Bereits im Februar 2018 teilte das Bundesamt für Verkehr (BAV) mit, dass es bei einer gründlichen Überprüfung der Rechnung der Postauto AG Unregelmässigkeiten entdeckt habe. Von 2007 bis 2016 hat Postauto Gewinne verschleiert und dadurch überhöhte Subventionen bezogen. Postauto hat fiktive Kosten für über 200'000 Buchungen – etwa für nie angefallene Pneukosten – bilanziert. Dadurch wurden im subventionierten regionalen Personenverkehr (RPV) zu tiefe Gewinne ausgewiesen. In der Folge konnten überhöhte Abgeltungen von Kantonen und Bund bezogen werden. Das BAV fordert deshalb 78,3 Millionen Franken zurück.
Am Montag hat der Verwaltungsrat der Post einen externen Bericht einer Anwaltskanzlei und einer Revisionsgesellschaft veröffentlicht. Ebenso publiziert wurde ein Gutachten dreier Experten auf Grundlage dieses Berichts. Beides hatte der Verwaltungsrat im März 2018 in Auftrag gegeben, nachdem die Post aufgrund der Vorwürfen des BAV und zahlreicher Medienberichte stark unter Druck geraten war.
Ersichtlich wird, dass Postauto während Jahren die Betriebsbuchhaltung manipuliert und so Gewinne erzielt hat, die systematisch versteckt wurden. Dieses Gebaren fand im vollen Wissen der Geschäftsleitung der Postauto AG statt. Bund, Kantone, Steuerzahlende und Geschäftspartner seien dadurch hinters Licht geführt worden, sagte Post- Verwaltungsratspräsident Urs Schwaller: «Erschreckend ist, dass dabei über Jahre sämtliche Kontrollmechanismen im Konzern Post offensichtlich versagt haben.»
Der Verwaltungsrat hat als Reaktion auf den Postauto-Skandal sowohl personelle als auch operationelle Massnahmen beschlossen. Die Post trennt sich von Konzernchefin Susanne Ruoff und der Leiterin der internen Revision. Ausserdem ist die komplette Geschäftsleitung der Postauto AG per sofort freigestellt worden.
Im operationellen Bereich schafft der Verwaltungsrat unter anderem einen Ausschuss Postauto, um das Sorgenkind enger zu begleiten. Er stellt ein Compliance-Programm auf die Beine, um Gesetzesverstösse im Bereich Subventionsrecht zu verhindern. Ausserdem trennt sich die Post per Geschäftsjahr 2019 von der bisherigen Revisionsgesellschaft KPMG.
Die Postauto AG wird umgebaut: Die aufs Jahr 2016 eingeführte Holdingstruktur IMPRESA, die den Postauto-Tochtergesellschaften Gewinne dank Transferpreisen sichern sollte, wird rückgängig gemacht. Die neue Struktur soll einfacher und transparenter sein.
Mit ihrer überraschenden Demission überrumpelte Konzernchefin Susanne Ruoff am Abend des Abstimmungssonntags alle. Wie Präsident Urs Schwaller an der heutigen Medienkonferenz ausführte, hat der Verwaltungsrat an seiner Sitzung am vergangenen Dienstag festgestellt, dass es «keine Vertrauensbasis mehr für eine weitere Zusammenarbeit» mit Ruoff gebe. An der «persönlichen Integrität» habe er keine Zweifel, sagte Schwaller: «Aber in der Gesamtbeurteilung muss man sagen, dass Susanne Ruoff zu lange nicht auf Hinweise auf Verfehlungen bei Postauto reagiert hat.» Diesen Schluss hatte er aus den ihm damals bereits vorliegenden externen Berichten gezogen.
Schwaller teilte Ruoff diesen Beschluss unmittelbar nach der Sitzung mit. Am Freitag habe man sich mit Ruoff und ihrem Anwalt getroffen, um über die Formalitäten der Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu sprechen. Am Freitagabend informierte Ruoff über private Kanäle über ihren Rücktritt. Am Sonntagabend sickerte die Neuigkeit dann zum «Blick» durch.
