Die diesjährige Grippesaison ist aussergewöhnlich lang und heftig. So bleiben immer noch viele Arbeitsplätze in Schweizer Unternehmen verwaist, die Mitarbeiter hüten stattdessen das Bett. Gemäss Schätzungen verursacht die Grippe in der Schweiz volkswirtschaftliche Kosten zwischen 100 und 300 Millionen Franken pro Jahr. Um die Ausfälle gering zu halten, wenden viele Arbeitgeber Kniffs an, teils zum Leid ihrer Mitarbeiter.
Wer krank ist, erhält in den ersten drei Tagen keinen Lohn. Was für die meisten unvorstellbar ist, ist bei einigen Unternehmen gang und gäbe. Auch juristisch ist dies legal und wurde auch schon von der Rechtssprechung gestützt.
Ein Unternehmen, das diese Praxis der sogenannten Karenztage seit Jahren anwendet, ist die EMS-Group, die von der SVP-Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher geleitet wird. Wer beim Bündner Unternehmen arbeitet, kriegt im ersten Dienstjahr während den ersten drei Krankheitstagen keinen Lohn, im zweiten während zwei und im dritten wird der erste Krankheitstag nicht entlöhnt. Ab dem vierten Dienstjahr wird jeder Tag bezahlt. Diese Regelung habe sich bewährt, sagte Conrad Gericke, Generalsekretär der EMS-Chemie 2015 gegenüber dem Tages-Anzeiger. Auf Anfrage von watson meinte er nur, dass sich die Praxis seit dem Artikel nicht geändert habe.
Hansjörg Schmid, Sprecher des Verbands Angestellte Schweiz, findet diese Regelung unsympathisch. «Diese Praxis führt dazu, dass die kranken Mitarbeiter doppelt bestraft werden. Sie sind krank und erhalten erst noch keinen Lohn.» Er empfiehlt Betroffenen, bei Möglichkeit den Arbeitgeber zu wechseln.
Du warst im letzten Jahr keinen Tag krank? Wenn dies der Fall ist, würdest du in einigen Schweizer Firmen eine Belohnung kriegen. In Form einer Bonuszahlung oder von zusätzlichen Ferientagen.
Eine Firma, die Mitarbeiter ohne Absenzen belohnt, ist die Eniwa in Buchs, die frühere IBAarau. Beim Energiedienstleister bekommen Mitarbeiter im ersten absenzenfreien Jahr 300 Franken, im darauffolgenden zweiten Jahr 400 Franken und im dritten 500 Franken. «Wir haben das System 2014 eingeführt, da die Kurzabsenzen zuvor enorm zugenommen hatten», sagt Silvia Joost, Leiterin Personaldienste bei Eniwa. Das Bonus-System habe sich bislang bewährt, ergänzt sie. Seit der Einführung gibt es gemäss ihren Angaben rund 50 Prozent weniger Kurzabsenzen. Auch die Mitarbeiter würden das Belohnungssystem sehr positiv aufnehmen. «Es ist ja nicht so, dass wir jemandem etwas wegnehmen.»
Anderer Meinung ist Hansjörg Schmid, Sprecher des Verbands Angestellte Schweiz: «Dies ist eine unzulässige Ungleichbehandlung der Angestellten.» Zudem könne dies zur Folge haben, dass sich eine Krankheit verschlimmere, sich die Genesung verlangsame oder dass Arbeitskollegen angesteckt würden.
Die Ansteckungsgefahr sei seit der Einführung der Belohnung nicht gestiegen, ist Silvia Joost überzeugt. Denn: «Wer krank ist, kommt nicht wegen 500 Franken zur Arbeit.»
Stell dir vor, du liegst mit Fieber im Bett, als es plötzlich an der Tür klingelt. Es ist dein Chef, mit einem Blumenstrauss in der Hand. Er macht einen Krankenbesuch.
Von einer solchen Unternehmenspraxis berichtete einst der frühere Nationalrat Christoph Mörgeli in einem Gastbeitrag in der «Aargauer Zeitung». Er schrieb: «Ich kenne einen Arbeitgeber, der schon am zweiten Krankheitstag mit einem Blumenstrauss vor dem Wohnsitz des betreffenden Mitarbeiters steht, um gute Besserung zu wünschen. Ist der Angestellte wirklich krank, freut er sich über die Aufmerksamkeit. Ist er nicht zu Hause oder spielt er mit dem Modellflugzeug im Garten, wird er künftig weniger fehlen.»
Für Mörgeli eine sinnvolle Praxis, wie er im Artikel weiter schreibt. Ein Unternehmen, das tatsächlich auf Hausbesuche setzt, ist die EMS-Chemie in Basel, dies bestätigte Gericke gegenüber dem «Tages-Anzeiger».
Bei kürzeren Erkrankungen sei dies eine völlig abstruse Idee, so Schmid von Angestellten Schweiz. «Der Chef hat hoffentlich besseres zu tun.» Und auch Simon Wey vom Schweizer Arbeitgeberverband ist skeptisch: «Krankheitsbesuche sind eher heikel, da sie das Vertrauensverhältnis beeinträchtigen können.» Zudem sei ein Arzt besser dazu qualifiziert, den Gesundheitszustand von Arbeitnehmenden zu beurteilen.
Nicht jeder ist der Meinung, man solle eine Grippe zuerst richtig auskurieren, bevor man wieder arbeitet. So sagte der Arbeitsmedizinier Claude Sidler zum Magazin «Astrea Apotheke»: «Manchmal ist ein reduziertes Pensum im Homeoffice eine gute Zwischenlösung, sofern dies der Arbeitgeber ermöglicht.» Und gegenüber von «20 Minuten» präzisierte er: «Die Arbeitgeber nützen die Möglichkeit viel zu wenig aus, Angestellten, die sich nicht 100 Prozent fit fühlen, eine sogenannte angepasste Tätigkeit vorzuschlagen.»
Simon Wey, Fachspezialist beim Schweizerischen Arbeitgeberverband, sieht dies etwas anders: «Die Zeit zu Hause soll zur Genesung genutzt werden, um danach für den Arbeitgeber wieder vollumfänglich arbeitsfähig zu sein.» Nur in begründeten Einzelfällen könne eine solche Home-Office-Lösung sinnvoll sein. Etwa dann, wenn der Arbeitnehmer zwar ansteckend sei, aber dennoch voll leistungsfähig.
Arbeitgeber dürfen ab dem ersten Krankheitstag ein Arztzeugnis verlangen. Es ist in der Praxis aber die Ausnahme. Bei den meisten Arbeitgebern wird erst ab dem dritten Absenztag die Bestätigung durch einen Arzt verlangt.
Arbeitnehmern sei ein Vertrauensvorschuss zu gewähren, sagt Simon Wey. Für Spezialisten des Arbeitgeberverbands gibt es aber Ausnahmefälle: «Dort, wo ein Missbrauchsverdacht besteht, kann ein Arztzeugnis bereits ab dem ersten Krankheitstag ein gangbarer Weg sein.»