Es kam einem politischen Erdbeben gleich, als das Schweizer Stimmvolk im Februar 2014 die Masseneinwanderungs-Initiative (MEI) der SVP angenommen hat. Über vier Jahre später tritt nun in Kraft, was von der Vorlage übrig geblieben ist: Der sogenannte «Inländervorrang light».
Und so funktioniert das System:
Für Berufe, in denen die Arbeitslosenquote über 8 Prozent liegt, gilt seit dem 1. Juli eine Stellenmeldepflicht. In den betroffenen Betrieben dürfen Chefs ihre offenen Stellen nicht mehr direkt ausschreiben, sondern müssen sie den Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) melden.
Die Idee: Während fünf Arbeitstagen können sich ausschliesslich Personen für die Jobs bewerben, die bereits beim RAV als Arbeitslose registriert sind. Sie bekommen so einen zeitlichen Vorsprung auf andere Kandidaten auf dem Stellenmarkt.
Konkret heisst das: Das RAV stellt Dossiers zusammen, die zur ausgeschriebenen Stelle passen. Die Firmen müssen die Kandidaten anschliessend zu einem Bewerbungsgespräch oder einer Eignungsabklärung einladen. Allerdings bleibt es am Ende den Chefs überlassen, ob sie eine Person anstellen wollen oder nicht. Entscheiden sie sich dagegen, kann die Stelle nach Ablauf der 5-tägigen Frist normal ausgeschrieben werden.
Aktuell sind 19 Berufe von der Stellenmeldepflicht betroffen. Dazu zählen Jobs auf dem Bau, in der Logistik und in der Gastronomie. Aber auch für PR- und Marketing-Fachleute sowie Schauspieler gilt der Arbeitslosen-Vorrang.
Künftig werden noch weitere Berufe dazukommen. Denn der Bund hat bereits angekündigt, den Schwellenwert nach einer Übergangsfrist zu senken: Ab 2020 gilt die Meldepflicht ab einer Arbeitslosenquote von 5 Prozent.
In gewissen Situationen können sich die Chefs den Umweg über das RAV sparen – so etwa, wenn sie die Stellen innerhalb ihrer Firma neu besetzen oder Verwandte anstellen. Diese Ausnahmen sind in der Verordnung des Bundes genau definiert. Verletzen Arbeitgeber die Stellenmeldepflicht jedoch fahrlässig oder vorsätzlich, wird es teuer: Es drohen Bussen von bis zu 40’000 Franken.
Die Kantone sind dafür zuständig, die Einhaltung der Meldepflicht zu kontrollieren. In Zürich wird die Arbeitsmarktaufsicht zu diesem Zweck unter anderem «Betriebskontrollen durch Stichproben durchführen», wie es bei der zuständigen Volkswirtschaftsdirektion heisst. Zunächst werde es aber darum gehen, die Arbeitgeber «gut zu beraten». Bevor eine Verzeigung in Betracht gezogen werde, suche man den Dialog.
Die Masseneinwanderungsinitiative verlangte, dass die Schweiz ihre Zuwanderung eigenständig mittels Höchstzahlen und Kontingenten steuert.
Weil eine solche Begrenzung der Zuwanderung nicht mit dem Freizügigkeitsabkommen vereinbar gewesen wäre, suchte das Parlament fieberhaft nach einer anderen Möglichkeit, die Migration zu steuern. Schliesslich zauberte es die Idee eines «Inländervorrang light» aus dem Hut. Als Vater des Modells gilt der Solothurner FDP-Nationalrat Kurt Fluri.
Der Grundgedanke: Wird das Arbeitskräftepotenzial im Inland besser genutzt, müssen weniger Personen aus dem Ausland rekrutiert werden. Allerdings trifft die Bezeichnung «Inländervorrang» nur bedingt zu – denn auf dem RAV können sich unter bestimmten Bedingungen auch Ausländer registrieren lassen.
Entsprechend lautstark beklagte die SVP den «Verfassungsbruch» durch das Parlament. Die Befürworter rechtfertigten die Lösung damit, dass eine wortgetreue Umsetzung der Schweizer Wirtschaft «massive Schäden» zugefügt hätte.
Nicht nur die SVP ist unglücklich mit der Umsetzung ihrer Initiative. Auch aus den betroffenen Branchen wurden wiederholt kritische Stimmen laut.
Von einem «bürokratischen Ungetüm» spricht der Präsident des Basler Wirteverbands in der «Basler Zeitung». Stephanie Hug vom Casinotheater Winterthur bezeichnet die Regelung im «Landboten» als «Humbug»: Regisseure wüssten in der Regel ganz genau, welche Schauspieler sich für ihre Produktionen eigneten.
Auch die Leiterin einer Bieler Kommunikationsagentur zweifelt im Gespräch mit SRF daran, dass sie via RAV qualifiziertes Personal finden wird. Schliesslich sei dies selbst dann schwierig, wenn sie Stellen öffentlich ausschreibe.
Nicht nur auf die Arbeitgeber, sondern auch auf die Regionalen Arbeitsvermittlungszentren kommt mit der neuen Regelung Mehrarbeit zu. So haben zahlreiche Kantone ihr RAV-Personal aufgestockt, Zürich hat als grösster Kanton 19 zusätzliche Vollzeitstellen geschaffen. Die Kosten dafür werden vom Bund getragen, wie die Volkswirtschaftsdirektion auf Anfrage schreibt.
Im Kanton Zürich sind am ersten Tag bis 15 Uhr insgesamt 75 Stellenmeldungen eingegangen. «Das System funktioniert insgesamt gut», sagt Lucie Hribal, Sprecherin der Volkswirtschaftsdirektion. Der Regierungsrat rechnet damit, dass im ersten Jahr rund 10'000 Meldungen bearbeitet werden, ab 2020 dann rund 40'000 jährlich.
Auch beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) heisst es, der Start der Stellenmeldepflicht sei erfolgreich verlaufen. «Kleinere Fehlerkorrekturen und Optimierungen können nun im laufenden Betrieb erfolgen.» Besonders erfreulich sei, dass die Arbeitgeber rege von den Online-Services Gebrauch machten.
(jbu)