Schweiz
Wirtschaft

Der Profit ist grösser als die Busse: Umweltsünden können sich für Firmen lohnen

Der Profit ist grösser als die Busse: Umweltsünden können sich für Firmen lohnen

Indem sie Umweltgesetze missachten, sparen Unternehmen erhebliche Beträge ein. Die tiefen Bussen treffen sie kaum. Dies soll sich ändern.
28.02.2022, 05:58
Pascal Michel / ch media
Mehr «Schweiz»
Trauriger Anblick: Oftmals sind Gewässer von Umweltsünden betroffen.
Trauriger Anblick: Oftmals sind Gewässer von Umweltsünden betroffen.Bild: keystone

Der Chef einer Luzerner Holzkooperative wies seine Zivildienstler an, 12 Kubikmeter Altholz aus dem Abbruch einer Alphütte zu verbrennen, die eigentlich hätten entsorgt werden müssen. Er sparte so 2000 Franken.

Der Geschäftsführer einer Baufirma in Sursee liess beim Bau eines Swimmingpools Baustellenabwasser ungefiltert in die Kanalisation pumpen – unter «massiver Überschreitung des pH-Grenzwerts», wie es im Strafbefehl der Staatsanwaltschaft heisst. Er sparte Entsorgungsgebühren von 2200 Franken.

Besonders trickreich agierte ein Firmeninhaber eines Gossauer Betriebs, der sich auf Oberflächenbehandlung spezialisiert hatte. Als das lokale Amt für Umwelt dessen Entsorgungspraxis bemängelte und Messsonden in die Spülbäder mit Schmutzwasser installierte, entfernte der Chef die Sonden und platzierte sie in einem anderen, weniger kontaminierten Wasserbecken. Über Monate leitete er mit Zink und Chrom verschmutztes Wasser in die Kanalisation. Er sparte so 32'000 Franken Entsorgungskosten, schätzt die Staatsanwaltschaft St.Gallen.

Gesetze zu umgehen, kann lukrativ sein

Die drei Fälle stammen aus einer Sammlung von 1331 Umweltdelikten, die die Kantone im Jahr 2020 dem Bund gemeldet haben. CH Media konnte sie gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz einsehen und auswerten. Die drei ausgewählten Fälle werfen ein Licht auf eine Strafpraxis, die die Behörden künftig vermehrt anwenden wollen: die sogenannte Einziehung und die Ersatzforderung. Denn die drei gewerbsmässigen Umweltsünder erhielten nicht nur eine Busse, sondern mussten auch den Gewinn, den sie durch ihre Delikte erzielt hatten, zurückzahlen.

Zu diesem Mittel griffen die Strafverfolgungsbehörden im Umweltrecht bisher selten. Im Kanton Bern, wo 2020 immerhin 229 Strafentscheide gegen Umweltsünder verhängt wurden, verordneten die Behörden sie in lediglich 6 Fällen. Auch die Bussen bleiben entweder ganz aus oder schmerzen wenig: Bei Delikten im Bereich Gewässerverschmutzung betrug die mittlere Busse 745 Franken, wie aus einer internen Präsentation des Bundesamts für Umwelt (Bafu) hervorgeht.

Dass diese Bussen zumindest in der Baubranche in der Praxis wenig Wirkung zeigen, verdeutlicht ein Fall aus dem Kanton Zug: Ein Projektleiter einer Baufirma leitete wissentlich Abwasser aus einer Betongrube in einen Bach. Das Betonwasser verätzte die Kiemen von 200 Forellen, heisst es im Strafbefehl vom Mai 2020. Dabei war der Projektleiter von den Behörden über die Auflage zur korrekten Entwässerung und über die Konsequenzen informiert worden. Trotzdem ignorierte er das Gesetz und nahm offenbar eine Busse von 2900 Franken und eine bedingte Geldstrafe in Kauf.

Zur abschreckenden Wirkung empfiehlt die Koordinationsgruppe Umweltkriminalität des Bundes deshalb in einem neuen Bericht an den Bundesrat, dass Behörden verstärkt auf die Gewinnherausgabe pochen sollten. Viele Täter, gerade Unternehmen, würden mit einer milden Busse kalkulieren.

