Politik ist für sie nur ein Mittel zum Zweck. Ihr Geschäft sind Intrigen: Im Hollywood-Thriller «Die Erfindung der Wahrheit» versucht eine so machthungrige wie skrupellose Lobbyistin, für ihre Auftraggeber unliebsame Gesetze zu verhindern. Die Strippenzieherin bewegt sich dabei stets am Rande der Legalität. Ihr Arsenal reicht von Bespitzelung bis Erpressung, von Blossstellung bis Demütigung.
Auch in der Schweiz lockte der Thriller vor zwei Jahren über 10 000 Personen in die Kinosäle. So fesselnd der Film sein mag – ein realistisches Abbild der politischen Lobbyarbeit liefert er keineswegs; zumindest nicht mit Blick auf die Schweiz. Im Kino sind Lobbyisten stets die Bösen.
In der Realität jedoch betonen selbst ihre schärfsten Kritiker, dass es sie braucht: «Lobbying ist ein fester Bestandteil einer pluralistischen, liberalen Demokratie.» Das ist der erste Satz eines neuen Berichts von Transparency International. Darin liefert die Landesvertretung der Organisation erstmals einen umfassenden Überblick, wie Lobbyismus in der Schweiz funktioniert und reguliert wird.
Doch trotz versöhnlichem Einstieg und obwohl Transparency keine schmutzigen Praktiken à la Hollywood ausmachen konnte: Die Befunde sind wenig schmeichelhaft. Vieles sei ungenügend geregelt, deshalb würden die Glaubwürdigkeit und die Integrität der politischen Akteure immer wieder infrage gestellt. Von «eklatanten Mängeln» spricht Transparency-Geschäftsführer Martin Hilti. «Es hapert an vielen Ecken und Enden.» Die Studienautoren trugen Daten zusammen, werteten Forschungsresultate aus und interviewten Politiker, Beamte und Wissenschaftler.
Die Schweizer Politik ist nicht völlig gegen Korruption gefeit. Im Bericht wird etwa auf all jene Affären verwiesen, in denen gegen Politiker wegen Verdachts auf Annahme von Geschenken ermittelt wird. Sämtliche Fälle werden nüchtern und in anonymisierter Form geschildert. Denn Transparency geht es darum, die grundsätzliche Dimension von Lobbyismus zu ergründen; darum, auf die Fehler im System hinzuweisen.
Es fehle teilweise an Transparenz und griffigen Regeln, ebenso verfügten nicht alle Interessengruppen über die gleichen Chancen. Im 90 Seiten starken Bericht finden sich zahlreiche fragwürdige Praktiken auf Stufe Bund. Drei Beispiele:
Transparency International präsentiert einen Katalog mit zehn Verbesserungsmassnahmen. Darin plädiert die Organisation für einen chancengleichen Zugang. Wenn externe Experten beigezogen werden, müssten alle möglichen Interessengruppen berücksichtigt werden. Und für Interessenkonflikte brauche es ebenso griffige Regeln wie für den Umgang mit Geschenken oder offerierten Reisen.
Vor allem aber verlangt die Organisation mehr Transparenz in allen Phasen der Gesetzgebung. Aus ihrer Sicht muss dokumentiert werden, wer auf ein Gesetz an welcher Stelle wie Einfluss genommen hat. Transparency bezeichnet dies als «legislativer Fussabdruck». «Ein solcher kann mit einem überschaubaren Aufwand umgesetzt werden», ist Geschäftsführer Hilti überzeugt.
Konkret müssten Bundesverwaltung und Parlament etwa dazu verpflichtet werden, den Einbezug von Lobbyisten in interne Expertenkommissionen und bei Anhörungen offenzulegen, aber auch deren Eingaben. Dies könne beispielsweise in Vernehmlassungsvorlagen, Gesetzesbotschaften oder im Internet passieren. Wie sagte schon die intrigante Lobbyistin im Hollywood-Thriller: «Lobbyarbeit bedeutet Voraussicht.»
Die einflussreichsten Lobbyisten sitzen selbst im Ratssaal und in den Sitzungszimmern des Bundeshauses: Eine «problematisch hohe Dichte spezifischer Interessen» sieht Transparency International namentlich in den Gesundheitskommissionen beider Kammern. Im ständerätlichen Ausschuss haben die Mitglieder mit einem direkten Mandat aus dem Kreis der Versicherungen gar die absolute Mehrheit.
Transparency International spricht von einem «besonders frappanten Beispiel des gezielten Lobbyisten-Einflusses»: Um das neue Geldspielgesetz zu erarbeiten, bildete das Justizdepartement mehrere Arbeitsgruppen. Ihnen gehörten neben Vertretern von Bund und Kantonen auch Akteure wie die Schweizer Casinos an. Die Gremien übernahmen die gesetzesvorbereitenden Arbeiten und kümmerten sich um alle Fragen rund um Glücksspiele im Internet. «Entsprechend prägten diese Lobbyisten die Gesetzesarbeiten», kritisiert Transparency den «selektiven Einbezug von Interessenvertretern».
Parlamentarische Gruppe Gastgewerbe? Gruppe Langsamverkehr? Oder Gruppe für Textilwirtschaft? In der Öffentlichkeit sind diese Gremien kaum bekannt. Laut Gesetz können sich Parlamentarier, die sich für einen Sachbereich interessieren, organisatorisch zusammenschliessen. Die parlamentarischen Gruppen werden von den Behörden administrativ unterstützt und dürfen Bundeshaus-Sitzungszimmer nutzen. Mittlerweile bestehen über 150 solcher Gruppen, ihre Zahl hat sich in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt. Pikant: Bei zwei Dritteln werden die Sekretariate von externen Lobbyisten geführt, wie Transparency herausgefunden hat. Sie organisieren Infoveranstaltungen oder sogar Reisen. Das Sekretariat der parlamentarischen Gruppe Inlandbanken etwa ist beim Raiffeisen-Cheflobbyisten angesiedelt.
Als Chiffre für umstrittene Lobbying-Praktiken steht hierzulande die Kasachstan-Affäre, die seit bald vier Jahren für Schlagzeilen sorgt. Unterdessen richtet sich der Fokus auf den früheren SVP-Nationalrat Christian Miesch, dem vorgeworfen wird, sich für das Einreichen eines Vorstosses zugunsten kasachischer Interessen bezahlt lassen zu haben. Die Frage nach der Käuflichkeit der Politik stellt sich auch im Fall des Genfer Staatsrats Pierre Maudet. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den FDP-Magistraten wegen einer umstrittenen Reise nach Abu Dhabi. Miesch und Maudet werden unter anderem der Vorteilnahme verdächtigt, für beide gilt die Unschuldsvermutung.
Das verstand die SVP Fangemeinde in Deutschland (mit dem Namen AfD) letztens auch nicht ...