Laut Urs Schwaller nicht. Die Post-Chefin und die anderen Personen, von denen sich der Konzern trennt, hätten keine «goldenen Fallschirme» in ihren Verträgen. Sie sind per sofort freigestellt und scheiden nach Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist aus dem Unternehmen aus. Der variable Anteil ihres Lohnes für die Geschäftsjahre 2017 und 2018 – also die Boni – werden ihnen nicht ausgezahlt.
Die Suche nach einer Nachfolge für Susanne Ruoff ist gemäss Urs Schwaller bereits angelaufen. Bis ein neuer Chef oder eine neue Chefin präsentiert wird, dürften aber einige Monate vergehen. Zum Profil wollte Schwaller keine näheren Angaben machen. Bis dahin übernimmt Ueli Hurni ad interim die Konzernleitung. Ruoffs bisheriger Stellvertreter kann auf eine langjährige Karriere in verschiedenen Sparten der Post zurückblicken.
Gemäss Urs Schwaller gibt es keinerlei Hinweise auf persönliche Bereicherung als Motiv hinter den Bilanztricksereien. Seine Erklärung: Im wirtschaftlich erfolgreichen Post-Konzern hätten die Verantwortlichen der einzelnen Sparten etwas zum positiven Gesamtergebnis beitragen wollen. Über die Jahre hinweg sei auch das Bewusstsein dafür verloren gegangen, dass die praktizierte Buchungspraxis nicht rechtens sei.
Als Verkehrsministerin nahm Bundesrätin Doris Leuthard an einer Medienkonferenz Stellung zu den jüngsten Entwicklungen. Die Regierung nehme die Massnahmen des Verwaltungsrats zur Kenntnis. Die Entlassung von Ruoff bezeichnete sie als «hart, aber richtig». Es sei jetzt an Verwaltungsrat und Unternehmensleitung, die nötigen Schritte zu unternehmen. Bundesnahe Unternehmen wie die Post hätten eine Vorbildfunktion wahrzunehmen.
Dem amtierenden Verwaltungsratspräsidenten Urs Schwaller sprach Doris Leuthard ihr Vertrauen aus. Ihm sei aufgrund der externen Berichte keine Vernachlässigung seiner Aufsichtspflicht vorzuwerfen – bei seinem Vorgänger Peter Hasler sei das anders. Aufgrund der Unregelmässigkeiten berteilt der Bundesrat dem Verwaltungsrat der Post fürs Jahr 2017 keine vollumfängliche Décharge. Von der Entlastung ausgenommen sind «die Vorfälle im Zusammenhang mit den Subventionsbezügen der Post-Auto-Gesellschaften». Ausserdem lässt der Bundesrat die Steuerung der bundesnahen Unternehmen (Corporate Governance) bis Ende 2018 extern überprüfen.
Nein. Einerseits läuft ein «Verwaltungsstrafverfahren» beim Bundesamt für Polizei. Dieses ermittelt aufgrund einer Anzeige des Bundesamts für Verkehr. Die Post hat versprochen, die Arbeit des Fedpol «weiterhin vorbehaltlos zu unterstützen». Verwaltungsratspräsident Urs Schwaller sagte vor den Medien, man behalte sich allfällige rechtliche Schritte vor. Denkbar sind Schadensersatzforderungen an fehlbare (Ex-)Mitarbeiter.
Ausserdem haben die externen Berichte nur die Phase zwischen 2007 und 2015 untersucht. Schwaller schloss nicht aus, dass es bereits davor zu Gesetzeswidrigkeiten gekommen ist. Ob diese ebenfalls bis ins Detail abgeklärt werden, liess er offen: «Wir müssen irgendwann auch nach vorne schauen», beantwortete er eine entsprechende Frage von watson