«In diesen Fällen ist die Einziehung ein besonders gutes Instrument, da sie die Straftäter meist härter trifft als die Strafe selber», halten die Experten fest. Für Firmen seien Entsorgungskosten und damit der Antrieb, sich um Umweltschutzgesetze zu foutieren, nicht zu unterschätzen: «Das Unternehmen kann sich dadurch einen Wettbewerbsvorteil verschaffen.»

«Klebrige Nähe» erschwert Ermittlungen

Adrian Ettwein
Adrian EttweinBild: Keystone

Adrian Ettwein ermittelte in der Bundesanwaltschaft zwischen 2002 und 2015 unter anderem im Bereich Wirtschaftskriminalität und doziert heute auch zu Umweltstrafrecht. Er begrüsst empfindlichere Strafen, betont aber gleichzeitig, dass der Vollzug durch die Kantone entscheidend sei:

«Wenn der Leiter des Umweltamts oder seine Mitarbeiter die Chefs wichtiger Firmen im Kanton kennen und beim Einkaufen in der Migros oder Landi trifft, die Kinder die gleiche Schule besuchen – man begegnet sich im Alltag überall –, wird es möglicherweise schwierig, hart zu ermitteln.»

Kleinräumigkeit könne zu einer «klebrigen Nähe» führen, sagt Ettwein. Ein weiterer Faktor, der das Aufdecken von gewerbsmässiger Umweltkriminalität hindert, ist die Wirtschaft als Standortfaktor: Gerade die lokale Politik trete Firmen, die für Arbeitsplätze sorgten, ungern wegen des Umweltschutzes auf die Füsse. «Und meist fehlt es gerade den kleinen Kantonen an personellen Ressourcen, um allen Fällen konsequent nachzugehen», sagt Ettwein.

Wenige Fälle auf dem Land

Tatsächlich zeigt ein Blick auf die Strafentscheide, welche die Kantone im Jahr 2020 dem Bund gemeldet hatten, dass kleine Kantone teils nur wenige Fälle von Umweltkriminalität verfolgen. Im Kanton Appenzell Ausserrhoden waren es 11, im Jura 7, in Obwalden gerade mal 2. Weiter fällt auf, dass Basel-Stadt nur 4 Fälle zählte. Demgegenüber stehen die Kantone Bern und Zürich, die spezialisierte Staatsanwälte für solche Delikte beschäftigen. Dort ermittelten die Behörden im selben Jahr in 229 beziehungsweise 184 Fällen – wobei Zürich als wirtschaftsstarker Kanton wohl auch noch Potenzial für mehr Ermittlungen hätte.

Bild

Das fragwürdige Gebaren einiger Firmen beim Umweltschutz hatte 2018 der Fall Blausee wieder an die Öffentlichkeit gezerrt. Um Deponiegebühren zu sparen, deklarierte die Transportfirma TGC den Hunderte Tonnen mit Schadstoffen belasteten Schlamm um und kippte ihn in den Steinbruch Mitholz. Der Baustoffkonzern Vigier steht als Besitzer des Steinbruchs Mitholz zudem im Verdacht, giftigen Bahnschotter aus dem Lötschberg-Tunnel deponiert zu haben. Die Betreiber des Blausees vermuten, dies habe im See zu einem Fischsterben geführt, was Vigier dementiert.

Auf Anfrage bei der Berner Staatsanwaltschaft heisst es, das Strafverfahren sei weiterhin hängig. Ob und wann mit einer Anklage zu rechnen ist, werde kommuniziert. Klar ist: Auch hier könnte bei einem Schuldspruch eine Ersatzforderung eine empfindliche Strafe darstellen.

Staatsanwälten und Polizisten mangelt es an Wissen

Und da beginnt die Krux: Wie lässt sich ein Gewinn, den eine Firma durch eine Umweltsünde generiert, genau berechnen? Es fehle dazu an Wissen bei den Praktikern an der Front, stellen die Expertinnen und Experten des Bundes fest. Geplant ist deshalb neben Schulungen für Polizisten ein Nachschlagewerk mit Fallbeispielen zur Einziehung von Vermögenswerten, «die nämlich oft schwierig zu berechnen sind und ein besonderes Mass an Umweltfachwissen erfordern».

