ein Rudel für aussergewöhnliche Risse verantwortlich ist, besonders von Rindern oder Pferden.

Die Mehrheit der Umweltkommission (UREK-N) gab sich überzeugt, dass vorbeugende Abschüsse unter klaren Bedingungen mit der Berner Konvention vereinbar seien. Gemäss diesem Abkommen gehört der Wolf zu den streng geschützten Arten. Einen Antrag der Schweiz auf eine Lockerung wurde vor kurzem abgelehnt.

Busse für nicht fachgerechte Nachsuche

Weil der Nationalrat die Vorlage in mehreren Punkten ergänzt hat, geht sie zurück an den Ständerat. Die grosse Kammer will eine bessere Aufklärung über die Grossraubtiere, und ebenso will sie die Bezeichnung überregionaler Wildtierkorridore im Gesetz verankern.

Weiter will der Nationalrat Jägerinnen und Jäger mit bis zu 20'000 Franken büssen, wenn sie die Nachsuche nach waidwunden Tieren nicht fachgerecht ausüben. Der Bundesrat erklärte sich mit der Vorlage einverstanden.

Nicht einverstanden war Umweltministerin Simonetta Sommaruga jedoch mit den von den Räten beschlossenen Finanzhilfen an die Kantone für Massnahmen gegen den Wolf. Der finanzpolitische Spielraum sei beschränkt, mahnte sie.

Die Vorlage ist ein neuer Anlauf zur Revision des Jagdgesetzes. 2020 scheiterte an der Urne eine Vorlage, mit der die Wolfsjagd neu geregelt worden wäre. Bei einem Ja hätten Wölfe geschossen werden dürfen, bevor sie Schaden angerichtet haben. Die Gegnerinnen und Gegner sprachen damals von «Abschüssen auf Vorrat». (cpf/sda)

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72 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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OrDa84
08.12.2022 12:11registriert August 2021
Das ist schlicht ein Skandal und mal wieder eine Missachtung des Wählerwillens!
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Tokyo
08.12.2022 11:58registriert Juni 2021
also kann man alles abknallen, weil Herdenschutz ist ja in diesem Land nicht zumutbar, obwohl es anderswo funktioniert.
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Raembe
08.12.2022 12:10registriert April 2014
Wo kann ich eine Initiative unterschreiben, die den Wolfsschutz wieder erhöt?
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Das ist höchst ungewöhnlich. Energiespezialist Imark greift SVP-Vizepräsidentin Martullo-Blocher offen an. Sein Vorwurf: Mit ihrem Nein zum Stromgesetz gefährde sie langfristige Parteiinteressen.

Auf der einen Seite steht Christian Imark. Der SVP-Nationalrat aus Solothurn brachte am 2021 das CO₂-Gesetz praktisch im Alleingang zum Absturz. Im Februar 2024 reichte er als Mitglied des Initiativkomitees die Blackoutinitiative ein, die neue AKW wieder erlauben will. Und 2023 war er als Vertreter der Energiekommission (Urek) verantwortlich dafür, dass die SVP-Fraktion das Stromgesetz von SVP-Bundesrat Albert Rösti mit 36:18 Stimmen absegnete. Die Volksabstimmung findet am 9. Juni statt.

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