Zu Dutzenden flattern Bettelbriefe und Spendenaufrufe von Hilfsorganisationen derzeit wieder in Schweizer Briefkästen. Dezember ist Jagdsaison für die Hilfswerke. Die weihnächtliche Stimmung versetzt viele Menschen in grosszügige Laune, der bevorstehende Silvester ist dem einen oder anderen Grund genug, die moralische Bilanz des auslaufenden Jahres noch ein bisschen aufzubessern.
Und das Geschäft mit dem schlechten Gewissen lohnt sich: Noch nie waren Schweizer Hilfswerke auf ihrer Jagd nach grosszügigen Spendern so erfolgreich wie im vergangenen Jahr. 1.87 Milliarden Franken haben sie von Herrn und Frau Schweizer, von Stiftungen, aus Erbschaften und über Sammelaktionen wie «Jeder Rappen zählt» eingenommen.
Auch die öffentliche Hand hat die Schweizer Hilfswerke kräftig unterstützt. 2017 überwies alleine die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) insgesamt 282 Millionen Franken an Schweizer Nichtregierungsorganisationen.
Laut der Stiftung Zewo, die seit 1934 Schweizer Hilfswerke zertifiziert, sind 2017 vier von fünf Schweizer Haushalten dem Vorbild von Väterchen Staat gefolgt und haben Geld an mindestens ein Hilfswerk überwiesen.
Damit sind die Schweizer deutlich spendenfreudiger als die europäischen Nachbarn. In Frankreich, Österreich und Schweden spendeten 2017 nur drei von fünf Haushalten, in Italien und Spanien gar nur einer von fünf.
Schweizweit belief sich der durchschnittliche Spendenbetrag pro Haushalt auf 300 Franken. 400 Franken waren es in der Deutschschweiz, 300 im Tessin und 200 in der Romandie. 49 Prozent der Spenden flossen an Hilfswerke, die Projekte in der Schweiz unterstützten, 51 Prozent kamen Hilfsaktionen im Ausland zugute.
Martina Ziegerer ist Geschäftsleiterin bei der Stiftung Zewo. Auf ihrer Liste stehen derzeit 489 Organisationen, die alle 21 Zewo-Standards zu Transparenz, Effizienz und Integrität erfüllen.
Dass die Spendenbereitschaft der Schweizer sogar in den zurückliegenden Krisenjahren stetig wuchs, erstaunt sie nicht. «Vielleicht wird Hilfe gerade in Zeiten, in denen es anderen schlecht geht, als nötiger denn je eingeschätzt», schreibt Ziegerer im aktuellen Zewo-Magazin. Sie selbst zählt sich zu den «Grossspendern», ohne genaue Zahlen zu nennen.
Eine Frage steht für Herr und Frau Schweizer beim Thema Spenden oft im Vordergrund: Kommt mein gespendetes Geld denn auch wirklich an? Bewirkt es etwas? Einige Organisationen wie etwa das Kinderhilfswerk «World Vision» bieten Spendewilligen Patenschaften an, bei denen sie direkt sehen können, wie einem ausgewählten Kind mit dem gespendeten Geld geholfen wird.
Diese direkte Verbundenheit mit den Hilfsbedürftigen ist das, was viele Spender suchen. Die Zewo aber warnt vor dieser Methode. «Zeitgemässe Entwicklungszusammenarbeit ist partnerschaftlich, achtet die Würde der Menschen und lehnt Paternalismus ab. Sie verlangt, dass die Menschen aus dem Norden und dem Süden einander auf Augenhöhe begegnen», meint Martina Ziegerer.
Wenn der grosszügige westliche Geber sich seinen armen Empfänger aussuchen und über sein Schicksal richten kann, dann wird die Grenze zum kolonialistischen Gehabe schnell verwischt.
Die Stiftung Zewo legt daher andere Standards fest, um die Effizienz von Hilfswerken zu überprüfen. Zu betonen sei, dass nie hundert Prozent des Geldes direkt in Hilfsprojekte fliessen können, sagt die Stiftung. Zu guter Hilfe gehöre eine professionelle Buchhaltung, ein Jahresbericht, eine Fundraising-Organisation: alles Dinge, die Geld kosten.
Zwei Drittel des gesammelten Geldes sollten laut der Zewo aber direkt in die Hilfsprojekte fliessen, maximal ein Drittel für Fundraising und Administration ausgegeben werden. Je nach Grösse, Tätigkeitsbereich und Struktur kann sich dieser Wert stark unterscheiden.
Eine Umfrage der «Aargauer Zeitung» bei 33 führenden Schweizer Hilfswerken zeigt, wie viel Geld die Organisationen für Hilfsprojekte ausgeben und wie viel sie für die Administration aufwenden müssen (siehe Grafik unten). Im Schnitt haben die angefragten Hilfswerke vier von fünf Spenderfranken für Projekte und einen für administrative Aufgaben ausgegeben.
Am effizientesten arbeitete die Glückskette, die primär bei Katastrophen im Ausland aktiv wird. Sie verwendete 96 Prozent ihrer Spenden für Projektarbeit, die Heilsarmee, die auf viele Freiwillige zählen kann, immerhin noch 94 Prozent, die beiden medizinischen Organisationen Ärzte ohne Grenzen und Medair sowie das Hilfswerk Helvetas 91 Prozent.
Einen deutlich grösseren administrativen Aufwand zu bewältigen hatten die Menschenrechtsorganisation Amnesty International und das Hilfswerk Comundo, bei denen jeweils 65 Prozent in die Projektarbeit floss.
Die Hilfswerke unterscheiden sich auch punkto Entlohnung der Geschäftsleiter deutlich. Während die Spitzenleute beim Schweizerischen Roten Kreuz und Hilfswerk der Evangelischen Kirchen der Schweiz (Heks) rund 250'000 Franken verdienten, liess sich der Terre-des-Hommes-Chef nur gerade 111'525 Franken auszahlen.
Der Geschäftsleiter der Heilsarmee verdiente gar nur knapp 50'000 Franken, zuzüglich Dienstwagen und günstiger Dienstwohnung. Im Schnitt kamen die befragten Hilfswerkschefs auf 159'000 Franken im Jahr.
Vergleiche dieser Art sind nicht ohne Makel, da die strukturellen Unterschiede zwischen den einzelnen Hilfswerken riesig sind. Trotzdem schreit das spendenbasierte Geschäftsmodell der Hilfswerke nach voller Transparenz. Wer spendet, will wissen, was mit seinem Geld geschieht.
Entsprechend erstaunlich ist, dass nur 19 der 33 angefragten Organisationen bereit waren, den Lohn ihres Geschäftsführers bekannt zu geben. Andere Hilfswerke wie etwa die Menschenrechtsorganisation Amnesty International gaben den Lohn an, baten aber um den Hinweis darauf, dass die Entlohnung der Geschäftsführerin (knapp 150'000 Franken) in etwa dem Lohn eines Oberstufenschulleiters entspreche.