Adrian Ettwein geht noch weiter. Er will bei der Nähe zwischen Wirtschaft und den kantonalen Behörden ansetzen. «Um diese aufzulösen, braucht es Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, die von ausserhalb kommen und gänzlich unvoreingenommen ermitteln können», sagt er. Dazu biete sich eine Lösung im Rahmen eines Konkordats unter den Kantonen an, in dem sich verschiedene – gerade kleine – Kantone zusammenschliessen und dort spezialisierte Staatsanwälte mit den Untersuchungen betrauen. Dasselbe gelte für polizeiliche Ermittlungen.

Zumindest diesen Austausch zwischen den Behörden will der Bundesrat mit dem revidierten Umweltschutzgesetz. Neu dürften die Ämter auch persönliche Daten von Umweltsündern austauschen. Zudem will der Bundesrat den Straftatbestand «Umweltverbrechen» schaffen – bisher sind solche Delikte meist nur Übertretungen und Vergehen.

Kantone wehren sich – sind aber auch für härtere Strafen

Die Kantone, die für ihre «klebrige Nähe» zur Wirtschaft in der Kritik stehen, können den Vorwurf nicht nachvollziehen. Matthias Nabholz, Leiter des Umweltamts Basel-Stadt, gibt aber zu: «Aufgrund einer kurzen Einschätzung liegen tatsächlich sehr wenige Straffälle in den angesprochenen Umweltbereichen vor.»

Die Hypothese, wonach die Grösse eines Kantons und die Verflechtung wirtschaftlicher Interessen und lokaler Behörden die Ermittlungen bei der Umweltkriminalität hemmen könnten, teilt er nicht. Es fehle dazu an Datenmaterial, das etwa mit einer Meldepflicht verbessert werden könne.

Alexander Imhof, Vorsteher des Amts für Umweltschutz im Kanton Uri, stellt ebenfalls in Abrede, nicht genügend gegen Umweltkriminalität zu tun. Was zutreffe: Es fehle an Personal und Fachwissen. Härtere Strafen begrüsst er: «Die Wirkung ist sicher gegeben.» (aargauerzeitung.ch)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Diese Bewerberin blamiert sich bis auf die Knochen – und geht damit viral
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
30 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Beta Stadler
28.02.2022 06:57registriert Mai 2020
Der Artikel zeigt, warum freie Marktwirtschaft ohne starken Staat nicht funktioniert - es wird nie eine mehrheitliche Nachfrage nach "Moral und Ethik" geben. Das ist nicht in der DNA des Menschen, welcher zum Überleben ein kurzfristig denkender Opportunist ist. Moral und Ethik haben wir uns angeeignet, aber diese Werte greifen nur via Gesetz.
Man muss aufhören, einen starken (demokratischen!!!) Staat und marktwirtschaftliche Regeln zu verteufeln. Wichtiger ist, diese Regeln mit Digitalisierung rasch und übersichtlich zur Verfügung zu stellen, damit die Firmen trotzdem Effizient bleiben.
744
Melden
Zum Kommentar
avatar
Borki
28.02.2022 08:50registriert Mai 2018
Als ehemaliger MA eines kleinen Kantons in der Zentralschweiz kann ich diese Klebrigkeit leider nur bestätigen. Das ist kein Klischee, dass sind Fakten.
293
Melden
Zum Kommentar
avatar
Salvatore_M
28.02.2022 07:29registriert Januar 2022
Ein guter Bericht. Die Beispiele zu Beginn des Zeitungsartikels sind äusserst beschämend für eine Schweiz, welche punkto Umweltschutz international in den vorderen Rängen mitspielen will. Da engagieren sich mehr und mehr Menschen für die Umwelt, da verpflichten sich mehr und mehr Unternehmen bezüglich Nachhaltigkeit und da gibt es Betriebe, welche bei der Entsorgung pfuschen oder diese umgehen.
251
Melden
Zum Kommentar
30
Er ist Secondo, Hauptmann und Filmemacher – und würde sofort für die Schweiz sterben
Luka Popadić ist Filmemacher und Offizier in der Schweizer Armee. Er würde sein Leben für die Schweiz geben. Aber er prangert auch ihre Missstände – die er als serbischer Secondo sieht – an. In seinem neuen Film behandelt er genau diesen Zwiespalt.

«Echte Schweizer» – so heisst Luka Popadićs Dokumentarfilm, der nächste Woche in die Schweizer Kinos kommt. Acht Jahre gingen die Arbeiten für den Film. Darin setzt er sich mit der Frage auseinander, was es bedeutet, ein «echter Schweizer» zu sein – und im Kontext der Schweizer Armee.

Zur Story